Sie haben Musikgeschichte geschrieben: Robby Krieger als Gitarrist der Kultband The Doors und Brian Auger an seiner Hammond-B3-Orgel. Exklusiv für uns hat Auger ein Instrumentalstück eingespielt: den „Mercedes Classic Blues“. Mit dem Song und vielen aufregenden Geschichten sind die legendären Rockstars mit uns durch Los Angeles gecruist – im 300 SEL 6.3, Baujahr 1969.
Los Angeles an einem vermeintlich ruhigen Sonntagnachmittag. Friedlich liegt die Sunset Avenue unter der kalifornischen Sonne, zwei Teenager kommen mit ihren Surfboards vom Strand, viele Amerikaner grillen in ihren Vorgärten. Die COVID-19-Pandemie ist längst noch kein Thema. Plötzlich kracht Musik durch das stille Viertel von Venice: ein Blues-Song, messerscharf gespielt, die Verstärker voll aufgedreht.
Robby Krieger (links) und Brian Auger bestaunen den 300 SEL 6.3. Für den ehemaligen Doors-Gitarristen Krieger ist der Wagen wie ein Freund aus alten Tagen. Er besaß selbst mal einen 6.3er.
Brian Auger bearbeitet gekonnt die Tasten. Beim Solieren verschmilzt er regelrecht mit seinem geliebten Instrument.
Der Sound kommt aus einem türkisfarbenen Haus in zweiter Reihe, im Garten wachsen Rosen, über der Garage führt eine Treppe nach oben. Die Musik wird noch lauter, als die Tür aufgeht zu einem Wohnzimmer, das kurzerhand zum Übungsraum umfunktioniert wurde. Ein Mann spielt Gitarre, einer sitzt am Schlagzeug und der Boss an seinem dreistöckigen Keyboard. Und dann haut er in die Tasten, dass beinahe schon die Stromleitungen vor der Haustür im Takt tanzen.
Der Mann kann nicht anders, auch wenn er heute 81 Jahre alt ist. Er muss tun, was ihm im Blut steckt: Blues, Jazz, Rock. Er muss über die Noten fliegen, bis die Akkorde abheben und der Groove blubbert wie ein Achtzylinder. Seine Finger rasen über das Keyboard, sein Mund verzieht sich im Sog der Improvisation. Keine Frage, hier ist ein Original am Werk. Ein Mann aus Musik. Einer, der noch immer direkt mit dem Rock-’n’-Roll-Himmel verbunden ist.
An den Wänden hängen Fotos und Plakate wie aus einem musikalischen Traumland. Der legendäre Club Fillmore East in New York ist zu sehen, wo der Boss früher spielte, neben Neil Young, Miles Davis, Joe Cocker, den Moody Blues. Er trat mit Led Zeppelin auf, spielte mit Jerry Lee Lewis, Fats Domino, Little Richard. Als Gag für eine TV-Show hatten die vier in den 1960ern ihre Pianos zu einer Pyramide übereinandergestapelt. Ganz oben saß und spielte er: Mister Brian Auger, der improvisierende Wirbelwind aus England.
Jener Mann, der den Sound der Hammond B3 berühmt machte und die Musikszene der Sechzigerjahre befeuerte wie kaum ein anderer.
Im Wohnzimmer liegen überall Schallplatten und CDs, Songbooks und Notenblätter. Mittendrin sitzt Brian Auger und spielt. Ein Jazzer und Rocker, der mit allen Großen und Größten aufgetreten ist. Ein Pianist und Komponist, über den der legendäre Herbie Hancock sagte: „Er ist einer der besten Hammond-Orgel-Spieler, die ich je im Leben gehört habe.“
Karma, Brian Augers Sohn, in seinem Studio – hier produziert er Songs und Soundtracks in hollywoodreifer Qualität.
Die drei Musiker machen eine kurze Pause, dann sagt Brian Auger, noch immer mit seinem englischen Akzent: „Lasst uns die Nummer noch mal spielen, aber diesmal, Gentlemen, mit ein bisschen mehr Gefühl.“ Los geht es. Die Gitarre macht das Intro: da-da dit-dit, da-da dit-dit, dann setzen die anderen ein – und krawumm!
Schon wieder röhrt der Blues aus diesem Wohnzimmer. Aber die Leute draußen sagen nichts, kein Nachbar, der sich beschwert. Herrgott, sie alle wissen, wer da spielt. Es ist, als bekämen sie ein Gratiskonzert von einem der ganz großen Rockstars der Sechzigerjahre.
Die Profis spielen nicht irgendeinen Song. Zusammen mit seinem Sohn Karma Auger und dem Gitarristen Steve Fister nimmt Brian Auger gerade den „Mercedes Classic Blues“ auf, eine selbst komponierte Hommage an die guten alten Tage, als schnittige Mercedes-Benz durch das Kalifornien der 1960er- und 1970er-Jahre glitten und unter Surfern, Musikern und Hollywoodstars zu heiß begehrten Objekten auf vier meist breiten Reifen wurden.
Es war die Hochzeit der Rockkultur. In der Luft lag der Geschmack von Aufbruch und Rebellion, der Geist von Haight-Ashbury und dem „Summer of Love“. Mit der „British Invasion“ waren viele Bands aus England in die USA gekommen, im Gepäck ein Gemisch aus Beat und Blues, Rock ’n’ Roll und ausgeflipptem Jazz. Jeff Beck, Spencer Davis, die Stones, The Who: Die Namen lesen sich heute wie ein Feuerwerk der Rock-Geschichte – und Brian Auger jammte damals mittendrin. Er kannte sie alle. Er war einer von ihnen.
Hammond-Orgel-Genie Brian Auger hat den MCB, den „Mercedes Classic Blues“, komponiert.
Gitarrist Steve Fister hat sich einen Bottleneck geschnappt und bringt die Six-String zum Singen.
Auger steht nach der Session zufrieden in der Küche, streichelt seinen Hund Echo. In der Ecke lehnen ein Bass, eine Gitarre. Und dann plaudert Brian ein bisschen aus dem Nähkästchen. Weil er die Anekdoten aus den alten Tagen liebt. Weil sie ihm noch im Kopf stecken, als sei es gestern gewesen.
Brian tritt auf den Balkon, sein Satinhemd glänzt in der Sonne. „Mannomann“, sagt er. „Ich kann manchmal selbst nicht glauben, was damals alles passierte. In einem Londoner Club kam eines Abends Jimi Hendrix auf mich zu und fragte, ob er eine Session mit mir machen kann.“
Hendrix sei damals noch ein No-Name gewesen. Er rockte eine Runde mit Augers Band, derweil unten im Publikum Eric Clapton saß und erblasste. Brian erinnert sich: „Eric packte seine Gitarre ein und ging nach Hause.“ Denn dieser Jimi aus Amerika spielte sie alle schwindelig. Hendrix kam danach noch oft in die Londoner Clubs, in denen Brian gerade mit seiner Band spielte, und jammte kurzerhand mit. Wenige Jahre später war Hendrix weltberühmt, galt als der beste und schnellste Rockgitarrist der Welt.
Brian: „Jimi war der liebste Kerl der Welt, aber auf der Bühne ein echter Teufelsgitarrist.“
Mit wem spielte Brian noch? Er überlegt. Ach ja, da waren Alexis Korner, Eric Burdon, Ginger Baker, da waren John McLaughlin, Paul McCartney und … Die Frage muss offenbar anders lauten: Mit wem hat dieser Mann noch nicht gespielt? „Wir waren damals alle eine große Familie“, antwortet Brian. „Wir machten einfach unsere Musik und hatten keine Ahnung, was wir damit lostraten.“
Zusammen mit Kriegers Sohn Waylon tragen die Musiker Instrumente ins Whisky a Go Go. Ort der Show: der berühmte Sunset Strip von L.A.
Dann geht er ins Wohnzimmer, setzt sich an seine alte Hammond B3 und spielt. Einfach so. „Kennt ihr diesen Song?“ Brian spielt „Cantaloupe Island“ von Herbie Hancock, soliert, lässt die Noten sprechen. „Oder diesen? Auch schön, oder?“ Sein Sohn Karma, 51, Schlagzeuger und Produzent, kennt das schon. Musik von morgens bis abends: „So ist das nun mal, wenn dein Dad lebende Musikgeschichte ist.“
Und so fliegen der Blues und der Jazz am Abend durch die kalifornische Luft, selbst dann noch, wenn über der Sunset Avenue längst lilafarben die Sonne sinkt.
Am nächsten Mittag stehen Brian und Karma frisch gekämmt vor der Haustür. Und vor ihnen parkt nun sozusagen das automobile Gegenstück zu ihrem neuen Blues-Song. Ein perfekt erhaltener 300 SEL 6.3 der Modellreihe W 109. V8-Motor, luftgefedert, 250 PS, graublau metallic (DB 906). Baujahr 1969. Ein Bekannter hat den Wagen besorgt: für eine Art Spritztour der Extraklasse, für eine Ausfahrt im Namen der Musik und der lebenden Legenden mit dem perfekt passenden Auto. Brian und Karma Auger nämlich haben mit ihrem – mit unserem – Song und mit dem Sportwagen im Limousinenkleid eine Überraschung geplant.
Brian steigt ein, startet den Motor, betätigt die elektrischen Fensterheber, blickt auf die Rundinstrumente und auf das polierte Makassar-Ebenholz der gepolsterten Instrumententafel. Ja, die alten Zeiten. Es ist, als säße er wieder mittendrin. Die späten Sechziger, die frühen Siebziger. Dann lassen die beiden ihren neuen Song laufen, den „Mercedes Classic Blues“. Drehen auf und cruisen mit dem temperamentvollen Schwergewicht los, einmal quer durch das sonnengeflutete Los Angeles.
Blues im Blut, Benzin im Kopf – Krieger (am Steuer) und Auger sitzen wie immer in der ersten Reihe.
Die Tour durch die „Stadt der Engel“ im 300 SEL 6.3 führt die Musiker über den Pacific Coast Highway direkt am tiefblauen Meer entlang.
Sie fahren mit dem 300 SEL 6.3 am Venice Beach entlang, schweben über den Sunset Boulevard. Und Brian kann es nicht lassen, seine Geschichten zu erzählen. Zum Beispiel wie er mit Keith Moon, dem Drummer von The Who, einmal in England durch eine Galerie spazierte. Es hingen Kunstwerke an der Wand und der Querkopf Moon sagte plötzlich, dass den Bildern etwas fehle. „Was denn?“, fragte Brian. „Schinken“, sagte Moon. „Schinken?“ Daraufhin Moon: „Ja, Schinken, Mann!“ Dann nahm er sein Sandwich und schmierte es mitsamt der Mayonnaise einmal quer über die Gemälde.
„Wilde Zeiten“, sagt Brian kopfschüttelnd. „Wir improvisierten, nicht nur auf der Bühne.“ Er muss nun laut lachen. Es klingt nach E-Dur mit tiefem Vibrato. Bei diesem Mann ist wirklich alles Musik.
Dann biegt er ab, lenkt den 6.3 nach Beverly Hills. Und dort lehnt an einer Ecke nun leibhaftig einer seiner alten Weggefährten. Der Mann trägt knallgrüne Sonnenbrille, Karohemd, eisgraue Haare. „Hey, Robby“, sagt Brian und setzt ein Grinsen auf, fast so breit wie der Pazifik. Die beiden umarmen sich und dann steht Robby Krieger, Gitarrist der Kultband The Doors, vor dem imposanten Mercedes-Benz Klassiker und kann es nicht glauben. „Wow“, sagt er nur. Genau so einen nämlich, genau so einen 300 SEL 6.3, hatte sein Vater 1969 fabrikneu in Kalifornien gekauft – und ihm den Wagen kurz darauf vermacht.
Krieger war da schon ein Held. Er hatte den Hit „Light My Fire“ geschrieben, mit Jim Morrison diverse unverschämte Auftritte hingelegt und mit The Doors die Musikgeschichte neu formuliert. Und nun steigt er voller Vorfreude ein, Mister Krieger, 75, ebenfalls irgendwie sehr jung geblieben. Dies ist Kalifornien, USA. Bühne der Freiheit, Showroom der Träume. It’s noch immer only Rock ’n’ Roll.
Das Ambiente der späten 1960er-Jahre blitzt im blauen Wagen noch immer vor Charme und Wärme. Hier ist alles aus Leder, Holz und Handarbeit.
Für Auger und Krieger ist das Whisky wie ein Wohnzimmer. Die Shows in dem Musikclub sind bis heute Kult – und sie Ehrengäste auf Lebenszeit.
Die Überraschung ist gelungen. Nach über einem halben Jahrhundert sitzt er wieder in „seinem“ alten Mercedes-Benz – natürlich am Steuer. „Der 6.3 fährt sich und fühlt sich genauso an wie damals“, sagt er. „Oh ja, da ist eine geballte Ladung Kraft unter der Haube.“ Der fünf Meter lange, 1,81 Meter breite Wagen entfaltet sofort seine volle Kraft, als der Gitarrenzauberer Gas gibt. Robby hat seinen Sohn Waylon, 47, mitgebracht, der öfter gemeinsam mit dem Vater auftritt und singt; auch Brians Sohn Karma sitzt auf der ledernen Rückbank. Es ist ein Gipfeltreffen der seltenen Art: zwei Generationen und zwei Kapitel der Rockgeschichte. Und das in einem Traumauto, das bereits im Jahr der Mondlandung über Kaliforniens Straßen rollte.
Sie fahren mit der Ende der 1960er-, Anfang der 1970er-Jahre schnellsten Serienlimousine der Welt über den Pacific Coast Highway in Richtung Malibu und Topanga Canyon. Links der Ozean, rechts die Berge. Im Ohr all die Geschichten von früher und der von acht Zylindern untermalte Soundtrack des „Mercedes Classic Blues“. Robbys Urteil: „Sehr cool!“
Die Lässigkeit des schier endlosen Drehmoments überträgt sich auf den Fahrer und die Passagiere. Und wenn so ein Quartett unterwegs ist, kann der Weg nur zu einem Ziel führen: ins Whisky, jenen sagenumwobenen Musikclub auf dem Sunset Strip, der 1964 eröffnete und in dem sich viele Bands in die Rock and Roll Hall of Fame spielten. Im Whisky a Go Go spielten sich The Doors ins Rampenlicht der Rockmusik. Hier wurde auch Frank Zappa berühmt, traten Guns N’ Roses erstmals auf.
Die vier Musiker parken den 1,8 Tonnen schweren Wagen direkt vor dem Eingang. Natürlich sind alle bekannt hier, Robby zu Ehren hängt sogar eine Plakette im Club. Gewidmet jenem Mann, der „Light My Fire“ schrieb und den magischen Song genau hier das erste Mal entzündete.
Ein großes Hallo ertönt, als Krieger mit seiner alten Gitarre hereinspaziert, Brian mit Keyboard und die Söhne Karma und Waylon in ihren Lederjacken. „Die Bühne war früher viel kleiner“, sagt Robby. „Kein Wunder, dass Jim Morrison und ich damals fast immer ins Publikum gekracht wären.“ Es fühlt sich an, als würden die Jahrzehnte zurückgespult, wenn einer wie Krieger so einen Satz sagt. Er stand wirklich da oben in den Sechzigern, zupfte seine rote Gitarre in jenen Momenten, als die Musik Feuer fing.
Es dauert nicht lange, da stehen die vier auf der Bühne. Der Club ist leer. Doch kaum berührt Brian die erste Taste, ist dieser unvergessliche Sound schon wieder voll zu spüren. Diese Noten, die durch Mark und Bein gehen. Dieser ungemein gefühlvolle Blues, der einfach alles überlebt.