Älter als sie selbst.

Sie lernen sich gerade erst kennen – und sind sich doch sofort sympathisch. Einfach, weil sie das gleiche Modell fahren: Isabella de Arruda Ilg, 21, Studentin aus Berlin, und Richard Baron von Düsterlohe, Student aus Greifswald in Mecklenburg-Vorpommern, ebenfalls erst 21. Ihre Autos sind viel älter als sie selbst. Wir sind am Potsdamer Platz, mitten in Berlin. Richard ist extra für diese Story mit seinem 350 SL in silbergrau metallic (DB 180), Baujahr 1971, heute Morgen angereist. Seine Freundin Johanna Schuberth, 23, begleitet ihn bei diesem Trip und bestem Wetter in die Hauptstadt. Die beiden Jurastudenten sind sogar beide zusammen sechs Jahre jünger als ihr R 107, der in diesem Jahr 50 geworden ist. „Mein Achtzylinder ist einer der ersten der Baureihe“, sagt Richard stolz.

Isabella (r.), Richard und seine Freundin Johanna lernen sich gerade erst kennen. Ihre SL parken vorm Café am Potsdamer Platz in Berlin.

Ihr Vater hat den nautikblauen R 107 vor drei Jahren gekauft – und Isabella hat Gefallen an dem Klassiker gefunden, der 15 Jahre älter als sie ist.

Unbeschwertheit und Lässigkeit.

Isabella indes – ihre Mutter stammt aus Brasilien, ihr Vater ist Deutscher – hatte nur eine sehr kurze Anfahrt. Sie lebt noch bei ihren Eltern in Berlin-Tempelhof. Und der 280 SL in nautikblau metallic (DB 929), Baujahr 1985, mit dem sie gerade angekommen ist, gehört eigentlich ihren Eltern. Aber sie nutzt den R 107 mit. „Ich feiere das Auto“, sagt die angehende Medienwissenschaftlerin. „Es ist so schön und strahlt eine große Unbeschwertheit und Lässigkeit aus. Man sticht heraus aus der Masse und bekommt oft von Passanten oder anderen Verkehrsteilnehmern ein Lächeln geschenkt.“ Das Fahren mit diesem „Sonnenschein-Auto“ empfinde sie mehr als ein „Flanieren“, schwärmt sie: „In einer pulsierenden Großstadt wie Berlin mit so einem alten, jedoch keineswegs veralteten Klassiker und noch dazu mit geöffnetem Verdeck unterwegs zu sein, das ist für mich Luxus, Lifestyle und Individualität pur. Zudem: Der SL entschleunigt mich, wenn ich mit ihm durch Berlin flaniere.“ Richard und Johanna nicken wissend. Auch sie kennen dieses gute Gefühl. 

Emotionale Angelegenheit.

Sie stamme aus einer „Mercedes Familie“ und sei mit Klassikern aufgewachsen, sagt Johanna. Gemeinsam sitzen die drei nun in einem Straßencafé, bestellen ein kleines Frühstück. Ihre Roadster parken neben ihnen am Bürgersteig. „Mein Vater hatte unseren SL im Jahr 2004 gekauft. Da war ich gerade vier Jahre alt“, erzählt Richard. „Rund zehn Jahre später, kurz bevor er leider viel zu früh verstarb, hatte er ihn dann wieder verkauft. Mit dem Roadster verbinde ich tolle Kindheitserinnerungen und so viele Abenteuer, die Vater und ich gemeinsam erlebt haben. Das schweißte uns zusammen. Wir waren sogar bei Schrauberlehrgängen und reisten mit dem R 107 quer durch Deutschland. Oft Hunderte Kilometer. Wir waren ein Team und der SL, der mich noch immer sehr berührt, eine uns total verbindende Leidenschaft.“

Richard wusste, dass sein Vater den R 107 im Jahr 2014 an einen „älteren Herrn aus den neuen Bundesländern“ verkauft hatte. Als er mit 20 endlich selbst seinen Führerschein gemacht hatte, fasste er den Entschluss: „Ich kaufe unser Auto zurück!“ Er machte den Mann ausfindig, der den 350 SL tatsächlich noch immer besaß. Und vor gut einem Jahr verkaufte er den Achtzylinder an Richard. „Tja, für mich ist das Auto eine sehr emotionale Angelegenheit“, sagt der Jurastudent und bestellt ein zweites Sandwich. 

„Ich pflege und fahre es. Ganz ehrlich: Schöner unterwegs zu sein ist schwer möglich. Ich mag neben all den Erinnerungen an das Auto auch sein zeitloses Design, die Verlässlichkeit, Athletik und ganz besonders den kraftvollen Sound. Und wenn etwas zu reparieren ist, versuche ich es erst mal selbst. Die Schrauberkurse in meiner Kindheit und frühen Jugend waren auf jeden Fall nicht ganz umsonst.“ Ein staunender Tourist fotografiert noch die in der Sonne blinkenden SL samt ihrer jungen Besitzer. „Macht ihr ein Werbeshooting?“, fragt er. „Nein, das sind schon unsere eigenen Autos“, erwidert Richard. Er und Isabella starten vergnügt die Motoren, drehen eine Runde erst über den Potsdamer Platz und dann weiter durch die Straßen von Berlin. Die meiste Zeit fahren sie mit geöffnetem Verdeck, das Wetter gibt es her. Als es kurz zu regnen beginnt, ist das Dach schnell geschlossen. Jeder Griff sitzt. „Hat dein Auto einen Spitznamen?“, fragt Isabella bei einem Stopp in einem Restaurant. „Noch nicht“, antwortet Richard. Sie habe für ihren Roadster einen Namen, sagt die Berlinerin und erklärt ihn: „Als ich 16 war, kauften meine Eltern sich das erste ältere Auto, ein 280 Coupé. Sie tauften es Juliette und ich verguckte mich schon ein bisschen in den C 123. Als ich 18 war, kam der R 107 hinzu. Als ich ihn das erste Mal selbst fahren durfte, hat es richtig bämm gemacht. Es war Liebe auf den ersten Blick, die erste Berührung. Und welcher Name passte zu Juliette? Na, Romeo!“

Die Brüder Leon, 26, und Linus, 27, teilen sich ihre Klassiker brüderlich. Außer den grünen 180 „Ponton“ (W 120, Foto) besitzen sie noch einen 560 SEC (C 126) und einen E 500 (W 124) – beide ebenfalls grün.

Zwei Brüder und drei Klassiker.

Weiter geht die Reise von Berlin in Richtung Süden. Nach Stuttgart. Hier leben die Brüder Linus und Leon Mast, die beide in einem Beratungsunternehmen arbeiten, das sie gemeinsam mit der gesamten Familie betreiben. Linus, 27, hat Betriebswirtschaft studiert, Leon, 26, Internationales Business. Sie teilen sich brüderlich ihre drei Klassiker. Auch die sind alle älter als sie selbst und verraten sofort, welches die Lieblingsfarbe der Brüder in Sachen Autolack ist: Grün! Gerade noch sind Linus und Leon dabei, ihren seegrünen 180 (DB 824), Baujahr 1961, für das Fotoshooting zu waschen und zu präparieren. Sie lachen und albern dabei. „Klassiker zu fahren bedeutet, Spaß zu haben“, sagt Leon: „Unser Vater hat seine Leidenschaft für die schönen Sterne an uns beide zu genau gleichen Teilen vererbt. Bei ihm fing es 1971 an, als er sich einen W 113 in schlechtem Zustand besorgte und die vernachlässigte Pagode wieder flottmachte. Wir wuchsen mit coolen Autos auf und haben schon früh eine starke Bindung zur Marke Mercedes-Benz empfunden.“

Familienbande.

Und wie kamen sie dann selbst an ihren ersten Klassiker? Leon überlegt nicht lange: „Vater meinte eines Tages, in der Schweiz steht ein schöner 560 SEC zum Verkauf. Das war 2012 im tiefsten Winter, ich gerade 16 oder 17 Jahre alt und hatte mir durch Ferienjobs auf dem Bau schon ein bisschen was zusammengespart. Wir fuhren also hin und kauften den C 126 in nelkengrün metallic (DB 261). Ich konnte die Hälfte aufbringen, Linus nutzte die Chance und legte die andere Hälfte auf den Tisch. Wow, wir hatten unser erstes gemeinsames Auto!“ „Das erst mal nur herumstand, denn wir hatten ja noch nicht mal den Führerschein“, ergänzt Linus. „Zudem wollten wir, sparsam wie wir Schwaben nun mal von Haus aus sind, eigentlich noch auf das H-Kennzeichen warten. Davon rückten wir dann aber ab, sobald wir den Führerschein hatten. So ein Auto muss doch gefahren werden!“ „Muss es“, bestätigt Leon lachend. Das Geld, das die Brüder in Autos investieren, haben sie sich schon immer selbst erarbeitet. Verwöhnte Söhne seien sie beide nicht, versichert Linus: „Wir bekommen von unseren Eltern nichts geschenkt, sondern müssen stets selbst anpacken. Das ist in unserer Familie so. Und es ist total okay.“ 

Ihr zweiter eigener Klassiker war dann der seegrüne 180. Zuerst konnte er die Summe sogar alleine aufbringen, erzählt Leon: „Das war vor etwa vier Jahren. Als ich dann jedoch ein kurzfristiges finanzielles Problem hatte, kam Linus wieder ebenso gekonnt wie gewieft ins Spiel. Er überwies mir die Hälfte des Kaufpreises und besaß von da ab dann auch den halben W 120.“ „Er ist der Ideengeber und Initiator, der Macher. Ich bin mehr der Stratege, der Verwalter“, ergänzt Linus. „Ich baue auf“, bestätigt Leon lächelnd, „du erhältst es. Das passt!“ Und ihr dritter Klassiker, der E 500 in malachitgrün metallic (DB 249), Baujahr 1994, wie kam der dann in ihren gemeinsamen Besitz? Jetzt schmunzeln beide Brüder gleichzeitig. Der W 124 gehörte ihrem Vater – und der wollte den Wagen vor etwa zwei Jahren weggeben. Linus und Leon besprachen sich kurz und beschlossen dann einhellig: „Der E 500 bleibt in der Familie, wir kaufen ihn Vater ab!“

Dieses Mal brachten sie die Summe gleich gemeinsam auf. Und bereut haben sie auch das bislang keine Sekunde. Ganz im Gegenteil! 

Leon (links im Bild) und Linus teilen sich auch Kaufpreis, Unterhalt, Versicherung und Fahrspaß. Der C 126, Baujahr 1988, war der erste Klassiker, den sie sich anschafften.

Leichtigkeit ihres Seins.

Leon, der gerne lange Roadtrips unternimmt, schnappt sich nun den Schlüssel des E 500. Linus, der mehr auf Städtereisen steht, den des 560 SEC. Es geht auf die Piste. Raus aus der Stadt, übers hügelige Land. Die sich so vortrefflich verstehenden Brüder haben Spaß miteinander, wechseln unterwegs die Autos und genießen einfach bei milden Temperaturen die momentane Leichtigkeit ihres Seins. Später, in ihrer „Scheune“ nahe Stuttgart, wo sie die Autos oft abstellen und andere junge Klassiker-Fans treffen, warten sie noch mit einer Überraschung auf: Das sichtlich sehr alte Mobiliar in der „Lounge-Ecke“ stamme aus dem Wohnzimmer von Professor Hans Scherenberg, erzählt Linus und lässt sich mit einem Eis in der Hand in einen der Sessel fallen. Es gibt noch einen zweiten. Und dazu ein Sofa, rostbrauner Stoffbezug, gute Patina. Hans Scherenberg (1910–2000) war als Direktor der Pkw-Konstruktion und späterer Daimler-Benz Chefingenieur prägend für viele Innovationen und Fahrzeuge mit dem Stern, etwa den 300 SL (W 198). „Oh ja, der 300 SL, der wäre mal was“, sinniert Linus und schaut vergnügt zu Leon rüber. „Der SL 55 AMG, grüner Lack natürlich, würde mir auch ziemlich gut gefallen“, erwidert Leon. Träume! Doch ein paar haben die beiden Brüder sich ja schon erfüllt. Und der nächste Grüne kommt bestimmt.

Zurück auf die Straße.

Nur wenige Kilometer weiter wohnt ein Mann, der sich gerade seinen Traum erfüllt hat. Einen ziemlich lang gehegten: „Meine fast schon romantische Vorstellung war, dass ich einen runtergerockten, vergessenen Klassiker entdecke, den Patienten für relativ kleines Geld erwerbe und ganz alleine restauriere. Dass ich ihn wieder zurück auf die Straße bringe und eine Menge Spaß mit ihm habe.“ Andreas Gratza, 29, der schon als Vierzehnjähriger an Mofas geschraubt hat, ist von Beruf Airbus-Pilot im Rang des Ersten Offiziers. Doch durch die Pandemie war er auf Kurzarbeit und flog nicht, wie sonst, für eine große Airline rund um die Welt. USA, Indien, China, das waren seine Destinationen, erzählt er. Plötzlich hatte er also eine Menge Zeit und dachte darüber nach, wie er sie nutzen konnte. Schnell reifte der Entschluss: „Jetzt ist die Chance da, um meinen Traum Wirklichkeit werden zu lassen!“ Eins war klar: Es musste ein Mercedes-Benz sein. Ein Roadster oder Cabriolet. Er fand seinen 280 SL in lapisblau metallic (DB 932), Baujahr 1983, in einem Dorf auf der Schwäbischen Alb. 

Airbus-Pilot Andreas, 29, konnte Anfang des Jahres pandemiebedingt nicht arbeiten. Er kaufte sich einen seit 15 Jahren vergessenen R 107 und restaurierte ihn in nur fünf Monaten in der Garage seiner Oma.

Gemeinsam mit Freundin Lauren, 24, bespricht der Erste Offizier die erste größere gemeinsame Ausfahrt mit dem Roadster. Es soll auf jeden Fall in Richtung Süden gehen: „Der Sonne entgegen!“

40 Jahre altes Traumauto.

15 Jahre lang stand er dort nur herum, erfuhr Andreas: „Mäusenester waren drin, die Sitze aufgeschlitzt, der Motor kaum als solcher zu erkennen, die Bremsen so fest, dass wir den Wagen nur unter größter Kraftanstrengung auf den Anhänger schieben konnten.“ Am 19. Januar dieses Jahres machte Andreas sich an die Arbeit. Jeden Tag von sieben bis 18 Uhr, in der Garage vor dem Einfamilienhaus seiner Oma in Ostfildern, circa 20 Minuten vom Airport Stuttgart entfernt. Er pendelte nur noch zwischen seiner Wohnung und der Garage hin und her. Oft schraubte er auch am Wochenende. Das war seine Welt. Sie war vom Winter bis zum Sommeranfang wirklich sehr klein. Fast genau fünf Monate und 900 Arbeitsstunden später war der R 107 fertig – „technisch solide, optisch akzeptabel“, wie Andreas völlig zu Recht befindet. Am 22. Juni war er beim TÜV, bekam den Stempel, verdrückte ein paar Freudentränen und holte dann „überglücklich“ seine Freundin Lauren von der Arbeit ab. „Wir drehten gemeinsam eine große Runde mit geöffnetem Verdeck“, erinnert er sich mit glänzenden Augen. „Das war wirklich fast schöner als fliegen. Dieses beinahe 40 Jahre alte Traumauto gerettet und zu neuem Leben erweckt zu haben, das macht mich total stolz.“

Ein von Vintage geprägtes Lebensgefühl.

Denise Köster, 29, lebt in Oberhausen am westlichen Rand des Ruhrgebiets. Die Kfz-Meisterin arbeitet im Unternehmen ihres Vaters. Ihr Großvater hat das Autohaus Köster (Mercedes-Benz Vertriebspartner und Classic Partner) vor rund 60 Jahren aufgebaut, ihr Vater und ihr Onkel leiten es aktuell – und irgendwann wird sie gemeinsam mit ihrem Cousin die Chefrolle übernehmen. Das ist der Plan. „Wir haben hier sehr viel mit den schönsten Klassikern der Automobilgeschichte zu tun. Ich arbeite mit echt aufregenden Supermodels. Mit rollenden Kunstwerken. Mit Flügeltürern, Heckflossen und Pontons, ich kann sie gar nicht alle aufzählen. Ist klar, dass es für mich immer schon nur eine Automarke gab und gibt“, sagt Denise, die in ihrem Ausbildungsjahrgang (58 Männer, zwei Frauen) die besten Noten von allen Auszubildenden im technischen Bereich hatte.

Auch ihr falle verstärkt auf – in ihrem Bekanntenkreis, bei Ausfahrten und Rallyes –, dass in der Szene gerade ein Wandel stattfindet: „Dass es unter uns Jüngeren angesagt ist, Autos zu fahren, die 20 Jahre oder älter sind.“ Es ist ein von Vintage und Retro geprägtes Lebensgefühl, das sie teilt. Sie selbst hat sich gerade einen 190 E in Barolorot (DB 540), Baujahr 1991, aufgebaut. Nach Feierabend und an den Wochenenden. „Für mich war das nicht nur Arbeit, sondern auch ein echtes Vergnügen“, sagt sie. „An den Klassikern kann ich zeigen, was ich draufhabe als Kfz-Meisterin. Und was mir dabei noch ganz besonders gefällt: Ich tue Gutes in Sachen Nachhaltigkeit und erhalte Werte.“ Und natürlich liebt sie es auch, ihren Baby-Benz zu bewegen. Ihre letzten längeren Ausfahrten führten sie zum Shoppen nach Düsseldorf oder zum Sightseeing in die Niederlande. 

Denise, 29 (mit Zopf), fährt gerne und meist an den Wochenenden mit ihrem baroloroten Baby-Benz und ihrer besten Freundin Jana, 27, hinaus aus der Stadt aufs Land.

Gut aussehender Partner.

An diesem Samstag begleitet ihre Freundin Jana sie. Der Plan der beiden Frauen: Mit dem W 201 zu einem Bio-Hofladen ein Stück außerhalb Oberhausens fahren, geräucherte Würstchen, Obst und Säfte für ein Picknick auf der grünen Wiese besorgen. Sie stellen die Musik laut, drehen die Scheiben herunter und lassen beschwingt ihre Haare im Fahrtwind dieses milden Tages tanzen. Ist es eigentlich Zufall, dass ihr W 201 fast gleich alt ist wie sie selbst? „Er ist wenige Monate älter als ich“, antwortet Denise augenzwinkernd. „Ich habe mir gezielt diesen so gut aussehenden Partner ausgesucht, weil er auch altersmäßig perfekt zu mir passt.“