Der schönste Moment.

Wurstsalat. Den vermisst sie manchmal, wenn sie unterwegs ist. So richtig sauer angemacht. Gabriele Gerner-Haudum lacht, streicht sich die blonden Haare aus dem Gesicht. Sie sitzt am Holzküchentisch in München mit Leoparden­tischdecke aus Afrika und zeigt Bilder ihres Road­trips durch Asien. Die Reisefotografin blättert durch Erinnerungen aus gut 20 Ländern. Sucht den schönsten Moment, ein Foto, das den Zauber von 540 Tagen Unterwegssein auf den Punkt bringt. Asien komprimiert sozusagen. Schwierig. Mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung lebt dort, der Kontinent ist mit 44,6 Millionen Quadrat­kilometern der flächenmäßig größte Teil der Erde. 

Nahaufnahme: Die Münchnerin ­Gabriele Gerner-Haudum lehnt an ihrem Bock.

Flussüberquerung: In Kaschmir sind die Brücken schon mal etwas abenteuerlich.

Ein Lächeln zur Begrüßung.

Gaby, so möchte sie genannt werden, sieht ziemlich cool aus in ihrem Zuhause mit Buddha-Wandgemälde, exotischen Fliesen, Schrankgriffen aus Schwemmholz ferner Länder. Sie trägt Bikerboots, trinkt Kaffee. Das Lächeln zur Begrüßung war freundschaftlich, der Handschlag kräftig. Im Hof steht ein umgebauter Polizei-Lkw. „Bock“ nennt sie ihren Kurzhauber.

„Von meinen Verwandten habe ich die Sehnsucht, die Welt zu sehen, jedenfalls nicht vererbt bekommen“, erzählt Gaby, die mit ihren Eltern, ihrer älteren Schwester, ihrem jüngeren Bruder und Dackel früher an den Stölpchensee bei Berlin zum Zelten fuhr. Auf der Rückbank zofften sich die Geschwister, der Dackel lag im Beifahrer­fußraum und Gaby träumte nachts im Zelt vom anderen Ende der Welt. 

Taffe Globetrotterin.

„Ich liebe das Gefühl, jederzeit wegzukönnen“, sagt die 59-Jährige und definiert damit ihr Verständnis von Unbeschwertheit und Selbstständigkeit. „Und ich bin sowieso nicht der Typ Bausparvertrag, ich lebe lieber jetzt“, legt sie nach einer kurzen Pause nach und charakte­risiert sich als Gegenteil ihrer Verwandten, die fast alle im öffentlichen Dienst arbeiten, verbeamtet sind und ein, ihrer Ansicht nach, geregelteres Leben führen. 

Wenn sie indes morgen früh aufwachte und mit ihrem Mercedes-Benz oder auf ihrem Motorrad nach Kapstadt fahren wollte, dann würde sie das tun. Ehemann Christian versteht das. Die beiden sind seit 35 Jahren ein Paar. „Christian lässt mich so sein, wie ich bin. 

Wenn es sein Job in der IT-Branche zulässt, reist er mit“, erzählt Gaby über ihren Mann, der für die eineinhalbjährige Asienreise seine damalige Festanstellung kündigte. 

Wie es dazu kam? Nach einer Weltreise und einer langen West­afrikareise im darauffolgenden Jahr haben die beiden beschlossen, Asien zu erkunden. „Wir träumten schon lange von einem Mercedes-Benz Lkw und ich hatte bereits einen Mercedes-Benz L 710 Kurzhauber im Internet ersteigert. Christian hielt das anfangs für einen Witz, kam dann aber doch mit zur Abholung an die holländische Grenze. Ich bin die ganze Strecke zurückgefahren und habe mich gefühlt wie die Königin der Welt.“ Doch Christian war das Führerhaus nicht hoch genug. Deshalb musste ein Lkw her, der beiden passte. 

Herausforderung: eine der gefährlichsten Passstraßen der Welt – „Manali-Leh-Highway“.

Schönste Zeit des Lebens.

„Bei der Abholung des LA 911 haben wir uns sofort verliebt“, sagt Gaby, die den Kurzhauber fortan ausbaute. Die Monate des Innenausbaus zählen mit zur schönsten Zeit ihres Lebens. Nach der Sekt-Taufe starteten die beiden gen Istanbul. „Die ersten Wochen waren anstrengend, das beengte Wohnen auf zehn Quadratmetern zehrte an den Nerven. Ständig suchten wir was, Dosenöffner, Ladekabel, Regenjacke. Als wir in Asien ankamen, den Kontinent gewechselt hatten, überkam uns ein Gefühl von Ferne und Unwirklichkeit. Unbeschreiblich“, sagt die Wahlmünchnerin, die den Mercedes-Benz LA 911 steuert, als hätte sie nichts anderes in ihrem Leben gemacht. 

Beliebtestes Fotomotiv.

„Ich wollte schon immer Lkw fahren und, als ich im Internet das Wort Männerspielzeug in der Anzeige las, habe ich mich so darüber aufgeregt, dass alleine dieses Wort Grund genug für mich war, den LA 911 zu kaufen und mit ihm beherzt vom Hof zu fahren.“ 1959 präsentierte Daimler-Benz eine neue Lkw-Generation, bei der der Motor nicht mehr in voller Länge vor dem Fahrerhaus lag. Der LA 911 gehört zu den leichten bis mittelschweren Lkw, die noch bis 1995 angeboten wurden. Gabys Kurzhauber, Baujahr 1980, ist schnell zu ihrem beliebtesten Fotomotiv ge­­worden. „Fotografie hat mich schon immer interessiert“, erzählt Gaby, die als gelernte Grafikdesignerin viele Jahre Messestände designte. 

Einhandruderer: ein Fischer auf dem Inle-See in Myanmar.

Weltrekordlerin: Die U-Bein-Brücke in Myanmar ist die älteste und längste Teakholz­brücke der Welt.

Furcht ist ihr ein Fremdwort.

Im November wird sie 60 Jahre alt und rückblickend möchte sie keine Sekunde ihres Lebens missen. Noch viel reisen. Frei sein. „Freiheit ist für mich das Wichtigste. Ich möchte nicht in irgendein Korsett gepresst werden und fremdbestimmt sein. Viele Leute freuen sich am Montag auf das Wochenende und am Wochenende auf ihren Urlaub. Ich freue mich lieber jeden Tag darüber, dass ich das Beste aus meinem Leben mache.“ Wenn sie jemandem von ihrer nächsten Reise erzählt und dann gefragt wird, ob sie denn keine Angst hätte, im Ausland krank zu werden, ist ihre Antwort stets kurz: „Nein.“  Furcht ist ihr ein Fremdwort. Und so passiert es schon mal, dass sie mit Grenz­beamten diskutiert, beispielsweise bei der Einreise in ein nicht eben demokratisches Land: „Da ich eine starke Abneigung gegen Willkür habe, laufen Grenzformalitäten mit mir manchmal etwas unkonventioneller ab.

Positive Aufmerksamkeit.

Ich fordere die Beamten vor Betreten des Bocks auf, ihre Schuhe auszuziehen. Ist ja schließlich mein Wohn- und Schlafzimmer. Meist sind sie nach einigen Minuten Diskussion schon so genervt, dass sie mich ­einfach durchwinken.“

 Bei ihren 50.000 Kilometern durch Asien haben die beiden sonst nur positive Aufmerksamkeit erregt, Einheimische haben sie zu sich nach Hause eingeladen. Viele wollten das Fahrzeug von innen sehen. „Unser LA 911 sieht so freundlich aus, die Front ist wie ein lachendes Gesicht. Er ist für viele Menschen in Asien so ein exotisches Bild, als würden bei uns in München Kamelkarawanen durch die Stadt ziehen.“ Sie könne sich längst nicht mehr daran erinnern, wie viele Menschen sich auf ihren Kurzhauber hoch­gezogen haben.

Gaby lächelt jetzt, schiebt eine Geschichte nach, die Gänsehaut bei ihr hervorruft. Lange bevor sie sich in den Kurzhauber verliebte, suchte sie nach einem Unimog. Als sie einen im Internet entdeckt hatte, fuhr sie zur Besichtigung. Der Verkäufer wohnte quasi um die Ecke. „Mir war der Unimog letztlich zu klein, er ging mir aber irgendwie nicht mehr aus dem Kopf.“ Eines Tages, während einer anderen ihrer Extremreisen, sitzt Gaby am Straßenrand in Buenos Aires, beobachtet das Gemenge von Menschen, Autos und Rollern. Dann fährt er an ihr vorbei. Der Unimog von damals, beige-blau mit Münchner Kennzeichen. Sie schüttelt ungläubig den Kopf und schmunzelt.

Gigantentreffen: Unterwegs begegnet die Weltenbummlerin demselben Unimog, den sie früher einmal kaufen wollte.

Guter Kontakt untereinander.

„Ich habe schnell heraus­gefunden, welches Paar aus München den Unimog gekauft hatte, wir Reisenden haben guten Kontakt untereinander.“ Es vergingen Monate, Gaby war längst weitergezogen, genauer gesagt 17.000 Kilometer Luftlinie weiter nach Kambodscha. Dort begegnet sie wieder genau jenem Unimog. Diesmal allerdings hatten sich die Süddeutschen verabredet. Das Band zwischen Reisenden ist ein besonderes. „In der Wüste Gobi haben wir uns mit der ‚fetten Elke‘ und ‚Loki‘ getroffen, so heißen die Fahrzeuge zweier befreundeter Reise­paare. Dort haben wir dann die Reise­gruppe China-Gang gegründet und die nächsten Wochen gemeinsam verbracht.“

Die Welt wartet.

Wie interessiert und aufgeschlossen die Einheimischen sind, haben die beiden schnell gespürt. „Wenn mich meine Reisen bisher eines gelehrt haben, dann das: In anderen Kulturkreisen sollte man nicht davon ausgehen, dass irgendetwas so ist wie daheim“, erklärt Gaby, die von neugierigen Chinesen mehr als einmal aus dem Schlaf geklopft wurde. Sie öffnet die Tür, ein junges Paar möchte einen kurzen Blick in das ausgebaute Fahrzeug werfen. Na klar! Nebenbei beantwortet die Weltenbummlerin die immer gleichen Fragen: woher sie komme, wohin sie fahre, wie viele Kinder sie habe. „Zwischenzeitlich habe ich zwei Kinder erfunden, da in allen bereisten Staaten ab der Türkei ein Leben ohne Kinder als vollkommen sinnlos ange­sehen wird.“ 

Wüstenschiffe: In der Karakum-Wüste kommen sich Höckertier und ­Kurzhauber nahe.

Reisfelder: sattes Grün und große Hitze in Laos.

Von Anfang bis Ende magisch.

Gaby blättert weiter durch die Fotobücher und Bilderordner auf dem Laptop. Nein, es gibt nicht diesen einen Moment, dieses eine Foto, das ihren Roadtrip durch Asien auf den Punkt bringen kann. „Die Reise war von Anfang bis Ende magisch“, sagt sie und blickt durchs Fenster hinaus in den Hof. Da steht ihr grüner Bock. Sie seufzt leise, schließt ihr Fotobuch, klappt den Laptop zu. Nachher, wenn sie alleine ist, wird sie eine neue Reise planen. Das Fernweh hat sie wieder gepackt. Die Welt wartet.

Weitere Informationen.

Der Angkor-Thom-Tempel in Kambodscha 

Die U-Bein-Brücke in Myanmar

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