Die Fledermaus entsteht 1971, als Wolf Gast sechs Jahre alt ist. Sie wirkt eher wie ein Fuchs, dem Beine und Flügel gewachsen sind. Doch diese Radierung markiert den Beginn einer bemerkenswerten künstlerischen Entwicklung. „Damals durfte ich im Tübinger Atelier meines Großonkels Fritz Springer (Fris genannt) mein erstes Kunstwerk herstellen. Das war faszinierend, denn mein Onkel war zu diesem Zeitpunkt bereits ein angesehener Maler und Grafiker“, erinnert sich Wolf Gast.
Der Großonkel arbeitet mit Resopal anstatt Kupfer als Material für die Druckplatten. Dieser Rohstoff ist nicht nur billiger, sondern auch härter, so dass Fritz Springer größere Auflagen pro Platte drucken kann. „Ich hatte als Sechsjähriger allerdings große Mühe, genug Kraft aufzubringen, um mit einer Eisennadel mein Bild einzuritzen. Doch als ich es endlich fertig hatte, war ich als vermeintlicher kleiner Vampir natürlich sehr stolz auf meine Fledermaus“, lacht Wolf Gast.
Auch der Großonkel ist zufrieden. Der 1912 in Stuttgart geborene Künstler hinterlässt nach seinem Tod 2008 hunderte Druckgrafiken, Bleistift- und Tuschezeichnungen. Viele davon werden heute im Tübinger Stadtmuseum gezeigt. „Mein Großonkel hat mich stark beeinflusst. Ich habe mich mein ganzes Leben lang mit Kunst beschäftigt, vor allem mit Kunst auf Papier. Gerne arbeite ich auch mit Bleistift, Aquarellfarben oder Kohle“, sagt Wolf Gast.
Während des Studiums beschäftigt sich Wolf Gast auch mit Computergrafik und digitaler Bildgestaltung. „Erst 2011 bin ich wieder zur Druckgrafik gekommen. Weil mein Großonkel zu dem Zeitpunkt leider bereits tot war, bin ich bei verschiedenen Künstlern in die Lehre gegangen, um das Handwerk der einzelnen Drucktechniken wie zum Beispiel Linol- oder Holzschnitt zu erlernen. Meine Leidenschaft war aber bald der Siebdruck“, erklärt Wolf Gast.
Zu seinen Vorbildern zählt natürlich der Großonkel. „Er verwendete Farben sehr sparsam. Das spiegelt sich in meinen Arbeiten wider. Ich gehe ebenfalls vorsichtig mit Farbe um und setze sie gezielt ein“, sagt Wolf Gast. Auch Andy Warhol habe ihn stark inspiriert. „An ihm kommt man nicht vorbei, wenn man sich im Pop-Art-Genre betätigt. Und zwischen seiner Serie ‚Cars‘ von 1986 und meiner Auto-Kunst gibt es natürlich Parallelen. Ich mag aber auch die Grafiken von Robert Indiana, weil sie so reduziert sind und Farbe ganz bewusst eingesetzt wird.“
Wolf Gast stellt seine Siebdrucke – sogenannte Serigrafien – unter dem Motto „Automobile Kunst made in Stuttgart“ her. „Alle entstehen in Handarbeit. Eine Auflage umfasst in der Regel nur neun Blätter pro Motiv“, erklärt Wolf Gast. Zunächst gestaltet er das Grundkonzept am Mac, dann zerlegt er es in die verschiedenen Farbebenen. Von jeder Ebene wird ein Film erstellt, der auf je ein spezielles Sieb belichtet wird. Dann werden diese Schablonen entwickelt.
Die belichteten Stellen der Schablonen decken später das Papier ab, so dass die Farbe nur durch die offenen Bereiche dringen kann. Die Farbe drückt Wolf Gast mit einem Rakel von Hand durch das Sieb. Anschließend muss sie trocknen. „In der Regel verwende ich zwischen drei und sechs Sieben“, erläutert Wolf Gast. „Mit jedem weiteren Sieb und Druck steigt natürlich die Wahrscheinlichkeit, dass etwas schief geht. Man muss also sehr geduldig und sorgfältig arbeiten.“
Alle Drucke bis zum Format DIN A2 kann Wolf Gast in seinem eigenen Atelier anfertigen. Für größere Arbeiten nutzt er die Werkstätten im Künstlerhaus Stuttgart, in dem er Mitglied ist. Nicht nur Automobile aus Stuttgart, sondern auch andere Sujets haben es ihm angetan. „In den letzten zehn Jahren habe ich mich unter anderem mit der Aktzeichnung beschäftigt. Wer sie beherrscht, lernt viel über die Gesetzmäßigkeit von Proportionen“, meint er. Auch die Themen Architektur, Landschaft und Porträt interessieren Wolf Gast.
Doch klassische Automobile beeindrucken ihn besonders. „Das ist seit meinem ersten Auto, einem Käfer Cabriolet, so. Und weil ich im Remstal, in Schorndorf und der Region Stuttgart aufgewachsen bin, hatte die Marke Mercedes-Benz großen Einfluss auf mich – allein schon, weil sie das Straßenbild der letzten 50 Jahre dominiert. Ich war schon immer ein Fan Stuttgarter Ingenieurskunst. Da schließe ich das Käfer Cabriolet ein, dessen Prototyp ja in der Porsche-Villa am Feuerbacher Weg entstanden ist.“
Wolf Gast widmet sich Mercedes-Benz Automobilen aus allen Epochen. „Der Vorteil ist, dass Mercedes-Benz immer großen Wert auf schönes Design gelegt hat. Meine Bandbreite reicht deshalb von der Daimler-Motorkutsche über beliebte Klassiker bis zum Formel-1-Rennwagen der Neuzeit“, erklärt er. Gefragt seien vor allem Ikonen wie der 300 SL oder verbreitete Klassiker wie der R 107. „Kürzlich habe ich übrigens eine Vespa von 1956 gekauft. Diese italienische Schönheit könnte mir auch gut Modell stehen…“
Als studierter Wirtschaftsinformatiker ist Wolf Gast bei Daimler für das Design und die Entwicklung von Vertriebssoftware zuständig. Schon 1984 nennt er seinen ersten PC sein Eigen und entwickelt zeitgleich mit Windows 1.0 eine grafische Benutzeroberfläche. „Diese Benutzeroberfläche wurde in den Stadtwerken Fellbach verwendet, bis Microsoft Windows ausgereift und frei von Kinderkrankheiten war“, blickt der Softwareentwickler nicht ohne Stolz zurück.
Die Kunst ist für ihn der ideale Ausgleich zu seiner Arbeit. „Während der kreative Anteil bei Software gemessen am Zeitaufwand der Gesamtentwicklung wesentlich geringer ist, verhält es sich bei meiner Kunst genau umgekehrt. Idee und Konzept benötigen die meiste Zeit. Außerdem ist Softwareentwicklung Teamarbeit, während meine Kunst eine Individualleistung darstellt. Einen perfekteren Ausgleich kann ich mir kaum vorstellen.“
Mittlerweile werden die Arbeiten von Wolf Gast auch über die Grenzen von Stuttgart hinaus ausgestellt und können in verschiedenen Galerien erworben werden. Informationen hierzu gibt es unter www.wolf-gast.de. Das Mercedes-Benz Classic Center in Fellbach zeigt außerdem eine ständige Ausstellung mit wechselnden Werken. Auch im Mercedes-Benz Shop im Internet gibt es offizielle Mercedes-Benz Classic Produkte mit Grafiken von Wolf Gast, zum Beispiel in der Serie „Heritage“.
Und die Zukunft? „Ich möchte gerne neue Techniken ausprobieren“, sagt Wolf Gast. „Von der Collage über den Prägedruck bis hin zur Skulptur im Bronzeguss kann ich mir vieles vorstellen.“ Seine jüngste Tochter – er ist „glücklich liiert“ und Vater von drei Kindern im Alter zwischen neun und 21 Jahren – arbeitet bereits gerne mit ihm im Atelier. Weitere Kunstwerke aus der Familie Gast sind also zu erwarten.