Am Beginn der Siegesserie von Mercedes-Benz im Grand-Prix-Rennsport der 1930er-Jahre steht eine Legende: Für die Saison 1934 baut Mercedes-Benz einen Monoposto mit Kompressormotor nach der damals geltenden 750-kg-Formel: Ohne Kraftstoff, Kühlmittel, Öl und Reifen darf das Leergewicht der Boliden nicht mehr als 750 kg betragen. Doch beim Debüt, dem Eifelrennen auf dem Nürburgring, sollen die in der damals für deutsche Rennwagen obligatorischen Farbe Weiß lackierten Autos plötzlich ein paar Kilo zu schwer sein.
Seither streitet sich die Fachwelt, ob Alfred Neubauer, der legendäre Rennleiter von Mercedes-Benz, tatsächlich die zündende Idee hatte, den weißen Lack von den Mechanikern bis aufs silberfarbene Blech abschleifen zu lassen. So soll das geforderte Gewichtslimit erreicht werden. Oder sind die Rennwagen doch schon silberfarben zum Ring gekommen? Ein Beweis für die eine wie für die andere These wurde bis heute nicht gefunden – was dem Mythos „Silberpfeile“ keinen Abbruch tut. Im Gegenteil.
Erfolgreich ist der unter der internen Bezeichnung W 25 entwickelte Rennwagen jedenfalls auf Anhieb. Manfred von Brauchitsch gewinnt das Eifelrennen und damit gleich das erste Kräftemessen, bei dem der W 25 startet. Bis 1936 bleibt der W 25 ein Seriensieger, wird akribisch perfektioniert und an die jeweiligen Rennstrecken angepasst. Die Leistung des Reihenachtzylinders mit Kompressor variiert je nach verwendetem Kraftstoff und Einsatzzweck zwischen 314 und 494 PS.
1934 ist für die Rennmannschaft von Daimler-Benz noch ein Lehrjahr. Beim Grand Prix von Frankreich in Monthléry, der nach dem Eifelrennen ausgetragen wird, kommen die eingesetzten Silberpfeil-Fahrer nicht aufs Treppchen. Doch schon beim nächsten Großen Preis, dem von Deutschland auf dem Nürburgring, belegt Mercedes-Benz die Plätze zwei und fünf. Beim Großen Preis im italienischen Pescara, Coppa Acerbo genannt, gelingt dem italienischen Lokalmatador Luigi Fagioli ein Heimsieg, ein weiterer W 25 kommt auf Platz sechs.
Nach einem mittelmäßigen Ergebnis im Großen Preis der Schweiz gewinnen Rudolf Caracciola, der im bisherigen Verlauf der Saison vom Pech verfolgt war, und Luigi Fagioli den Großen Preis von Italien in Monza. Nach seinem schweren Unfall 1933 in Monaco ist Caracciola noch nicht wieder fit genug, um die komplette Renndistanz durchzustehen, und übergibt das Steuer in der 60. Runde an Fagioli – damals eine übliche, regelkonforme Praxis. Fagioli holt auch den Sieg im Großen Preis von Spanien in San Sebastian – vor Caracciola.
Beim letzten Grand Prix der Saison auf dem Masaryk-Ring nahe dem tschechischen Brünn schaffen es die eingesetzten W 25 nur auf die Plätze zwei und sechs. Dennoch fällt die Bilanz nach der ersten Saison von Mercedes-Benz in der 750-kg-Formel positiv aus: Von sieben Grand Prix gewinnt Mercedes-Benz vier und kann außerdem drei zweite Plätze verbuchen.
1935 ist das große Jahr von Rudolf Caracciola, worüber wir in der gedruckten Ausgabe des Mercedes-Benz Classic Magazins (Nummer 3/2015, seit 11. November am Kiosk) ausführlich berichten. Mercedes-Benz nimmt in jenem Jahr mit dem W 25 an elf Rennen teil und gewinnt neun von ihnen. Allein sechs Mal steht der gebürtige Remagener Caracciola ganz oben auf dem Siegertreppchen und wird damit Europameister in der 750-kg-Formel – in der Bedeutung vergleichbar mit dem Gewinn der heutigen Formel-1-Weltmeisterschaft.
1936 erweist sich die Mannschaft der Auto Union als harter Gegner für Mercedes-Benz. Europameister wird der Auto-Union-Fahrer Bernd Rosemeyer. Doch das Mercedes-Team wäre nicht das Mercedes-Team, wenn es nicht aus solchen Rückschlägen lernen würde. Für die erneut nach der 750-kg-Formel ausgetragene Saison 1937 wird in der Untertürkheimer Rennabteilung der W 125 entwickelt. Sein 5,6-Liter-Reihenachtzylinder mit Kompressor leistet zwischen 545 und damals unglaublichen 646 PS.
Schon das erste Rennen der Saison, den Großen Preis von Tripolis in Libyen, gewinnt der aufstrebende Mercedes-Pilot Hermann Lang. Rudolf Caracciola wird Sechster, gefolgt vom Briten Richard Seaman auf W 125. Beim formelfreien Rennen auf der Berliner AVUS setzt Mercedes-Benz unterschiedliche Rennwagen ein, darunter auch Stromlinien-Versionen des W 25 (mit V12-Motor) und des W 125. Im Endlauf triumphiert erneut Hermann Lang. Beim folgenden Eifelrennen kommen vier Mercedes-Silberpfeile unter die ersten Zehn.
Nach durchschnittlichen Ergebnissen beim Vanderbilt-Cup in den USA und dem Grand Prix von Belgien in Spa-Francorchamps gewinnt Caracciola den Großen Preis von Deutschland auf dem Nürburgring vor von Brauchitsch. Noch deutlicher ist der Mercedes-Triumph beim darauffolgenden Großen Preis von Monaco:
Die Plätze eins bis drei und fünf gehen an die Mercedes-Benz W 125, Sieger ist diesmal von Brauchitsch vor Caracciola. Bei der Coppa Acerbo reicht es für die Plätze zwei und fünf.
Dann schlägt erneut die große Stunde des Rudolf Caracciola. Er gewinnt auf W 125 die Großen Preise der Schweiz, von Italien und der Tschechoslowakei. Weitere hervorragende Platzierungen von Mercedes-Benz in diesen drei Rennen machen den Triumph für die Untertürkheimer Rennmannschaft komplett. Beim Saisonfinale im englischen Donington belegen von Brauchitsch und Caracciola die Plätze zwei und drei. Caracciola wird 1937 erneut Europameister, diesmal mit dem Mercedes-Benz W 125.
Der für die Rennsaison 1938 nach der neuen 3-Liter-Rennformel gebaute W 154 ist der erste Zwölfzylinderwagen von Mercedes-Benz. Kompressormotoren dürfen nach dem neuen Reglement nicht mehr als 3 Liter Hubraum haben.
Bei Fahrgestell und Radaufhängungen setzen die Mercedes-Benz Ingenieure auf Bewährtes und orientieren sich am erfolgreichen W 125. Der 2963 Kubikzentimeter große V12 wird von zwei Einstufenkompressoren aufgeladen. Die mögliche Dauerleistung beträgt 453 PS.
Bereits beim Saisonauftakt, dem Grand Prix von Pau in Frankreich, ist der brandneue W 154 für einen zweiten Platz gut. Beim Großen Preis von Tripolis schafft Mercedes-Benz schon einen Dreifachtriumph: Lang siegt vor von Brauchitsch und Caracciola. Auch beim Grand Prix von Frankreich in Reims stehen drei W 154 auf den Plätzen eins bis drei. Beim Großen Preis von Deutschland erringen die 3-Liter-Boliden einen Doppelsieg. Bei der Coppa Ciano in Livorno siegt Hermann Lang, bei der Coppa Acerbo ist Caracciola nicht zu schlagen.
In der Schweiz gelingt Mercedes-Benz erneut ein Dreifach-Triumph. Ein dritter Rang in Monza sowie die Plätze zwei, drei und fünf im englischen Donington bilden den Abschluss der Grand-Prix-Saison 1938. Rudolf Caracciola wird erneut Europameister. Für die Saison 1939 überarbeitet Mercedes-Benz den 3-Liter-V12 des W 154. Mit einem Stufenkompressor wird die Dauerleistung auf 480 PS gesteigert.
Beim ersten Grand Prix 1939, dem von Pau in Frankreich, belegt Mercedes-Benz die Plätze eins und zwei. Beim Großen Preis von Tripolis tritt Mercedes-Benz mit dem in Rekordzeit nur für dieses Rennen entwickelten 1,5-Liter-Rennwagen W 165 an – und erreicht die Plätze eins und zwei. Beim Eifelrennen auf dem Nürburgring siegt Hermann Lang, ebenso in Belgien. Nach Ausfällen der W 154 beim Großen Preis von Frankreich gewinnt Rudolf Caracciola den Großen Preis von Deutschland auf dem Nürburgring.
In der Schweiz erreicht die Mercedes-Mannschaft einen Dreifach-Triumph. Im letzten Rennen der Saison 1939 – zugleich dem letzten Grand Prix vor dem Zweiten Weltkrieg – kommt Manfred von Brauchitsch auf Platz zwei. Überragender Fahrer der Saison 1939 ist Hermann Lang. Der gebürtige Cannstatter, dessen Karriere als Monteur in der Renn- und Versuchsabteilung von Daimler-Benz begonnen hat, gewinnt fünf von acht Großen Preisen. Damit löst er Rudolf Caracciola als Europameister ab.