Die Fahrertür schließt mit einem satten Plopp. Kyle Eastwood öffnet die Augen. Zu wichtig war ihm der erste auditive Eindruck des W 111, der nicht durch visuelle Reize gestört werden durfte. Nun versucht er, dem 280 SE 3.5 Cabriolet aus dem Jahr 1970 die richtigen Attribute beizumessen. Er nennt es mächtig und luxuriös, klassisch und elegant. „Wenn ich meinen ersten Eindruck auf nur ein Wort reduzieren müsste, es wäre ‚hochwertig‘“, sagt der 51-jährige Jazzbassist, dessen Leben sich schon immer um Klänge drehte. Der gebürtige US-Amerikaner hat als kleiner Junge Klavierspielen gelernt, mit zwölf Gitarre, kurze Zeit später Bass. Talent und Passion verdankt er seiner Großmutter, einer Gesangslehrerin und seinen Eltern, die ihn früher jedes Jahr zum Monterey Jazz Festival mitgenommen haben. „Wenn dein Vater Clint Eastwood ist, darfst du bei solchen Events in den Backstage-Bereich“, erzählt Kyle, dessen Vater ihm dort Jazzlegenden wie Miles Davis und Sarah Vaughan vorstellte.
Kyle Eastwood nennt das 280 SE 3.5 Cabriolet mächtig und luxuriös, klassisch und elegant.
Seine Kindheit verbrachte der Sohn von Maggie Johnson und Clint Eastwood mit Schwester Alison sehr behütet in Monterey, Kalifornien. Nicht anders als Kinder mit einem nicht berühmten Vater, glaubt Kyle. „Er ist ein sehr sanfter, liebevoller Mensch“, verrät der Musiker über den heute 89-jährigen Schauspieler, Regisseur und Produzenten, der weltweit als Western- und Actionheld Erfolge feierte, unter anderem als Dirty Harry im gleichnamigen Klassiker aus dem Jahr 1971. Kyle hat keinen Lieblingsfilm, aber „The Man Who Would Be King“ mit Sean Connery habe er mindestens ein Dutzend Mal gesehen.
Der Musiker schlendert nach Hause. Morgen steht ein Konzert in Spanien an.
Auch er möchte eines Tages als Regisseur einen Kinofilm verantworten. Das Studium der Filmwissenschaften brach er jedoch nach einem Jahr ab, zu sehr hatte er die Musik vermisst, seinen Jazz. „Jazz war meine erste große Liebe“, sagt er und zuckt mit den Schultern, als müsse er das abgebrochene Studium rechtfertigen. Fortan trat er nur noch als Profimusiker auf, erst in Los Angeles, dann in London und New York, bevor es ihn vor elf Jahren nach Paris zog, der Musik wegen. „Paris ist eine wundervolle Stadt und fühlt sich nicht so groß an wie London oder New York“, findet der Wahlfranzose, der gerne Filmmusik schreibt, unter anderem für die Filme seines Vaters. Eine weitere Leidenschaft von ihm, aufgewachsen unweit von Pebble Beach, sind klassische Mercedes-Benz Modelle.
Auch sein Vater ist der Marke sehr verbunden, nennt eine kleine Sammlung sein Eigen. Kyles erste Erinnerung an ein Auto ist die an die Rückbank eines 300 SEL 6.3 aus dem Jahr 1969, es folgt ein 450 SEL 6.9. Ende der 1970er-Jahre, sein berühmter Vater stets am Steuer. „Mich fasziniert die Anmutung, die der Mercedes-Benz Klassiker ausstrahlt. Die Erhabenheit. Wenn ich über eine Bodenwelle fahre, fühlt es sich so an, als würde ich schweben“, erzählt Kyle und lacht über seine Schwärmerei. Er winkt ab. Genug geredet. Dann startet er den starken Achtzylinder vor dem Café de l’Esplanade, nur wenige Hundert Meter von seiner Stadtwohnung entfernt.
In Kyle Eastwoods Leben dreht sich vieles um Klänge. Auch dem W 111 hört er gerne zu.
Von 1969 bis 1971 hat Daimler-Benz nur 1.232 Cabriolets mit dem neu entwickelten 3,5-Liter-V8-Motor gebaut, ein Großteil wurde in die USA geliefert. Das Topmodell erkennt man schnell am niedrigeren, breiteren Kühlergrill, was ihm den Spitznamen „Flachkühler“ einbrachte. „Der Motor hört sich edel und beeindruckend an, nicht prollig, das gefällt mir“, sagt der Bassist über den „Dreifünfer“, noch bevor er die ersten Meter damit gefahren ist. Die Gäste auf der Terrasse seines Lieblingscafés zücken ihre Smartphones, zu selten steht ein W 111 Cabriolet hier. Kyle streicht über das Wurzelholz der Instrumententafel, das im Interieur mit Chrom und grauem Leder eine gelungene Synthese eingeht. Später, wenn er seiner Frau Cynthia Ramirez – spanisch-mexikanische Wurzeln – am Telefon vom 200-PS-starken Cabriolet erzählt, wird er von klassisch-zeitloser Eleganz sprechen, von feinster Handarbeit und einem unbeschreiblichen Sound.
Es dauert dann nicht lange, bis die 49-Jährige, die in der Modebranche tätig ist, dazukommt, das dunkelblaue Fahrzeug bewundert und über die grauen Sitze streicht. Viele Feinheiten, Farbcode DB 904, so dunkelblau wie das Meer an seiner kältesten Stelle. Die Coupés und Cabriolets der Baureihe 111 haben nicht viele Gleichteile mit den Limousinen. Da das Stahldach fehlt, brauchte die Karosserie des Cabriolets andere Versteifungselemente. Kyle öffnet das Verdeck. Die versenkbaren, rahmenlosen Seitenscheiben geben dem W 111 eine besonders weiche Linienführung. „Ein Auto wie eine Skulptur“, sagt Cynthia.
Sein Debütalbum „From There to Here“ erscheint vor 21 Jahren, unter anderem mit Joni Mitchell als Gast. Das Album kommt gut an, Kyle spielt fortan viele Gigs und zieht mit seiner damaligen Frau und der gemeinsamen Tochter Graylen nach New York, um hochkarätige Musiker um sich herum zu haben. „Außer meiner Familie war Musik immer das Einzige, was mich interessiert hat“, resümiert Kyle. Sein neuntes Album kommt dieser Tage auf den Markt: „Cinematic“, benannt nach seiner zweiten großen Leidenschaft, dem Film.
Ehefrau Cynthia, mit der Kyle Eastwood seit einigen Jahren in Paris lebt, bringt den Musiker sehr oft zum Lachen.
Seine folgende Tour bringt die Filmmusik auf die Bühne. Er spielt mit seinem Quintett, bestehend aus Jazzliebhabern an Saxofon, Trompete, Klavier und Schlagzeug sowie ihm, dem versierten Tieftöner am Kontrabass und E-Bass. Den Winter verbringt Kyle, der Vorfahren aus England, Irland und Schweden hat, gerne gemeinsam mit Cynthia in den USA, drei bis vier Monate am Stück, nicht zuletzt, um seine Tochter Graylen zu sehen. Die 25-Jährige mit dem irischen Namen lebt in Kalifornien und ist ebenfalls sehr musikalisch, spielt Schlagzeug und schauspielert. Sechs Jahre hat sie mit ihm in Paris verbracht, gerne hätte er sie auch jetzt dabei, so wie er damals mit seinem Vater in früheren Mercedes-Benz Modellen gesessen hat.
Kyle hat seinen Kontrabass nun im Auto verstaut, er fährt nur ein paar Kilometer, wird aber locker zwanzig Mal an roten Ampeln fotografiert. Er parkt vor dem Club Duc des Lombards, in dem er schon viele Auftritte hatte und in dem bereits Live-Mitschnitte von Musikern wie Laurent Coq, Richard Davis, Bob Mintzer und Christian Escoudé entstanden. Sie alle waren dort und haben sich im Tresen mit ihrem Namen verewigt.
„Ein Auto wie eine Skulptur“, sagt Cynthia.
Der Club ist eine weltweite Größe in der Jazzszene, mitten im Herzen von Paris. Noch nie hat Kyle das Viertel um den Club herum bei Tag gesehen, er staunt ob der vielen Bars und Sandwich-Stände, sperrt die Tür auf, nimmt seinen Kontrabass und eine Stufe nach oben. Nun ist er dort, wo er sich am wohlsten fühlt. Dort, wo er mit seiner Band proben darf, weil die Besitzer ihn kennen und schätzen. Heute fehlt das Quartett um ihn herum. Er steht als Solist auf der Bühne. Er, der US-amerikanische Jazzmusiker, der in Paris lebt, weil der Stellenwert des Jazz hier höher ist als in den USA. Er, der Sinnliche, mit 1,93 Metern so groß wie sein Vater, und das 20 Kilogramm schwere Instrument der Superlative, das tiefste und größte gebräuchliche Streichinstrument. Vier Saiten zum Zupfen oder Streichen. Seine Finger gleiten über die Saiten, er schließt die Augen. Sein Gesicht scheint von einem Weichzeichner überzogen, sobald er seinen Bass hält. Stehend und sitzend im Wechsel.
Er spielt den Soundtrack von „The Pink Panther“, und während er den Klassiker zum Besten gibt, sieht er verwandelt aus. Sein Körper bewegt sich im Rhythmus, die Hände verschmelzen mit dem Instrument, er macht das, was er am besten kann: Musik. Unterhalten. Spielen. Fühlen. Nur er und sein Bass. Sein Stil ist direkt, lyrisch, melodisch. Immer weltoffen, immer echt, immer elegant. Und leidenschaftlich. „Wenn er mehrere Auftritte nacheinander hatte, bewegen sich seine Finger im Schlaf. Dann musiziert er, träumt von Jazz“, verrät Cynthia und lächelt rüber zu ihrem Mann am Steuer, den sie vor mehr als 15 Jahren in Los Angeles kennenlernte und von Beginn an sehr mochte, leider zu selten gesehen hat. Zu häufig war er in Europa, der Musik wegen. Also verließ sie Kalifornien eines Tages und zog nach Paris, der Liebe wegen. So oft es geht, besucht sie seine Konzerte. Wenn sie nicht dabei sein kann, telefonieren die beiden, bevor er auf die Bühne geht. Wenn er zweifelt, sagt sie: „Geh jetzt raus und liefere ihnen die Show deines Lebens.“
Sie lacht und erzählt, dass er manchmal ganz aufgeregt auf der Bühne ist, weil dort alle Augen auf ihn gerichtet sind. Das sei nicht so sein Ding, der Mittelpunkt. Immer wieder berührt sie ihn, während sie über ihn spricht. „Er hat das wärmste Herz der Welt, redet niemals schlecht über andere Menschen“, versichert sie, das habe er von seinem Vater. Die Ähnlichkeit zu ihm ist unverkennbar. Oft wird er angesprochen und gefragt, ob er nicht „der Sohn von …“ sei.
Er kennt es nicht anders und findet es nicht schlimm, zu stolz ist er auf seinen Vater. In Frankreich ist er ein Star, der berühmte Jazzmusiker. Ein Fan erkennt ihn, während er den Kontrabass wieder in den W 111 legt, dreht mit dem Fahrrad um, steigt ab und verneigt sich vor seinem Jazzstar, der ganz gerührt ist: „Ich hoffe immer, dass meine Fans meine Musik lieben“, sagt Kyle, der selbst gerne Stevie Wonder, Led Zeppelin und Marvin Gaye hört.
In Frankreich ist Kyle Eastwood der berühmte Jazzmusiker.
Es wird langsam dunkel an diesem wunderschönen Sommertag in der Millionenmetropole an der Seine, als er das tiefblaue Cabriolet unweit seiner Haustür parkt – und den Motor noch laufen lässt. Morgen wird Kyle wieder im Mittelpunkt stehen. Auf der Bühne. Sein Flieger startet in wenigen Stunden Richtung Spanien. Er bleibt noch kurz sitzen, genießt den Sound des Achtzylinders, der tief ausatmet und sich jetzt ausruht. Dann steigt er lächelnd aus. Und die Fahrertür schließt wieder mit diesem charismatisch-satten Plopp.
Kyle bleibt noch ein paar Sekunden sitzen und lauscht dem Sound des „Dreifünfers“, bevor er aussteigt.