Ich bin frisch verliebt! Er ist viel jünger als ich, ein Granatenmacho mit erstklassigem Benehmen, ganz großes Kino im Auftritt. Eine nette Großfamilie hat er auch: tolle Eltern, erstklassige Verwandtschaft – alles perfekt!! Wenn er vorbeikommt, dann passieren gleichzeitig folgende Prozesse des Verliebtseins: Atem anhalten, Adrenalinpumpe durch Herzklopfen und umgekehrt, akute Kopfverdrehung, Nackenstarre, Augenrollen, Kloß im Hals. Anfassen, wenn keiner guckt. Er ist so etwas wie mein George Clooney auf Rädern. Nur: Er passt überhaupt nicht in mein gewohntes Beuteschema.
Ich bin frisch verliebt, aber nicht in einen Klassiker, sondern in einen blutjungen Mercedes-AMG GT Roadster*. Und jetzt? Quelle misère …
Das Ganze hat sich zwischen uns angebahnt, als wir uns das erste Mal gesehen haben. Danach habe ich ja noch am 22. Mai einen relativ lockeren, fast schon witzigen Beitrag auf dem Daimler-Blog geschrieben. Mittlerweile aber ist es ernst geworden. Er geht mir nicht mehr aus dem Kopf. Aber wie ist er da überhaupt reingekommen? Darüber habe ich schon intensiv nachgedacht. Es muss das Design-Destillat von stilvoller Eleganz mit ultramoderner Hightech-Raffinesse sein, plus die Extraportion an Sportlichkeit (die mir leider fehlt, wir würden uns also wirklich gut ergänzen). Ich liebe diesen als großartige Metapher für Schnelligkeit gebauten Charakterzug. Er sieht nach ultimativer Willensstärke und konsequenter Unabhängigkeit aus. Die Vorstellung einer Höchstgeschwindigkeit von über 300 km/h erscheint mir wie die Vorfreude auf ein neues Leben. Vor allem könnten mein 380 SLC und mein Strich-Acht Coupé von 1972 endlich aufatmen und sich von meinem Fahrstil erholen. Der GT Roadster ist gewiss härter im Nehmen.
Auch mein Alltag wäre anders. Ich müsste nie mehr Mineralwasser kistenweise einkaufen, allerdings auch auf kleinere Familien- und Mitarbeiterausflüge in der Stadt verzichten. Ich wäre bereit abzunehmen, damit ich besser in den Sitz passe. Vielleicht fange ich vor lauter Glückseligkeit sogar an, über Technik zu schreiben. Ich liebe funktionierende Technik, aber ich schreibe halt nie darüber. Es reicht mir, wenn sie funktioniert. Vergangenen Sonntag brachte mich die Zeitungslektüre allerdings in eine Konfliktsituation. Dort sind im Automarkt alle Jahrgänge direkt nebeneinander aufgelistet: Zu verkaufen! SLS AMG Roadster, obsidianschwarz, Vollausstattung – das liest sich doch wie eine Anleitung zur Völlerei.
Direkt daneben folgende Verkaufsanzeige: Mercedes-Benz 300 SL Coupé, 1955, mittelrot, traumhafter Zustand. Darum geht es doch – das Fahrzeug muss seinen Fahrer in einen traumhaften Zustand versetzen!
Wenn ich mir jetzt den Mercedes-AMG kaufe, kann ich diese Kolumne nicht mehr schreiben. Die schmeißen mich raus. Ich muss also Prioritäten setzen. Oder ich kaufe ihn und verrate es niemandem. Schließlich ist er nicht nur mein jugendlicher Liebhaber, sondern auch ein Klassiker der Zukunft.