Wer an der Westküste der USA cool unterwegs sein will, setzt selten auf ein neues Auto. Immer mehr sind in einem Youngtimer unterwegs. Kein Wunder, dass gerade die Mercedes-Benz Baureihen 123, 126 und 107 beliebte Sammelobjekte sind.
Mercedes Motoring aus Glendale macht die Klassiker zu alltagstauglichen Schmuckstücken.
In Burbank, Pasadena oder Glendale schlägt das Autoherz der amerikanischen Westküste. Nirgendwo anders in den USA gibt es derart viele Autoschmieden wie hier. Rund eine halbe Stunde nördlich der Millionenagglomeration Los Angeles werden Unfallautos zu Klassikern, Hot Rods kreiert und Youngtimer auf Neuwagenniveau gebracht.
So einer ist J. G. Francis, knapp über 40 und mit seinem Fünftagebart, Jeans und Vintageshirt betont lässig unterwegs. Er hat sich vor knapp 15 Jahren in Mercedes-Benz verguckt und macht Young- und Oldtimer mit dem Stern seither zu begehrten Klassikern. Die Kunden rennen ihm seither die Türen ein.
Die Werkstatt von Mercedes Motoring findet man dabei nicht durch Zufall. Kein Schild, keine Werbung und kein einziger Oldtimer weisen auf die Schmuckschatulle hin, die sich hinter der unscheinbaren Backsteinfassade verbirgt. Wer genau hinschaut, kann links über der verblichenen Hausnummer 1721 eine angerostete Mercedes-Benz Radkappe erspähen.
J.G. Francis und seine Sternenjünger von Mercedes Motoring kommen mit der Restauration von Klassikern kaum hinterher. Sie sind mehr Künstler und Bewahrer statt gewöhnliche Autobastler. „Viele Wagen sind bereits verkauft, bevor wir mit der eigentlichen Arbeit angefangen haben.“
Doch zum Glück ist der Bestand noch groß genug.“ Das Geschäft in Glendale selbst hat nicht viel mit einer normalen Werkstatt gemein.
Das Büro sieht aus wie ein trendiges Szeneloft mit prall gefüllten Arbeitsplätzen, Nierentischen und Sesseln aus den 50er-Jahren. Überall liegen historische Poster, vergilbte Bedienhandbücher und Kleinteile herum. Die überdimensionale Ausführung eines Setzkastens treibt nicht nur Daimler-Fans die Tränen in die Augen.
Hier lagern nur auf den ersten Blick unbeachtet Tür-Pins, Haltegriffe, Radkappen und Montageanleitungen vergangener Jahrzehnte.
Gleich nebenan stapeln sich übereinander Dutzende alter Becker Radios vom Europa über das Nürburg bis hin zum legendären Grand Prix. Eine Schau sind die Schlüsseletuis und die Embleme, die einst Kühlergrille von Fahrzeugen aus der ganzen Welt verziert haben.
Das Hochregallager beheimatet Sitze, Türverkleidungen, Teppiche und allerhand mehr. Was es nicht mehr gibt, wird aus dem Mercedes-Benz Classic Center in Irvine herangeschafft, damit die Oldtimer auch technisch wieder im Neuzustand sind.
In der Werkstatt selbst stehen die Fahrzeuge derart dicht an dicht, dass sie per Hand nach vorne gezogen werden müssen, weil die Türen nicht zu öffnen sind. Gerade zieht J.G. ein „Strich-Acht“ Coupé in blassem Grün nach vorn und schaut sich den Innenraum an.
Die Sitze wurden von seinen Mitarbeitern komplett neu bezogen und der Wagen hat nicht einmal 90.000 Meilen auf der Uhr. „Die meisten Wagen, die ich kaufe, liegen unter 100.000 Meilen“, erklärt er, während er den betagten Zweitürer vorsichtig zurückschiebt, „eine Laufleistung kann man eben nie wieder zurückholen.“
„Und wenn möglich, kaufe ich keine Oldtimer mit gerissenem Armaturenbrett. Die Ersatzteile gibt es oft nicht mehr und wenn, dann sind sie wahnsinnig teuer.“ Auf den Daimler-Geschmack kam Francis wie die Jungfrau zum Kind. „Es war eher ein Zufall, dass ich von den 700 Dollar, die ich hatte, im Jahre Herbst 2003 einen 300 SD gekauft habe“, erinnert sich der Amerikaner, „wochenlang habe ich an dem 300er herumgebastelt, ehe er wieder vernünftig gelaufen ist.
Sein Gurtschloss hat mich fast umgebracht. Immerhin war das irgendwie die Geburtsstunde von Mercedes Motoring.“
In seiner Geburtsstadt im Bundesstaat Nevada saß er Stunde um Stunde auf dem Sattel seines BMX-Rades und schaute dem Nachbarn zu, der eine Autowerkstatt betrieb. Nach einem Abstecher ins Immobiliengeschäft machte J. G. Francis seine automobile Leidenschaft zum Beruf.
Für zumeist mehr als eine Handvoll Dollars kauft er seither Mercedes-Benz Old- und Youngtimer – bevorzugt aus den Jahren 1968 bis 1985 – und verkauft diese nach umfangreichen Restaurierungen mit stattlichem Gewinn.
Dabei sind es nicht die exklusiven Luxusmodelle, die bei Mercedes Motoring das Volumengeschäft ausmachen.
In der engen Garage stehen Alltagsmodelle der Baureihen W 108, W 123 und R 107. „Besonders begehrt sind die Roadster“, blickt J.G. auf zwei Modelle aus den späten 80er-Jahren, „die kosten beide jeweils knapp 40.000 Dollar. Aber mehr und mehr Kunden wollen mittlerweile die 123er-Baureihe, eine alte S-Klasse oder einen Strich-Achter.“ J.G. selbst fährt aktuell einen 250er der W 123er-Klasse.
„Ich habe aber einen 280-E-Motor verbaut. Der läuft viel besser“, sagt er nüchtern. Trotzdem geht es den meisten Kunden um größtmögliche Originalität, die sie gerne entsprechend bezahlen.
Die Klassiker werden komplett auseinandergebaut und danach mit überholter Technik und aufgefrischtem Interieur versehen. Allerweltautos von damals wie der 300 TDT, 250er oder das beliebte Luxusmodell 300 SDL stehen in der Gunst der Kunden heute ganz oben. Immer mehr Firmen leihen sich die hauseigenen Klassiker für Fernsehaufnahmen und Fotoshootings aus.
Wer ein paar Teile für seinen eigenen Mercedes-Oldie braucht, kann ebenfalls bei Mercedes Motoring vorbeischauen. Kühlergrille, Felgensätze oder Scheinwerfer für den 123er – hier ist fast alles zu bekommen. So unscheinbar viele der Modelle in der Garage auch erscheinen – günstig ist hier nichts.
Derzeit bastelt das Team unter anderem an einem beigen 300 D von 1978, einem 1975er „Strich-Acht“ Coupé in Blaumetallic und einem gelben 300 CD Diesel Coupé herum. Gerade die Diesel stehen bei Mercedes Motoring hoch im Kurs. Weitere rund 30 Fahrzeuge hat Mercedes Motoring in den verschiedensten Restaurierungszuständen vorrätig.
„Doch immer wieder gehen auch Autos nach Europa, Asien oder neulich auch nach Bahrain“, sagt der Self-made-Mercedes-Benz-Spezialist, „die Nachfrage wird immer größer – gerade beim 123er.“ Entsprechend weit muss er durchs Land reisen, um die Klassiker nach Glendale zu holen.