Der Badener Carl Benz und der Württemberger Gottlieb Daimler waren vor 135 Jahren Pioniere und Erfinder des Automobils – ohne voneinander zu wissen und nur 130 Kilometer voneinander entfernt. Es ist ein Augenzwinkern der Weltgeschichte, dass seit 1952 die beiden Geburtsstätten des Autos zum gemeinsamen Bundesland Baden-Württemberg gehören, das eine der wichtigsten Regionen der Automobilindustrie weltweit ist. Was Baden und Württemberg außer dem Automobil noch verbindet, ist der Fluss Neckar, der beide Landesteile durchfließt, bevor er bei Mannheim in den Rhein mündet.
Der US-amerikanische Schriftsteller Mark Twain reiste 1878 durch Europa und befuhr dabei den Neckar mit einem Floß. Man sagt, die Floßfahrten im Roman „Die Abenteuer des Huckleberry Finn“, an dem Twain in dieser Zeit schrieb, seien inspiriert von seinen Erlebnissen auf dem Neckar. Mark Twain schilderte in seinem Reisebericht die Landschaft und die Menschen in Deutschland. Über den Neckar schrieb er: „Der Fluss ist an vielen Stellen so schmal, dass man einen Hund von einem Ufer ans andere werfen könnte – wenn man einen hätte.“ Von diesem Eindruck ist der breit ausgebaute Neckar von heute weit entfernt.
Unsere Reise folgt dem Weg Mark Twains nach Heidelberg. Zum internationalen Image der alten Stadt am Neckar haben die Erzählungen des Schriftstellers nachhaltig beigetragen. Und wir unternehmen eine Reise in die Geschichte der Mercedes-Benz Baureihe W 29, die mit den Typen 500 K und 540 K zu den Traumwagen der Welt der 1930er-Jahre gehörte.
Die Karriere des Mercedes-Benz „Typ 500 mit Kompressor“ begann im März 1934 bei der Automobilausstellung in Berlin – und mit einem Paukenschlag: Das neue Modell mit acht Zylindern, fünf Liter Hubraum und 160 PS Leistung bei zugeschaltetem Kompressor wurde ausschließlich als so genannter „Autobahn-Kurierwagen“ gezeigt, „in Einzelspezialausführung für besonders hohe Geschwindigkeiten gebaut“. 1932 war die erste deutsche Autobahn eingeweiht worden, weitere Schnellstraßen folgten. Der Typ 500 stand im Juni 1934 mit sieben Varianten in der Preisliste, außerdem entstanden viele Sonderkarosserien wie die gezeigte Sport-Limousine.
Die Kunden liebten den Typ 500 mit Kompressor (die heute geläufige Bezeichnung 500 K wurde von Daimler-Benz nur selten verwendet) – und sie waren hungrig nach Leistung. Im April 1936 vergrößerte Daimler-Benz daher den Hubraum durch Erweiterung von Bohrung und Hub auf 5,4 Liter. Damit stieg die Leistung auf 115 PS bzw. 180 PS bei Einsatz des Kompressors. Die Typenbezeichnung 540 K wurde erst im September auf die neuen Verhältnisse angepasst.
Von den beiden Modellen der Baureihe W 29 sind von Februar 1934 bis November 1939 insgesamt 761 Fahrgestelle produziert worden. Nur 70 von ihnen wurden im Kundenauftrag bei Aufbauherstellern mit einer Karosserie versehen. Allen anderen schneiderte die Abteilung Sonderwagenbau des Werks Sindelfingen ihr Blechkleid – ein für die Zeit großer Erfolg für den Mercedes-Benz Stil. Unter anderem baute Sindelfingen die abgebildeten Ausführungen Spezial-Roadster und Spezial-Coupé.
Das weiße Cabriolet B ist im letzten Baujahr des W 29 entstanden und gehört zum Bestand des Auto & Technik Museums Sinsheim. Gefahren wird es von Sonja Schäfer, einer Repräsentantin des Museums. Sie ist eine von ganz wenigen Frauen weltweit, die mit den legendären Kompressor-Typen von Mercedes-Benz so selbstverständlich umgeht wie andere mit einem SUV, das von Assistenzsystemen reichlich unterstützt wird. Das nur 1939 angebotene synchronisierte Fünfgang-Getriebe macht den Umgang mit dem Schalthebel einfach, doch die Lenkung ohne jegliche Unterstützung sowie die großen Räder illustrieren speziell bei niedrigen Geschwindigkeiten, dass „Kraftfahrer“ einst eine wörtliche Bedeutung hatte.
Sonja Schäfer und das Cabriolet haben ihr Ziel erreicht: das Heidelberger Schloss. Über die Stadt, die ihnen zu Füßen liegt, hatte Mark Twain 1880 geschrieben: „Man sagt, dass Heidelberg bei Tag – mit seiner Umgebung – die äußerste Möglichkeit des Schönen darstelle; aber wenn man Heidelberg bei Nacht sieht … braucht man Zeit, um das Urteil zu überdenken.“ Bis heute spekulieren Literatur- und Heidelberg-Freunde, ob es reiner Zufall war, dass Twain seiner populärsten Romanfigur den Namen Huckleberry gab. „Huckleberry“ heißt zu Deutsch „Heidelbeere“ …