Langsam fährt das große Rolltor hoch.

Eine schlichte Fabrikhalle mit metallener Außenverkleidung, gelegen in einem Industriegebiet, das aussieht wie alle Industriegebiete der Region Stuttgart. Langsam fährt das große Rolltor hoch. Die Augen suchen Halt im Halbdunkel der Halle. Fotograf Igor Panitz, ein Profi, der schon viele Traumautos vor der Kamera hatte, reißt entzückt die Augen auf. „Unfassbar“, murmelt er nur und lässt den Blick schweifen. Silbern schimmert es in der Halle, durchmischt mit weißen, orange- oder petrolfarbenen Einsprengseln: Rennwagen, Rallye-Autos, Silberpfeile. Man kneift sich, wähnt sich in dieser Halle – von den Mitarbeitern schlicht „Motorsporthalle“ genannt – in einem Traum. Doch nein, es ist alles real!

Automobiler Adel en gros: Repräsentationsfahrzeuge und Sportwagen aus den 1950er- und 1960er-Jahren.

Seit 2008 ist Jürgen Wittmann Leiter der Archive und der Sammlung.

Ein gut gehütetes Geheimnis.

Jürgen Wittmann, Leiter der Archive und der Sammlung von Mercedes-Benz Classic, kennt diese Momente, die Besuchern oft wohlige Gänsehaut zaubern. Wissend lächelt er. Es sind rare Momente, denn die Fahrzeugsammlung ist ein gut gehütetes Geheimnis. Nur selten wird es gelüftet. Und das Classic Magazin hat die Gelegenheit, hier Bilder von den Schätzen der Sammlung, von diesem weltweit einzigartigen Automobil-Gesamtkunstwerk zu machen. Wenn Jürgen Wittmann über den Inhalt dieser Schatzkammer referiert, geben Zahlen und Fakten nur näherungsweise den Eindruck wieder, den diese Ballung von Markengeschichte macht.

Über 1.000 Zeitzeugen auf vier Rädern.

„Unsere Sammlung umfasst etwa 1.000 Autos und wächst um etwa 30 weitere pro Jahr. Sie ist auf elf Standorte in der Region Stuttgart verteilt.“ Und wie hier in der Motorsporthalle fehle es an nichts – außer an Platz. „Die Enge in den Fahrzeughallen stellt uns vor große logistische Herausforderungen“, sagt er. Denn jährlich kommt etwa 1.100 Mal Bewegung in die Sammlung: Sei es, dass die Klassiker zu Fahrveranstaltungen gehen, zu Messen, zu Events oder zu Sonderausstellungen ins Mercedes-Benz-Museum. Sei es, dass sie zur Wartung in die nahe gelegene Werkstatt gebracht werden. Weil die Sammlung also in ständiger Bewegung ist, hat kein Fahrzeug einen festen Platz: Abgestellt werden die Rückläufer da, wo gerade Platz ist.

Nicht nur die Menge der Autos macht die Sammlung von Mercedes-Benz weltweit einzigartig, sondern auch die Exklusivität und die Tatsache, dass Mercedes-Benz hier Schätze hütet, die es nirgendwo und für kein Geld zu kaufen gibt. Gleich elf Fahrzeuge des legendären Mercedes-Benz C 111, der nie in Serie ging, sind Teil der Classic-Sammlung. Das 300 SLR „Uhlenhaut-Coupé“ von 1955 gibt es nur in zwei Exemplaren – beide gehören Mercedes-Benz Classic. Auch sie sind selbstverständlich unverkäuflich!

Bei Mercedes-Benz Classic Service und Teile in Fellbach kümmern sich erfahrene Mitarbeiter seit 25 Jahren darum, dass die historischen Schönheiten weder an Frische noch an Glanz verlieren.

Unschätzbare Werte.

Wann die Daimler-Motoren-Gesellschaft (DMG) begonnen hat, Fahrzeuge für die kommenden Generationen aufzubewahren, ist nicht genau dokumentiert. Es existiert ein Foto von etwa 1910, das eine ausländische Delegation beim Besuch des Untertürkheimer Werks zeigt: in einem kleinen musealen Schauraum, im Stil der damaligen Zeit mit Orientteppichen ausgelegt. Und die Archivare wissen, dass die DMG um 1923 versuchte, durch Ankäufe die bestehende Sammlung systematisch zu erweitern und mit den wichtigsten bis dahin gebauten Typen zu komplettieren.

Déjà-vu.

Seit 1980 ist es Teil der Markentradition, sogenannte Bandabläufer in die Sammlung zu übernehmen. Dabei handelt es sich um das jeweils letzte gebaute Fahrzeug einer Modellreihe, das dann fabrikneu und direkt aus der Produktion in die Fahrzeughallen übernommen wird – einer der Gründe für das kontinuierliche Wachstum der Sammlung. Abgänge gibt es nur sehr selten. Gelegentlich sind Fahrzeuge verkauft worden, um die Qualität der Sammlung zu steigern, etwa wenn Fahrzeuge gegen Exemplare ausgetauscht wurden, die einen noch größeren musealen Wert besitzen.

Jürgen Wittmann, der oberste Hüter dieses einzigartigen automobilen Gesamtkunstwerks, hat an diesem Tag ein Déjà-vu: Er entdeckt zwischen vielen anderen Wagen einen signalroten 500 SL, Baureihe R 107, den er wiedererkennt. Als Sprecher des Mercedes-Benz Werks Sindelfingen hat er den letzten gebauten R 107 im August 1989 an die damalige Sammlungsleitung übergeben. Heute gehört der Bandabläufer zu seinen vielen Schützlingen von unschätzbarem historischem und materiellem Wert.

Weitere Informationen.

Archive und Sammlung Die Expertise für Mercedes-Benz Klassiker

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