Willkommen im Film, willkommen in der Toskana.

Die mit verdunkelten Scheiben versehene Schiebetür des Flughafenshuttles gleitet zur Seite und man steht: mitten in einer Filmkulisse. Die hügelige Landschaft mit ihren Weinbergen, Olivenhainen und akkurat aufgereihten Säulenzypressen wirkt, als habe ein Filmset-Designer sie erschaffen. Und das weiche, warme Licht? Kann nicht von der Sonne kommen, die in Deutschland scheint, es muss von einem Beleuchter gesetzt worden sein. Willkommen im Film, willkommen in der Toskana. Die nächsten Tage bildet diese kinoreife Kulisse den Hintergrund zu einem besonderen Filmdreh. In den Hauptrollen: 13 Menschen und 8 Oldtimer. Das Thema: eine Liebesgeschichte, natürlich.

Schauplatz unzähliger Filmklassiker.

Unter anderem drei Ehepaare, ein alleinreisender Mann und zwei befreundete Schwager haben eine besondere Reise gebucht: Dreimal übernachten sie in einem fünf Jahrhunderte alten Adelssitz, der zum Luxushotel umgebaut wurde. Jeden Morgen verlassen sie das Borgo Scopeto Relais nahe Siena mit Schildmützen auf dem Kopf, um mit verschiedenen Mercedes-Benz SL Roadstern aus den 1960ern und 1970ern super leicht (SL eben) durch eine Landschaft zu fahren, die seit jeher zu den Sehnsuchtszielen der Deutschen zählt. Nicht ohne Grund war die Toskana Schauplatz unzähliger Filmklassiker.

Die Reisenden und ihre Wünsche.

Die Reisenden und ihre Wünsche sind so verschieden wie die Lackierungen der Fahrzeuge, die noch abgedeckt unter Planen im Hof auf sie warten: Da gibt es zum Beispiel das Ehepaar Bernd und Karin aus Flensburg. Beide wollten schon immer in die Toskana. Und Bernd träumt schon lange von einem „Pagoden-SL“. Da gibt es die Schwager Kai und Marc, von denen der eine zwar einige Klassiker besitzt, aufgrund der Arbeit aber nie dazu kommt, sie zu fahren: Jetzt hat die Familie die beiden auf die Reise geschickt, Classic Car fahren zwangsverordnet sozusagen. Und es gibt den alleinreisenden Erhart, der jedes technische Detail der Fahrzeuge zu kennen scheint.

Liebe zu Auto-Klassikern.

Eines eint die Reisenden aber: die Liebe zu Auto-Klassikern. Und der Wunsch, sich keine Minute Fahrspaß entgehen zu lassen: Die Hauptdarsteller (oder Nebendarsteller?) sind vor der ersten Tour so pünktlich bei Reiseleiter Johannes, wie es sonst nie bei Reisegruppen vorkommt. Autos werden inspiziert und „reserviert“. Johannes klärt auf, dass in den kommenden Tagen die Autos durchgetauscht werden. Kollektives Aufatmen. Später beim Abendessen wird geschwärmt, verglichen, gefachsimpelt: der Motorensound! Die Straßenlage! Diese Formensprache! Und überhaupt: Wie man sich so fühlt, hinter dem Steuer! Der Autoliebling wird auch schon gekürt: Der R107 sei schön und wunderbar, findet die Reisegruppe. Der Pagoden-SL sei aber sehr schön und ganz wunderbar, finden erst recht alle.

„And action!“

Von beiden Modellreihen stehen je vier Exemplare bereit. Ja, die sogenannte Pagode. In den letzten Jahren hat sie sich weit auf die vorderen Ränge der Oldtimer-Charts geschoben. Viele Classic-Fans sind Kinder der 1960er und verbinden mit ihr frühe Auto-Träume. 1963 auf dem Genfer Automobilsalon vorgestellt, trat die Baureihe mit dem Werkscode W113 ein großes Erbe an: Sie sollte das Beste aus 300 SL, dem Wagen mit Rennsport-Genen, und dem Boulevard-Cruiser 190 SL auf sich vereinen. Das gelang so virtuos, dass Klassikliebhaber sie heute mehr denn je schätzen. Und dass die Pagode - sie erhielt ihren Namen wegen des aus Stabilitätsgründen leicht konkaven Hardtops – Menschen zu Klassikliebhabern macht, die bis dahin noch keine waren.

Der R107 wirkt maskuliner, muskulöser, weniger zierlich als sein Vorgänger, den er 1971 ablöste. Er verkaufte sich gut: in 18 Jahren 237 287 Mal. Im Rennen um feines Auftreten muss er sich im Urteil der Reisegruppe dennoch dem W113 geschlagen geben: die formschöne Anordnung von Drehzahlmesser, Tankanzeige und Tacho! Der ganze Chrom! Die schlank seitlich rechts im Fußraum angebrachte Feststellbremse! Motoren heulen auf, Herzen schlagen höher, dann verlässt die Fahrzeugkolonne über die von Säulenzypressen gesäumte Kieseinfahrt das Gelände. Die Sicherheit ist da, der Mut kommt dazu, erste Reifen drehen beim sportlichen Anfahren durch. Jetzt wollen alle die Fahreigenschaften ausloten. Kamera läuft: „And action!“ Sinnliche Fahrzeuge in sinnlicher Kulisse.

Wie die Orchesteruntermalung großer Kinofilme.

Das vereinte Motorengeräusch des SL-Rudels klingt wie die Orchesteruntermalung großer Kinofilme. Dann löst sich die in der Sonne funkelnde Perlenkette auf. Jeder fährt sein eigenes Tempo, alle erleben auf der Route das atemberaubend abwechslungsreiche Spiel von Licht und Schatten in den Waldpassagen (der Beleuchter!), gleiten durch prachtvolle Alleen und über einsame Landstraßen. Man sieht mittelalterliche Burgen, abgelegene Klöster und sich im sanften Wind wiegenden Weizen (der Setdesigner!). „Il Ristoro“, eine kleine Bar in Ville di Corsano, ist der Ort, an dem die Gruppe wieder zusammenfindet: atemlos, strahlend und mit so hoch gezogenen Mundwinkeln, als hätten die Roadster keine Frontscheibe und hätte der Fahrtwind das Lächeln in die Gesichter gezeichnet.

Wie Schauspieler eines (Action-)Films.

Einen Espresso, bitte! Die Motoren der abgestellten Autos knistern wie die Spannung, die bei guten Filmen in der Luft liegt. Nach einem kurzen Stopp geht es endlich weiter. Wieder durch prachtvolle Filmkulissen. Und vor allem: vorbei an freundlichen Menschen, die den Autos zuwinken. (Während des Espresso-Stopps wurden die vierrädrigen Stars bereits intensiv von den Einheimischen begutachtet.) Bald fühlen sich alle Reiseteilnehmer wie Schauspieler eines (Action-)Films oder zumindest wie Teilnehmer der Klassiker-Rallye Mille Miglia.

Postkartenmotiv Toskana.

Schon bei Tempo 70 beginnt – vor allem im Pagoden-SL – ein kleiner Geschwindigkeitsrausch. Denn obwohl sehr geschmeidig im Umgang, beschleunigen die W113 egal in welcher Motorisierung rasant, krallen sich in Kurven in den Asphalt, halten stoisch ihre Linie. Glücklich steuert man das Fahrzeug durch das wahr gewordene Postkartenmotiv Toskana, genießt den Sound des Motors und den Geruch von Lavendel bis zum nächsten Zwischenstopp. Okay, kurz losreißen vom Oldtimer: Bernd und Karin erkunden die Stadt Pienza und besuchen ein Delikatessengeschäft für Käse. Kai und Marc kaufen eine Flasche edlen Chianti im Weingut Badia a Coltibuono. Aber eigentlich warten alle nur auf die Weiterfahrt.

Die letzte Klappe ist gefallen.

Reiseleiter Johannes nimmt es gelassen. Er kennt den Reiz der beiden Mercedes-Benz Modelle, weiß um den Fahrspaß, dem er selbst erlegen ist: Um die Reisegruppen zu begleiten, nimmt der Mitarbeiter eines Münchener Ingenieurbüros jedes Mal Urlaub. Vor sechs Jahren fing er als Student an, mittlerweile weiß er längst, wie sich die Teilnehmer am Ende der Reise fühlen, wenn sie am vierten Tag nach über 500 Kilometern die Oldtimer zurückgeben müssen. Wie Filmschauspieler, die nach einem leidenschaftlichen Filmdreh das finale „Cut“ hören. Die letzte Klappe ist gefallen. Zum Glück gibt es von den meisten Filmen heutzutage eine Fortsetzung. Da capo.

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