Archaische Gegenentwürfe zur nahenden Zukunft.

Acht Prachtexemplare der Mercedes-Benz Baureihe W 06, in zwanglosen Grüppchen malerisch um den schäumenden Springbrunnen vor dem Grandhotel Schloss Bensberg arrangiert, harren an diesem schönen Morgen ungeduldig auf ihren Ausritt: ein S, je drei SS und SSK, ein SSKL als authentisch gefertigte Replica. Dazu gesellt hat sich ein vereinzeltes Modell K, der Vorgänger, wie man weiß. Diese munteren 90-Jährigen wirken wie archaische Gegenentwürfe zu allem, was im Jahr 183 nach Gottlieb Daimler und 173 nach Carl Benz angesagt und die nahe Zukunft ist: wispernde Elektromobilität, wachsende Emanzipation des Autos von seinem Nutzer.

„Eine deutsche Eiche von einem Auto“

„Die Konstruktion ist so entworfen, dass der Fahrer während der Fahrt in der Regel außer der Bedienung der Lenkung, des Beschleunigungsfußhebels, der zugleich das Gebläse betätigt, der Fußbremse und des Signals überhaupt keine Betätigungen vorzunehmen hat“, steht in der nobel und aufwendig gemachten „Beschreibung und Betriebsanleitung“ der Mercedes-Benz S-Typen zu lesen. Als ob das nicht reichen würde ... „Eine deutsche Eiche von einem Auto“ hat Grand-Prix-Ikone Rudolf Caracciola das knorrig-unzerstörbare Kulturgut mit dem Daimler Benz Code W 06 genannt. Recht hatte der Mann. Spätestens als Mille-Miglia- Sieger von 1931 auf einem SSKL wusste er, wovon er sprach.

Rennheld Wolfgang Graf Berghe von Trips.

Und so verblasst vor dem Charisma dieser glorreichen acht jedes andere der Automobile, die gleich im Konvoi und in deren Windschatten mitschwimmen werden. Selbst ein 300 SL Roadster, selbst der Jaguar XK 140, der einst Kurvenwunder Anita Ekberg gehört hat, selbst ein knapp sechs Meter langer Daimler 420 DS in verblüffend frischem Pflegezustand. Zwei guten Zwecken dient die 230 Kilometer lange Runde durchs Rheinland: zum einen der Unterstützung der „Stiftung schwerkrankes Kind“, zum anderen dem Gedenken an den deutschen Rennhelden Wolfgang Graf Berghe von Trips, am Schauplatz seiner Jugend und seiner letzten Ruhestätte in Horrem bei Köln. Im Mai dieses Jahres wäre er 89 Jahre alt geworden.

Concerto grosso.

Andere Zeiten, andere Emotionen – als Graf Trips am 10. September 1961 in Monza bei einem Rennunfall starb, traf sein Tod viele Deutsche bis ins Mark. Am heutigen Tag mit von der Partie: Hans Herrmann, einer der wenigen noch lebenden Rennfahrer dieser wilden 1950er und Trips-Freund – auch nach so vielen Jahren tief gerührt. Bei Ausfahrten des Mercedes-Benz Kompressor- Clubs ist immer auch der Weg das Ziel. Während der Autobahnetappen auf der A4, der A61 und der A1 räuspern sich die voluminösen Sechszylinder herrlich rußfrei. Selbst bei Tempo 170 und gelassenen 2 900/min im Vierten lässt der Motor keinen Zweifel daran aufkommen, dass hier eine Vielzahl von mechanischen Komponenten mächtig miteinander kooperiert, ein Concerto grosso für die harten Frauen und Männer an Bord.

„Die Strecke kam unseren Autos sehr entgegen.“

Austariert werden diese Geradeaus- Sprints durch die hübsche Eifelpassage zwischen Satzvey und dem Ahrtal bei Kreuzberg, vorbei an Bad Münstereifel, der Heimat des deutschen Schlager-Barden Heino, und dem Radioteleskop Effelsberg tief unten zwischen bewaldeten Kuppen. „Vermöge seiner besonderen Bauart liegt der Wagen auch auf schlechter Straße und in der Kurve außerordentlich ruhig“, weiß die Betriebsanleitung dazu zu sagen. In der Tat: „Die Strecke kam unseren Autos sehr entgegen“, lobt Franz Maag, prominentes Gesicht der deutschsprachigen Kompressor-Szene, am Ende des Tages. Mit 4,5 bar in den Vorderreifen sei so ein Zweitonner ganz leicht zu lenken, sogar durch die Spitzkehren des Ahrgebirges. Am Ende hat sein SS 50 Liter Kraftstoff aus dem Tank gesogen, etwa 20 pro 100 Kilometer.

Wege führen auch zu Zielen.

Leistung verlangt auch bei einem solchen behänden Klassiker nach Nahrung, durch das H-Kennzeichen gewissermaßen mit behördlicher Duldung. Wege führen auch zu Zielen. Das erste an diesem Tag: die Trips-Burg Hemmersbach am Ortsrand von Horrem. Trips-Experte und -Biograf Jörg Thomas Födisch berichtet von der Empore zwischen den flügelförmigen Eingangstreppen herab vom Leben und Sterben des deutschen Sportheroen der späten 1950er-Jahre, den sie den „letzten Ritter“ nannten. Wegen seiner distanzierten Nahbarkeit, seiner Fairness und seines inneren Adels.

Exkursion in eine versunkene Sportwelt.

Hanno Jager, einst Mechaniker des Rennfahrers, bringt derweil Anekdoten unter die Leute. In seiner kleinen Werkstatt ganz in der Nähe wartete und pflegte er damals des Grafen Privatwagen und dengelte auch schon mal Beulen heraus. Ein kurzer Fußweg führt hinüber zur Villa Trips mit all ihren Devotionalien und Erinnerungsstücken, die damals heiße Aktualität waren. Die Exkursion in eine versunkene Sportwelt endet am anderen Ende der Stadt beim Mausoleum der Familie Trips. Hans Herrmann hält sich überall zurück. Das sei, sagt er still, heute alles ein bisschen zu viel für ihn. Der Tag war facetten- und ereignisreich, an seinem Ende sind 20 000 Euro für den guten Zweck gestiftet worden.

Ein Vollblutgeschöpf.

Mit einem Mercedes-Benz der Baureihe W 06 unterwegs zu sein, ist bei jeder Gelegenheit ein sehr besonderes Privileg – und eine Herausforderung. Sie zu bestehen, adelt den Chauffeur: „Wagen von der Klasse und Rasse eines Mercedes erfordern Takt des Fahrers, denn es handelt sich um ein wertvolles Instrument, um ein Vollblutgeschöpf, das nur unter einem gediegenen Steuermann das Letzte hergeben wird“, textet beinahe schon dichterisch die Betriebsanleitung. Das gilt auch 90 Jahre später noch.

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