Ohne ihn hätte es die Position des Rennleiters, eine Boxenstrategie oder die minutiöse Vorbereitung jedes einzelnen Rennens nicht gegeben. Von 1926 bis 1955 ist Alfred Neubauer einer der Väter der Mercedes-Benz Erfolge. Geboren wird er am 29. März 1891 in Neutitschein in der Nähe von Mährisch-Ostrau im heutigen Tschechien. Der Vater ist Bau- und Möbelschreiner. Alfreds Liebe zu den noch jungen Automobilen erwacht schon im Kindesalter und lässt ihn nicht mehr los.
Der 32-jährige Neubauer wird Chef der Fahr- und Versuchsabteilung. Auf dem Foto sieht man ihn am Steuer des mittleren Targa-Florio-Rennwagens vor der Abreise zum Rennen.
1912 kommt Neubauer zu Austro-Daimler nach Wiener Neustadt, um zum „Artillerie-Automobilisten“ ausgebildet zu werden. Er nimmt am Ersten Weltkrieg teil, bleibt aber auch während der Kriegsjahre 1914 bis 1918 mit Austro-Daimler verbunden. Nach Kriegsende wird er dort Chef der Einfahrabteilung. 1922 verlässt Neubauer zusammen mit dem Austro-Daimler-Direktor Ferdinand Porsche und anderen Mitarbeitern die Firma. Die Mannschaft heuert zum 1. Juli 1923 bei der Daimler-Motoren-Gesellschaft (DMG) in Stuttgart-Untertürkheim an.
Rennen sind schon damals Neubauers Leben – und er geht auch selbst an den Start. 1924 wird er zum Beispiel 16. bei der Targa Florio, an der er schon 1922 teilgenommen hat – damals auf dem von Ferdinand Porsche konstruierten „Sascha“-Rennwagen. Doch er erkennt rasch, dass er mehr zum Organisieren denn zum Fahren geboren ist. Erste Erfindung: ein spezielles System von Fahnen und Tafeln, um die Fahrer auf der Strecke genauestens informieren zu können.
Premiere feiert diese Neubauer-Idee 1926 bei einem Rennen auf der Stuttgarter Solitude. Prompt kommt es zum Skandal: Der (eigentliche) Rennleiter fordert Neubauer auf, seinen „Mumpitz“ einzustellen, um die Fahrer nicht zu irritieren. Doch der lässt sich nicht beirren. Belohnt wird diese Beharrlichkeit mit zahlreichen Triumphen, so 1931 mit dem Sieg bei der Mille Miglia: Rudolf Caracciola gewinnt mit dem Mercedes-Benz SSKL. Dieses Husarenstück gelingt sogar ohne volle Werksunterstützung, was Neubauer (im Bild rechts neben Caracciola und dessen Frau) besonders angespornt haben soll.
Berühmt wird Alfred Neubauer in den Jahren 1934 bis 1939, als die erste Generation der Silberpfeile von Mercedes-Benz an den Start geht und Erfolge am Fließband einfährt. Seine Leibesfülle ist bald ebenso legendär wie das charakteristische Heulen der Kompressormotoren.
Neubauer lässt keinen Zweifel daran, wer Chef in der Boxengasse ist. Zu seinen Marotten zählt, dass er bei jedem Sieg seinen Hut unter die Räder des Erstplatzierten wirft, wenn dieser durchs Ziel geht.
Neubauer überlässt nichts dem Zufall und notiert akribisch alles Wichtige in kleinen schwarzen Notizbüchern. Die Mercedes-Mannschaft nennt ihn ehrfürchtig „Den Dicken“ oder „Don Alfredo“ – natürlich nur hinter vorgehaltener Hand. Zu groß ist der Respekt vor dem Rennleiter. Doch nach dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs 1939 ist zunächst Schluss mit Autorennen.
Zwischen 1939 und 1945 wird Neubauer als Organisator für die Instandsetzung von Fahrzeugen eingesetzt und hilft ab 1946 beim Wiederaufbau „seines“ Werks.
1955 kommen der Sieg in der Sportwagen-Weltmeisterschaft inklusive Triumph bei der Mille Miglia mit dem 300 SLR (W 196 S) und die Tourenwagen-Europameisterschaft mit dem 300 SL (W 198 I) hinzu.
Erst 1950 darf Alfred Neubauer wieder eine Rennabteilung organisieren. Akribisch bahnt er zunächst den Sportwagen von Mercedes-Benz den Weg zum Erfolg. Siege mit dem 300 SL Rennsportwagen (W 194) in Le Mans und bei der Carrera Panamericana krönen die Saison 1952. 1954 und 1955 wird Juan Manuel Fangio mit dem W 196 R Weltmeister in der Formel 1. Überschattet wird die Siegesserie 1955 von der Katastrophe in Le Mans. Der 300 SLR von Pierre Levegh reißt 84 Menschen in den Tod, als er unverschuldet in eine der Tribünen katapultiert wird. Schon vor diesem Unglück steht allerdings fest, dass Mercedes-Benz sich nach der Saison 1955 werksseitig vom Rennsport zurückziehen wird. Alfred Neubauer erfährt noch am Abend des Doppelsiegs bei der Targa Florio von diesem Vorstandsbeschluss.
Bei der Feier zum Saisonende werden die erfolgreichen Mercedes-Rennwagen mit Planen abgedeckt – ein Bild mit Symbolkraft. Neubauer legt selbst Hand an, mit Tränen in den Augen. Danach arbeitet er noch sieben Jahre in der Traditionspflege von Mercedes-Benz und ist auch später ein gern gesehener Gast im Museum. Denn sein Talent als Geschichtenerzähler ist ebenso legendär wie sein Ruf als Organisator.
Im Alter von 89 Jahren stirbt der „König der Rennleiter“ am 21. August 1980.