Selten ist der Autor so gespannt auf die Protagonisten einer Geschichte gewesen. Die drei sind sehr jung, und alle verbindet die Leidenschaft für Klassiker – speziell für deren Technik: Lukas, 23, und seine Freundin Maria, 20. Dazu kommt Magdalena, 14. Die Schülerin ist Lukas’ Schwester und hat an diesem Freitag ganz offiziell schulfrei bekommen, weil das Mercedes-Benz Classic Magazin für zwei Tage zu Besuch ist.

Der Ort der Story: die von Bergen mit teils schneebedeckten, teils weit über 2 000 Meter hohen Gipfeln gesäumte Gemeinde Nassereith in Tirol, Österreich, rund 2.200 Einwohner und knapp 60 Kilometer von Innsbruck entfernt. Ein idyllisch im Tal gelegenes Dorf am berühmten Jakobsweg mit plätschernden Bächen und Wasserfällen, kristallklaren Seen und viel gepflegtem Fachwerk inmitten der Alpen. Man kann Forellen, Stein- und Seeadler, Gämsen und Rotwild beobachten. In diesem malerischen Ort, 840 Meter über dem Meeresspiegel gelegen, möchte man wandern, klettern, die Seele baumeln lassen, einfach Urlaub machen. 

Lukas hat die Werkstatt gerade erst übernommen.

Maria, Magdalena und Lukas warten schon vor ihrer am Fuße des Steilhangs gelegenen Werkstatt. Draußen parkt Lukas’ weißer „Strich-Acht“ (W 115), den er vor ein paar Jahren zum bestandenen Abitur von seinem Vater geschenkt bekommen hat. Schon beim Kauf des Wagens vor rund 20 Jahren war Lukas dabei. Und bereits als kleiner Junge hat er seinem Vater geholfen, den 220er in der familieneigenen Scheune zu reparieren.

Zudem parken zwei sehr exklusive Kundenfahrzeuge vor der Werkstatt: ein 170 S Cabriolet A (W 136), Baujahr 1951, nur 997 Exemplare gebaut, und ein Evo II von 1993, von dem es nur 502 Exemplare gab. Drinnen, im schummrigen Licht der Werkstatt, stehen – neben einem Fiat und einem Cadillac – noch weitere Klassiker mit Stern: ein 190 SL (W 121), eine 230 SL „Pagode“ (W 113) und eine 190 D „Heckflosse“ (W 110). „Dies hier ist genau der Ort, wo ich meinen Traum leben möchte“, sagt Lukas. Er macht eine kurze Pause und lächelt in die Runde. „Wo wir unseren Traum leben wollen.“ Die Werkstatt ist 600 Quadratmeter groß und mit allem ausgestattet, was nötig ist: Hebebühnen, Werkzeugkisten, Spezialwerkzeuge, Regale voller Ersatzteile, Motorständer, Stauch- und Streckgeräte für den Karosseriebau, eine Punktschweißzange, Richtbank, Plan- und Ventilschleifmaschine, einen Sandstrahlkasten, sogar einen voll ausgestatteten Lackierraum gibt es hier. Lukas hat die Werkstatt erst vor wenigen Monaten von einem 86-jährigen Kfz-Meister übernommen, der sie hier in den vergangenen 30 Jahren betrieben und sich einen treuen Kundenstamm aufgebaut hat.

Viele der Klassikerliebhaber kommen aus den umliegenden Tälern und Gemeinden, einige auch aus der Schweiz, Italien oder Deutschland. Die Ablöse, die der alte Meister für Ausstattung und Einrichtung aufgerufen hat, war sehr fair, erklärt Lukas. Die Miete? „600 Euro im Monat plus 100 Euro für die Nebenkosten“, antwortet der junge Unternehmer, der erst noch eine Internetpräsenz aufbauen muss.

Doch jetzt ruft andere Arbeit. Lukas öffnet die Motorhaube des Evo II und startet den Motor. Sein Besitzer hat den – wegen seiner DTM-Erfolge legendären – Sportwagen erst gestern hierhergebracht. „Er hat sich anfangs schon ein bisschen gewundert, weil ich noch so jung bin“, erklärt Lukas, der weiß, dass nur zufriedene Kunden wiederkommen. „Vielleicht hatte er deshalb zuerst auch ein paar Bedenken. Aber im Gespräch hat er gemerkt, dass ich etwas von dem verstehe, was ich mache.“

Der Evo II läuft nicht perfekt. Etwas stimmt nicht mit dem Motor. Lukas’ Aufgabe ist es nun, nach dem Fehler zu forschen – ihn zu beheben. Abwechselnd betätigen die drei das Gaspedal, checken die Motorgeräusche. „Lukas, ich glaube, es ist der Volllastschalter“, sagt Maria. „Der spricht beim Gasgeben nicht richtig an.“ Sie beschließen, eine Probefahrt zu machen. Die Geschwister setzen sich in den Evo II, Maria fährt im 220er hinterher. Abseits der Hauptstraßen machen sie den „Soundcheck“: Maria und Magdalena stehen am Straßenrand und spitzen die Ohren, Lukas fährt in verschiedenen Tempos vorbei. Zurück in der Werkstatt begutachten sie den Motor nochmals. „Maria hatte vermutlich recht mit ihrer ersten Einschätzung“, resümiert Lukas jetzt. „Der Volllastschalter ist ja auch leicht verbogen. Er könnte tatsächlich der Grund sein.“ Nach dem Wochenende werden sie weiter forschen. 

Der nächste Tag. Samstag. Maria und Lukas drehen mit dem 220er eine Runde durch die Tiroler Traumlandschaft. Es geht über kurvenreiche Straßen und Pisten, die ideal sind zum Cruisen. Unterwegs erzählen sie, wie sie zu ihrer Leidenschaft kamen. „Das liegt bei mir eindeutig in den Genen“, sagt Lukas. „Großvater und Vater fuhren viele alte Mercedes. Die Baureihen 111, 114, 115, 123, 124. Sie brachten ihre Autos nie in die Werkstatt, sondern machten immer alles selbst. Und ich war früh dabei. Schon mit sechs Jahren nahm mich mein Vater, der hauptberuflich stellvertretender Schuldirektor, aber im Nebenberuf leidenschaftlicher Schrauber und Bastler ist, mit in die familieneigene Werkstatt in einer Art Scheune. Er hat mich immer motiviert und gesagt, dass ich Talent habe. Er und Opa waren meine ersten Lehrmeister. Sie zeigten mir alles. Ich war wissbegierig, lernte schnell. Der erste Wagen, an dem ich richtig mitschraubte, war der 220er, den ich heute fahre. So kristallisierte sich sehr früh mein Berufswunsch heraus: Ich wollte Oldtimer restaurieren. Man muss kreativ sein, sich immer was einfallen lassen, Lösungen finden, das wird nie langweilig. Ich liebe, was ich tue.“ Maria lächelt und nickt wissend. „Das alles kenne ich auch. Ich bin auf einem Bauernhof aufgewachsen und habe meinem Vater schon im Alter von zwei, drei Jahren die Schraubenschlüssel gereicht, wenn er den Traktor reparierte“, sagt sie.