Mickey Mouse, Tweety, Dollarzeichen.

Die Traumwelt des Dennis Klapschus beginnt in einem Essener Hinterhof. Wohnhäuser mit schlicht verputzten Wänden, Fenster zum Parkplatz. Auf seinem Briefkasten steht: „Nur Werbung und Reklame erlaubt! Briefe vom Finanzamt und der Stadt Essen verboten.“ Graffiti zieren eine Steinmauer, Mickey Mouse, Tweety, Dollarzeichen, kreischbunte Diamanten. Daneben hat er, groß und grell, einen seiner Weltenträume auf die Essener Realität gesprüht: „Good Vibez“. Ein fast lebensgroßes orangefarbenes Nashorn steht noch im Hof. „Das hat keine Bedeutung“, sagt der Pop-Art-Künstler. „Ich fand es cool, vielleicht male ich es bald mal pink an.“

Klapschus, 36, trägt eine lachsfarbene Jacke, schwarzgold gerahmte Brille, teure Uhr, Jeans, Sneaker. Er winkt die Besucher in sein Atelier, setzt sich an einen schmalen Bistrotisch. Über ihm schwebt ein Himmel aus Plastikpflanzen, Lampen hängen darin wie leuchtende Seesterne, zwei Neonschriftzüge glimmen.

Neonfarben, Lackstifte, Heißluftpistolen: Des Künstlers Werkzeug, mit dem er seine bunten Comic-Welten ideenreich kreiert.

Kaffeepause mit Knalleffekt: Im leuchtenden Neonkasten zerfließen sogar alte Spraydosen zu bunten Kunstobjekten der Begierde.

Die Fantasie blüht.

Der einstige Maurer und Architekturstudent und heute bilderbuchhaft durchgestartete Künstler mit schwarz-blondem Undercut fragt, ob man etwas trinken wolle. Energy-Limo, Kaffee, Champagner? „Einfach bedienen.“ Er zeigt auf den Kühlschrank, der im Raum steht. Leuchtende Plexiglaskästen hängen darüber, zerfließende Spraydosen, Illuminationen schmelzender Eistüten, Comic-Ikonen.

Seine Comic-haften Innenwelten haben längst ihren Weg nach außen gefunden. Im Atelier lehnen die Werke an den Wänden, hängen unter einem Bonanzarad, dekorieren Autoscooter, Handtaschen, Turnschuhe und deuten sogar die Heizungen zu Traumobjekten um. Klapschus bemalt, besprüht, bepinselt und beklebt fast alles. Da steht dann quietschbunt auf einem Heizkörper „Dream so big they call you crazy“. Auf einem anderen prangt ein Leitsatz des Rappers Tupac Shakur: „Reality is wrong. Dreams are for real“. Hier drinnen blüht die Fantasie. Ein lustiges, überbordend farbenfrohes Comic-Elysium.

Die Klapschus’schen Fantasien.

Das Leben des Dennis Klapschus ist inzwischen zu einer Art wahr gewordenem Bonbonladen geworden. Nicht einmal vier Jahre hat der Steigflug in die neuen Umlaufbahnen gedauert. Klapschus kann das manchmal selbst nicht glauben: „Als ich früher Künstler reden hörte, dachte ich, die ticken nicht sauber. Heute bin ich mittendrin.“

Ein Krokodil liegt am Boden, in Nagellackpink. An den Wänden: bemalte Leinwände, Disneys Helden auf Disneys Welten, überzogen von bunten Schlieren und fliegenden Dollarnoten. Pop-Art, übertüncht, übersprayt, übertupft. Die Klapschus’schen Fantasien machen selbst die Konsumwelt zur Comic-Sphäre.

Bemalte Champagnerflaschen, Designertaschen, Shirts und Kirmesautomaten. Fast alle Werke im Atelier sind bereits verkauft: „Wenn ich etwas auf Instagram stelle, ist es binnen Minuten weg.“ Neben all dem Farben- und Figurenfrohsinn scheint die Kundschaft vor allem sein Credo zu enthusiasmieren: Mut machen, nicht aufgeben. Seine Kindheitsträume verwirklichen, an gute Zeiten glauben. Das ist seine Botschaft.

Bei Dennis Klapschus hat das funktioniert – ohne dass er es je geplant hätte. Nach Maurerlehre und Architekturstudium baute er Modelle, entwarf Möbel für Kindergärten. Kunst? „Nein, daran dachte ich damals nicht im Traum.“ Er hatte früh geheiratet und bald zwei Töchter zu versorgen.

Von Kopf bis Fuß auf Magie eingestellt: Dennis Klapschus in seinem Atelier, wo sogar sein Schatten in Rosa auf der Wand erscheint.

Kindheitsfaible für Comics.

Eines Tages malte er seiner Schwägerin ein Porträt zum Geburtstag. Eine schrill besprühte Collage. Er lud das Bild auf Instagram hoch, womit die erste Stufe der Rakete zündete – aus heiterem Himmel. Bekannte fragten an, ein Mann in Frankfurt wollte gleich fünf Stück der poppigen Porträts haben. Auch das Fernsehen fragte an. „Das waren alles noch kleine Bilder“, sagt Klapschus. „Aber ich machte plötzlich 5 000 Euro am Wochenende.“

Dann kam ihm die Idee, sein Kindheitsfaible für Comics in Kunst umzuwandeln und zu überhöhen. „Ich verknüpfe Kindheitsträume mit Motivation“, erklärt er. Und es läuft rund: die Menschen an ihre eigenen Träume erinnern, indem sie sich diese bunt und riesengroß in ihre Wohnzimmer plakatieren können.

Sein zweiter wahr gewordener Traum.

Heute hängen seine Werke bei Stars und Sternchen, sie gehen nach Ibiza und Dubai, er hat einen Showroom auf Mallorca und schon Luxusautos bemalt und Handtaschen, „die so teuer waren, dass mir beinahe der Stift aus der Hand gefallen wäre, als ich den Preis hörte“.

Es folgten Spray-Art-Partys in Düsseldorf, eine Ausstellung auf der Art Basel in Miami, die Anfrage, einen Privatjet zu verzieren – und dann flog die Rakete hinaus Richtung Sterne. Name des Traumfahrtprogramms: dekLart.

Klapschus trinkt seinen Espresso aus, verlässt kurz das Atelier, als seine Frau Shabnam, 36, und seine beiden Töchter reinkommen. Chanel und Soraya sind 12 und 14 Jahre alt und oft die kreativen Sparringspartner beim Ersinnen neuer Ideen. Die beiden sitzen gerade auf dem Nashorn im Hof, als ihr Vater um die Ecke biegt. Diesmal aber in nichts Buntem und Schrillem, sondern in einem großen Schwarzen. 

Er ist sein zweiter wahr gewordener Traum. Auch dieser kam – wie die Kunst – völlig ungeplant zu ihm. Ein S 500 lang, Baujahr 1997, acht Zylinder, 320 PS. Klapschus hat seine S-Klasse gerade aus der Garage geholt, parkt sie im Hof. In glänzendem Schwarz steht der Wagen vor dem Atelier. Und die Geschichte seines Mercedes-Benz hört sich fast ebenso märchenhaft an, wie seine Kunstwerke aussehen: Vor ihm gehörte der Wagen einem „Autoschrauber“ in Essen, bis der ihn nach Bayern verkaufte. Ein junger Mann, der ein griechisches Restaurant in München führt, hatte ihn erworben und fuhr ihn einige Jahre. Bis er die Kunst von Dennis Klapschus sah. Er rief den Graffiti-Künstler an, fragte, ob er ein, zwei Werke erstehen könne. Und fragte dann noch, ganz nebenbei, ob Klapschus nicht jemanden kenne, der zufällig seinen Wagen kaufen wolle. Ein Traum? Ein Zufall? Ein Mercedes, der nach Essen zurückwollte? „Nehm ich!“, beschloss Klapschus, und die beiden wurden sich schnell einig. Der Kurs: zwei Klapschus-Originale zum Geheimpreis.

Ein Mann, kein Traum: „Mach, was dich glücklich macht!“ Mit seiner Lebensdevise hat Klapschus es vom Maurer zum Star-Sprayer geschafft.

Wie am ersten Tag.

„Ich kenne mich mit Autos nicht gut aus“, sagt der Künstler. „Aber hier musste ich nicht überlegen. Mercedes ist eben Mercedes, mehr muss man dazu gar nicht sagen.“

Das Modell gefiel ihm auf Anhieb. Eine Limousine mit Isolierglasscheiben und fulminanter Ausstattung. Klapschus streicht über den Wagen. „Die Qualität ist echt krass.“ Er präsentiert das elektrische Heckscheibenrollo, die damals revolutionären Sitzautomatiken, das ausklappbare Tablett in der Rückenlehne des Beifahrersitzes. „Die Instrumententafel“, sagt er, „volles Programm.“ PARKTRONIC System, Tempomat, Heckdeckel-Fernentriegelung. „Alles funktioniert noch wie am ersten Tag. Und man weiß gar nicht, was satter klingt – die Musikanlage oder der fulminante Sound, wenn die Türen zugezogen werden.“

„Alles – aber nicht meinen Mercedes!“

Dann steigen er und seine Familie ein. Gemeinsam cruisen sie durch Essen. Sie kommen an der „Villa Hügel“, dem ehemaligen Wohn- und Repräsentationshaus der legendären Industriellenfamilie Krupp vorbei, an der Universität, am Botanischen Garten, bis Klapschus den blitzenden S 500 über das Gelände der Zeche Zollverein lenkt. Ein Herzstück des alten Ruhrgebiets und Unesco-Weltkulturerbe.

Zu sehen sind stillgelegte Hochöfen, Schächte, Förderbänder, mittendrin angesagte Designerläden, Lokale und Galerien. Eine neue Bühne vor herber Industriekulisse ist hier entstanden. Dennis Klapschus steigt aus, steht neben seiner S-Klasse. Inmitten der alten, neu erfundenen Fabrikkulisse könnte der Star-Sprayer jetzt glatt auf Ideen kommen. Zum Beispiel seinen 24 Jahre alten Wagen zum fahrenden Kunstwerk umwandeln. Den 140er bunt besprühen und schrill bemalen – wie so ziemlich alles in seinen abgefahrenen Traumwelten. Klapschus überlegt kurz ob des kühnen Gedankens. Dann sagt er entschlossen: „Alles – aber nicht meinen Mercedes!“

Bühne frei: Der 500er parkt stilecht auf dem Gelände der Zeche Zollverein: Klassiker trifft Weltkulturerbe!