Letzte Woche peitschte noch ein Orkan über Südafrika, wehte Bäume um, pustete Autos ins Meer. Nun aber scheint endlich wieder die Sonne. Rotbraun leuchtet der Tafelberg, der Asphalt auf den Straßen ist getrocknet. Und jetzt kann sie beginnen, diese Geschichte über eine Passion, die wohl eher eine Obsession ist. Eine Geschichte, die von zwei Männern und vielen Autos handelt, von Jungenträumen und Kindheitserinnerungen. Es geht darin um Öl- und Benzingeruch, um die gesteigerte Hinwendung zu altem Blech. Und, ja, um Afrika.
Chris Carlisle-Kitz freut sich des Lebens. Unten am Kap strahlt nicht nur die Sonne.
Waldo Scribante am Steuer seines 280 SE 3.5 Coupé.
Die beiden Herren steigen in ihre Autos, ein früher Morgen in Kapstadt. Da ist Chris Carlisle-Kitz, 72, mit Lederjacke und schneegrauem Bart, geboren in Tansania. Ein Tausendsassa, der schon in vielem machte, der dem Tod einmal von der Schippe sprang und auf die Frage, wie viele Autos er in seinem Leben besessen hat, antwortet: „Ich sage das lieber nicht.“ Statt eine Zahl zu nennen, dreht er den Zündschlüssel. Der 300 SE mit seinen langen Heckflossen, Baujahr 1964, springt an. Der Motor kommt in Wallung, ein schwerer, tiefer Rhythmus.
Dann ist da Waldo Scribante, 55, großer Hut auf dem Kopf, große Kühlerhaube vor der Nase. Sein Jeanshemd trägt den Schriftzug „Mercedes-Benz Klub Suid-Kaap, Startnummer 21“. Er sitzt hinter dem Lenkrad seines 280 SE 3.5 Coupé, dem Wagen mit dem roten Interieur, Baujahr 1970, so penibel restauriert, lackiert und poliert, dass sich der Tafelberg beinahe ungebrochen darin spiegelt.
Auf die Frage, wie viele Autos er besitzt, sagt Waldo Scribante trocken: „Fünfzig. Die Modellautos natürlich nicht mitgezählt.“ Und er schiebt noch nach: „Ich kann nicht aufhören, Autos zu sammeln. Geht nicht.“
Chris und Waldo. Zwei dem Automobil Verfallene. Sie fahren los. Eine kleine Spritztour soll es werden, so wie sie es oft machen. Diesmal: zum Kap der Guten Hoffnung, zum südlichsten Punkt Afrikas. Die beiden fahren aus schierer Freude an den Automobilen. Sie lieben das Chrom, die Ventile, die Technik einer pneumatischen Federung; jede Ziernaht der alten Wagen kennen sie aus dem Effeff. Vielleicht aber steckt noch mehr dahinter. Ein Traum, der sich schon früh in ihre Herzen brannte. Weites, freies Land. Staubwolken am Horizont, blökende Rinder, dazu der Geruch alter Ölwannen – und die beiden, noch Kinder, am Steuer.
Raus aus der Stadt, Schönes im Sinn: Von Kapstadt aus geht es gen Süden.
Die beiden Mercedes-Benz rollen unter dem Tafelberg entlang, der Blick über Kapstadt öffnet sich. In der Ferne der Hafen, die Ufer der Tafelbucht. Wie Zeitmaschinen schweben die Autos dahin. Die kleinen Seitenspiegel, die elfenbeinfarbenen Lenkräder. Schwere Chromeinfassungen ziehen sich um die Scheinwerfer, die holzvertäfelten Armaturenanlagen entsprechen bis zum letzten Detail dem Original. Sogar das alte Radio, das „Becker Grand Prix“, ist noch immer verbaut. Und was für eine törichte Frage: Natürlich funktioniert es!
Die beiden SE geben ein schönes Paar ab. Seit gut 50 Jahren sind die beiden Wagen auf Achse, restauriert in Hunderten Stunden Arbeit, bis zum letzten Schräubchen der Scheibenwischer. Woher kommt der Wille, sich diesem Hobby derart zu verschreiben? Chris: „Es ist wie eine Sucht. Und das ist gut so. Wer nicht wenigstens eine echte Leidenschaft hat, der kann sich gleich ein Loch graben und reinspringen.“
Es war ein langer Weg, der Chris zu seiner Passion führte. Er studierte erst Literatur, wurde später Lehrer, Manager und Hühnerfarmer, bis ihn die Legionärskrankheit so böse erwischte, dass er fünf Jahre lang um sein Leben kämpfte. Er überstand die dunkle Zeit und wagte einen Neustart: als Autorestaurator. Er brachte sich vieles selbst bei, in Abendkursen, mit Büchern, gründete eine kleine Firma – und es folgte Auto auf Auto, das er mit eigenen Händen wieder aufmöbelte. Vor allem alte Mercedes-Benz verließen seine Werkstatt, Chris kann all die Modelle schon nicht mehr zählen. „Ich weiß, es ist verrückt“ sagt Chris, „aber ich kann meine Finger nicht von den klassischen Wagen lassen.“ Eine tiefe Freude sei es, wenn sie wieder aus der Garage führen – wie neu.
Der Markt bei Fish Hoek wird zur Fanmeile: Die Klassiker ziehen die Blicke auf sich.
In Südafrika normal: Ein Strauß nähert sich neugierig dem Wagen.
Die beiden steuern die Autos Richtung Kalk Bay und Fish Hoek, kommen am langen Strand von Muizenberg vorbei. Surfer reiten die Wellen, Schaulustige bleiben vor den beiden Mercedes-Benz stehen und stellen die üblichen Fragen. Welches Baujahr? Wie lange restauriert? Woher die Ersatzteile? Waldo und Chris antworten mit Freude, setzen sich wieder ans Steuer, fahren weiter.
Waldo Scribante, Präsident des Mercedes-Benz Clubs von Südafrika, kam auf andere Weise zu seinem Faible. Schon früh interessierte er sich für Mechanik, fuhr als Kind weite Touren mit seinen Eltern durch Südafrika. Als Radiologe betreibt er heute vier Praxen, kaufte sich 1996 seinen ersten Klassiker.
Einen 300 SE lang mit Heckflossen. Ab da ging es los, das mit dem Nicht-mehr-aufhören-Können. Er schraubte selbst, schlug Rost, jagte Ersatzteilen in aller Welt nach. Mehr Autos kamen hinzu. Mehr und noch mehr. Er bat Freunde, bei Auktionen mitzubieten, fuhr auf Treffen, scannte nachts das Internet nach alten Mercedes-Benz Modellen. Seine Flotte wuchs. Bis er sich eines Tages eine große Halle mieten musste, um seine Schätzchen unterzubringen.
Waldo spricht von einem 250 SE Cabriolet von 1967, „mein härtestes Projekt“. Er ergatterte einen Ambulanz-Mercedes aus Deutschland, nennt einen 130 H von 1935 sein Eigen, einen Typ 320 Innenlenker von 1938, ein 220 SE Coupé, ein 300 SE Coupé, ferner jenen 300 SEL 6.3, der früher dem König von Lesotho gehörte. Die Sammlung des Waldo Scribante ist eine Sammlung, die ihresgleichen sucht – und nicht findet. 50 klassische Schönheiten. Tendenz steigend.
Altes Lenkrad, vertikaler Tacho, gepolsterte Armaturenanlage: ganz 1960er-Jahre.
Die beiden Wagen erreichen Cape Point am Eingang zum Nationalpark. Das Land wird leerer und rauer. Im Osten thronen die kargen Swartkop-Berge, dahinter der Ozean. Ein Strauß stolziert durch die Gegend. Es ist eine grandiose Piste, um alte Autos spazieren zu fahren. Und eine legendäre Route: Ihr Ende markiert eines der drei großen Kaps der Erde. Seefahrer bekommen Gänsehaut, Autofahrer geben Gas – denn dies ist nichts anderes als eine Traumstraße durch berühmte Kulisse. Zärtlich behandeln Chris und Waldo ihre Raritäten nicht. Die Motoren der beiden Mercedes wummern an Neptune’s Dairy vorbei, die beiden überholen Reisebusse, Pickups, sogar ein Motorrad. Und vor den Frontscheiben taucht nun eine letzte Felsnase auf, bevor das Kap in Sicht kommt. Ein Felsarm, der wie ein gezackter Echsenrücken ins Meer greift, umspült von Wellen und Gischt. Das Finale Afrikas, der Höhepunkt der Tour.
Chris und Waldo parken die Wagen, steigen aus. Dass die beiden nun hier stehen, vor diesen beiden Automobilen in der wilden Welt, hat einen Grund. Es ist ein Motiv, das weit zurückführt, bis in die Kindheit. Denn beide saßen schon hinterm Steuer, als sie noch Knirpse waren. In Deutschland ein nicht erfüllbarer Traum aller Jungen –im weiten, leeren Afrika der alten Tage völlig normal. Waldo fuhr seinen ersten Mercedes, den 280 SE des Vaters, schon mit elf über die Farm der Eltern. Lenkte den Wagen über Feldwege und Staubpisten, bis zu den Ranches im Hinterland, bis zu den Märkten der Dörfer. Ein Junge allein am Steuer? So what? Keiner sagte was. Dies war Afrika. „Ich erinnere mich noch gut“, sagt Waldo. „Mit den Beinen kam ich kaum an die Pedale.“
Der 300 SE parkt vor Südafrikas großem Charakterkopf: Mister Nelson Mandela.
Rot, blau, beige und Meer. Wenn das alte Coupé vor der False Bay steht, wird das Bild zum Kunstwerk.
Bald fuhr er mit Schulfreunden zu ersten Rennen, schraubte an Zylindern, fachsimpelte über Getriebe. In diesen frühen Jahren erblickte der junge Waldo in einem Schuppen auch das erste Mal einen alten Ponton und träumte sogleich davon, so einen Wagen einmal zu restaurieren.
Auch Chris erwischte es früh. Er war gerade mal neun Jahre jung, als er das erste Mal allein Auto fuhr. Einen Mercedes-Benz 170 D, gebaut 1949. Er steuerte ihn erst über einen stillgelegten Flughafen in Daressalam, Tansania, und bald schon aus der Garage seines Vaters. „Ein großes Auto für einen kleinen Jungen“, erinnert sich Chris. „Damit fing alles an.“
Die beiden stehen heute, Jahrzehnte später, vor den zwei chromblitzenden Wagen, hinter sich die rotverbrannten Hügel des südlichen Afrika. Es ist nur ein Sonntagsausflug, doch es steckt mehr dahinter. Die Kraft von Kindheitserinnerungen. Das Aufwachsen in einer Zeit und Welt, in der ein Führerschein nur ein unnötiger Fetzen Papier war. Im Fall Chris Carlisle-Kitz’ und Waldo Scribantes hat das lebenslange Spuren hinterlassen.
Du kannst den Jungen aus dem Auto treiben, aber nicht das Auto aus dem Jungen.
Muizenberg Beach The Thirsty Oyster Tavern
Ballonflug Breakwater Lodge
Mercedes-Benz 220 b bis 300 SE