Es ist ein strahlend schöner Tag. Lange hat der technische Projektleiter bei Mercedes-Benz Classic auf ihn gewartet: Nun schimmert die matt-silberne Oberfläche des rundum restaurierten 540 K Stromlinienwagens in der Sonne. Auf der Teststrecke geparkt wirkt das Fahrzeug erstaunlicherweise nicht halb so aus der Zeit gefallen, wie man es von einem Auto aus dem Jahr 1938 erwarten würde.
In wenigen Sekunden wird der Motor anspringen – und sich herausstellen, ob die unermüdliche Arbeit der vergangenen drei Jahre den Pionier der Aerodynamik zurück auf die Straße holen kann.
In den 30er Jahren stellen Autobahnen die Fahrzeugkonstrukteure vor ganz neue Herausforderungen. Die Windschlüpfigkeit spielt eine immer größere Rolle in der Automobilkonstruktion. Zu dieser Zeit wird im „Sonderwagenbau“ in Sindelfingen unter Leitung von Hermann Ahrens der 540 K Stromlinienwagen geschaffen – ursprünglich, um die Fernfahrt Berlin-Rom zu gewinnen.
Das imposante Einzelstück verbindet wie kein zweites Fahrzeug höchste aerodynamische Effizienz mit perfekter Ästhetik – und setzt damit neue Maßstäbe.
Ursprünglich ist der 540 K als effizientes Wettbewerbsfahrzeug bei der wichtigen Fernfahrt Berlin – Rom geplant. Doch zunächst fungiert der Stromlinienwagen als Versuchsfahrzeug für die Hochgeschwindigkeits-Reifenerprobung bei der Deutschen Dunlop AG. Dort wird dringend ein schneller, komfortabler und sicherer Wagen benötigt, um die neuen Reifengenerationen bei sehr hohen Dauergeschwindigkeiten auf der Autobahn zu testen. Nach den Wirren des Zweiten Weltkriegs gelangen in den 50er Jahren wichtige Komponenten des Fahrzeugs in die Sammlung des Mercedes-Benz Museums.
Der Wiederaufbau ist kein lapidares Unterfangen: Zwar kann das Mercedes-Benz Archiv die originale Linienrisszeichnung zur Verfügung stellen. Auch finden sich in der unternehmenseigenen Sammlung von Mercedes-Benz noch wichtige Originalkomponenten. Doch vom allerwichtigsten Bestandteil des Einzelstücks, der Aluminium-Karosserie, sind am Rahmen lediglich Rückstände zu finden: Die Karosserie muss also komplett rekonstruiert werden.
Über 4.800 Arbeitsstunden verschlingt dieses höchst anspruchsvolle Restaurierungs- und Rekonstruktions-Projekt insgesamt. Zeitzeugen werden befragt, Dokumente konsultiert, Einzelteile wieder hergestellt, bis der 540 K Stromlinienwagen im Jahr 2014 im Windkanal getestet werden kann. Und auf einen cW-Wert von 0,36 kommt.
Doch die Testfahrt auf dem Hochgeschwindigkeitskurs Papenburg auf der Straße steht noch aus – bis zu diesem sonnigen Tag, an dem der Projektleiter das Steuer ergreift… um beim Beschleunigen persönlich herauszufinden, dass sich die jahrelange Arbeit in jeder Hinsicht gelohnt hat.
Selbst ohne Kompressor schafft der 76 Jahre alte Stromlinienwagen beachtliche 167,97 km/h. Dann folgt die Messung im Kompressorbetrieb. Der Roots-Kompressor darf jeweils nur eine Minute lang zugeschaltet werden, doch das genügt: Mit einer Höchstgeschwindigkeit von 185,57 km/h erreicht der 540 K Stromlinienwagen das Tempo, das seine Konstrukteure 1938 anstrebten.
Der 540 K Stromlinienwagen ist endlich wieder dort, wo er hingehört: auf der Straße! Schauen Sie sich hier die Extended Version des aufwendigen Restaurierungsprojektes an.