Fast unaufhaltsam.

Er hat zwar nur eine Anreise von rund 80 Kilometern, aber er rechnet trotzdem mal gut zwei Stunden Fahrzeit ein. „Klar, der Schnellste bin ich mit meinem Gefährt nicht“, sagt Rainer Hildebrandt, 60. Er streicht sich mit der Hand durchs Gesicht und lächelt verschmitzt. „Aber vielleicht bin ich ja der Glücklichste. Denn es macht mir einfach Spaß, mit ihm unterwegs zu sein. Auf der Straße, aber viel lieber noch im Gelände.“

Sein U 421 ist 48 Jahre alt. Die 52 Pferdestärken des grünen (DB 6277) Unimog mit roten Felgen schaffen maximal 63 km/h. Okay, vermutlich bergab. Doch fürs Gelände ist er wie geschaffen und dort fast unaufhaltsam. 

Unaufhaltsam: Mit Allradantrieb und Differenzialsperren an beiden Achsen ist der Unimog 421 ein Fast-Alleskönner.

Exot: ein Boehringer mit Aufsetzlader für Erdaushub und Verladung: Zappels liebster Unimog.

Echte Raritäten, wertvolle Schmuckstücke.

Rainer Hildebrandt, Präsident des Unimog-Clubs Gaggenau, ist auf dem Weg von seinem Wohnort an der Weinstraße in der Pfalz nach Grombach zwischen Heidelberg und Stuttgart. Den Mann, den er dort besuchen will, kennt er schon lange von vielen Clubtreffen. Dort trifft man sich, unterhält sich und hat Spaß bei den Ausfahrten.

Doch diesmal besucht er Wolfgang Zappel zu Hause. Und das hat einen speziellen Grund: Der Unternehmer besitzt eine der interessantesten Unimog Sammlungen überhaupt, weiß Rainer Hildebrandt. An die 30 historische Fahrzeuge. Unter ihnen einige sehr seltene. Echte Raritäten, wertvolle Schmuckstücke.

Ein Stück deutsche Industrie­geschichte.

Zappels Beruf hat viel mit seinem Hobby zu tun. Der gelernte Maschinenschlosser, 56, betreibt in Grombach das mittelständische Unternehmen Zagro, das neue Unimogs für spezielle Einsätze präpariert. Nutzfahrzeuge, die ganz normal, aber auch auf Schienen fahren. Sogenannte Zweiwegefahrzeuge, vornehmlich Arbeits- und Rangierfahrzeuge, die er nach Japan, Indien und China, Nigeria und Südafrika, in die Mongolei und Türkei, nach Russland und Singapur und noch in viele weitere Länder exportiert. Das Familienunternehmen hat sein Vater aufgebaut, von dem Wolfgang Zappel es dann später übernommen hat.

Der Unimog (Universal-Motor­gerät) ist ein Stück deutsche Industrie­geschichte. 1948 wurde er von der Deutschen Landwirtschafts-Gesellschaft (DLG) in Frankfurt erstmals der Öffentlichkeit vorgestellt. Im August desselben Jahres begann die Serienfertigung bei Boehringer. Bis Sommer 1950 wurden dort insgesamt 602 Unimogs gebaut, die als Marken­zeichen der stilisierte Ochsenkopf mit Hörnern in Form eines U auf der Motorhaube ziert. Im Jahr 1951 übernahm dann die Daimler-Benz AG die Unimog Geschäfte. Der Stern ersetzte ab 1953 bei den im Werk Gaggenau gefertigten Universal-Motor­geräten den Ochsenkopf.

Nutzfahrzeug: Martina und Wolfgang Zappel holen mit dem U 411 Holz für den Kaminabend.

Tiefes Wasser, steile Anstiege, hohe Kanten.

Neue Anwendungsgebiete machten den Unimog fortan zum viel­seitigsten Nutzfahrzeug der Welt. Seine Einsatzgebiete: Winter­dienst, Feldarbeit, Straßenbau und Mäh­arbeiten auf fast jedem Gelände, oft mit spektakulären Anbauten. Und er entwickelte sich immer mehr zum Geräteträger. Bis heute wurden etwa 380 000 der Allrad-Lkws und Kleinlaster gebaut. Zwei Drittel ­sollen noch immer in Verwendung sein: in der Forst- und Landwirtschaft, im Transportgewerbe, beim Militär, im Schienenbau.

Mit seiner unerreichten Geländegängigkeit durch Allradantrieb mit Differenzialsperren an der Vorder- und Hinterachse durchfährt und überklettert er fast alles. Tiefes Wasser, steile Anstiege, hohe Kanten – kein Problem für den Fast-Alleskönner. Über 2 000 Unimogs werden heute noch pro Jahr gebaut, vielfach in Handarbeit. An die 2 500 Gerätehersteller weltweit sind aktuell zertifiziert für Unimog Anbauten.

Lächelnde Gesichter.

Rainer Hildebrandt ist nun bald am Ziel. Er hat nur begrenzt Platz hinter dem Steuer seines U 421. Eng und ziemlich laut ist es im Führerhaus, es gibt weder Radio noch Klimaanlage. Alles wirkt archaisch, aber auch sympathisch. Und man sitzt weit oben, höher als in jedem SUV. Somit hat man einen guten Überblick.

Oft bilden sich auf der Bundesstraße hinter Rainer Hildebrandt Fahrzeugschlangen, weil er mit der bescheidenen PS-Anzahl und den großen, profilstarken Reifen nicht der Flotteste ist. Doch wenn er überholt wird, blicken meist lächelnde Gesichter zu ihm auf. 

Landpartie: Frau Zappel hat jetzt genug Brennholz aufgeladen.

Steigeisen: Auch er gehört zur Sammlung: der Raupen-Unimog.

Leidenschaft und Begeisterung für den Unimog.

„Das Unimog Fahren ist einfach eine Passion“, sagt der ehemalige Manager der Mercedes‑Benz Group AG kurz vor seiner Ankunft in Grombach. Und wie ihn das Virus erwischte, daran erinnert er sich auch noch bestens: „Nach Ende meines ­Studiums fuhr ich mit Freunden ein halbes Jahr lang durch Westafrika. Wir waren Ende 1981 bis Mitte 1982 mit einem Borgward AD 522 unterwegs – und mussten uns oft sehr mühsam durch die Sanddünen schaufeln. Einmal schwebte scheinbar mit spielerischer Leichtigkeit ein damals neuer U 100 an uns ­vorüber. Dieser Moment war der Auslöser. Er weckte in mir die ­Leidenschaft und Begeisterung für den Unimog.“

„Tja, wo die Liebe so hinfällt.“

Den ersten hat er sich vor 20 Jahren besorgt, den zweiten vor 13 Jahren, und vor zehn Jahren bekam er den U 421 gar geschenkt: Der Pritschenwagen hatte zuvor jahrelang auf einem Acker gestanden und war vor sich hin gerottet, sein Zustand miserabel. Sohn Manuel half ihm bei der Restau­rierung und Instandsetzung, was gut sechs Jahre dauerte, viele Hundert Arbeitsstunden und auch eine Menge Geld verschlang. „Tja, wo die Liebe so hinfällt“, sagt Rainer Hildebrandt.

Die Zusammenkunft des Club-Präsidenten mit Sammler Wolfgang Zappel hat etwas von einem Familien­treffen: Zappels U 411, Baujahr 1957, 30 PS, 53 km/h Höchstgeschwindigkeit, ist der Vorgänger, so etwas wie der ältere Bruder von ­Hildebrandts U 421, mit dem er gerade die 80 Kilometer gemeistert und genossen hat. Das verbindet schon mal – und die beiden Männer verstehen sich sofort prächtig. Die Fahrt mit den Pritschen­wagen geht natürlich erst mal zu Wolfgang ­Zappels einzigartiger Sammlung, die in einer 36 Kilo­meter entfernten Fabrikhalle parkt.

Cabriofahrer: Das Ehepaar Zappel mag frische Luft.

Sammlerglück: die beiden Unimog Enthusiasten in der Schatzkammer.

Ein gutes Omen.

Zwei der seltenen Boehringer ­stehen dort drin, beide um die 70 Jahre alt. Ansonsten: Unimogs mit Ladekran, Schneeschieber, einige historische Zweiwege­fahrzeuge und auch Unimogs aus ehemaligen Militärbeständen. Von Baujahr 1948 bis in die 1990er-Jahre.

„Den weißen U 1450, mit dem ich meine Frau Martina 1993 zum Traualtar chauffierte, besitze ich leider nicht mehr“, erzählt Wolfgang Zappel. „Aber wir haben im vergangenen Jahr Silberhochzeit gefeiert. Der Unimog war also ein gutes Omen für uns.“

„4 000 Kilometer urig unterwegs.“

Wo er denn all die Schmuck­stücke her habe, fragt Rainer Hildebrandt, worauf Wolfgang Zappel antwortet: „Ich habe einen Bekannten, der auf das Fotografieren von historischen, oft exotischen Unimogs fokussiert ist. Manchmal ruft er an und sagt: Da steht ein interessantes Fahrzeug zum Verkauf. Dann fahre ich hin und wenn ich Glück habe, bekomme ich den Zuschlag.“ Nicht immer finde das die Zustimmung seiner Frau. Aber richtigen Streit habe es deswegen mit ihr auch noch nicht gegeben.

„Ich weiß, was du meinst“, erwidert der Club-Präsident lächelnd. „Frauen und Unimog, das ist ein weites Feld.“ Im vergangenen Sommer habe er gemeinsam mit seiner Frau einen Trip durch die Schweiz unternommen, 1 500 Kilometer ­Strecke gemacht.

Mit dem U 421 ging es durch Täler, über Berge und Alpenpässe. Drinnen im Fahrerhaus war es teilweise so heiß, „als würdest du auf einer Herdplatte sitzen“.

Rainer Hildebrandt guckt in ­Erinnerung an den Schweiz-Trip noch immer amüsiert: „Beim nächsten Mal fährst du alleine. Das hat meine Frau gesagt, als wir wieder zu Hause waren. Aber mal sehen, ob ich sie nicht doch noch mal ­motivieren kann mitzukommen.“ Seine Traumreise? Von Spanien, wo er einige Zeit für Daimler-Benz gearbeitet hat, will er bis hinauf ans Nordkap. „4 000 Kilometer urig unterwegs“, sagt er. „Das wäre etwas!“ Martina Zappel wiederum erzählt eine lustige Story: „Er wollte mir ­sogar mal ein Unimog Bett unter­jubeln, also eine Pritsche ins Schlafzimmer stellen. Bei aller Liebe, da habe ich nicht mitgemacht. Ein ­Unimog Bett? Nein, danke!“

Teststrecke: Auf Zappels Privat­parcours mit Wassergraben und steilen Anstiegen werden Männer wieder zu Jungen. Im Wasser: ein U 1450.

Der Beginn einer Freundschaft.

Dann drehen die Männer ein paar Runden auf Wolfgang Zappels privatem Unimog Hindernisparcours mit tiefem Wassergraben und steilen Anstiegen. Gestandene Männer werden hier wieder zu draufgängerischen Jungen. Am Nachmittag hat Martina ­Zappel eine Idee: „Wir machen heute einen Kaminabend. Lasst uns aus dem Wald Holz holen.“ Auch dafür ist der U 411 mit seiner Pritsche das ideale Gefährt. Und am Abend sitzen die drei am Kamin. Es ist ziemlich sicher der Beginn einer Freundschaft.

Unimog-Club Gaggenau.

Der Club gründete sich im Jahr 1993 und benannte sich nach dem Ort, an dem die Daimler-Benz AG ab 1951 Unimogs produzierte. Über 6 900 Mitglieder in 34 Ländern hat der Club. Der Altersdurchschnitt beträgt 53 Jahre, der Frauenanteil liegt bei rund drei Prozent. In Deutschland gibt es 29 Regionalgruppen, die Treffen organisieren: Schraubertage, Typenkundeabende, Ausfahrten. Der Club initiierte auch das Unimog-Museum in Gaggenau, wo Gäste­fahrten im Außengelände ein Highlight sind.

Werbeplakat: So warb Daimler-Benz Anfang der 1950er-Jahre für den Universalisten.

Weitere Informationen.

Unimog-Club Gaggenau

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