Der Herbst letzten Jahres. London, normalerweise spektakuläre Events gewöhnt, steht ein turbulentes Wochenende bevor. Auf die Hauptstadt zieht ein Sturmtief zu, zum London-Marathon strömen Hunderttausende Menschen in die Metropole. Zudem feiert James Bond Jubiläum: An der Themse steigt gerade ein internationales 007-Festival. Damit es nicht langweilig wird, sind zudem zwischen Hyde Park und Tower Bridge mehrere Großdemos angekündigt und die englische Bahn hat fürs Wochenende einen Totalstreik verhängt. London am Siedepunkt. Aber, hey, wen schreckt das schon? Und überhaupt: Neben Extremsport und Kino existieren noch Passionen ganz anderer Art.

Freitag, acht Uhr morgens. Auf dem Parkplatz des Battersea Park südlich der Themse biegen zwei Klassiker um die Ecke, kommen unter alten Eichen zum Stehen. Ein 280 SE in Piniengrün metallic, Baujahr 1975, dazu eine 230er „Heckflosse“ in Weißgrau, Jahrgang 1967. Peter Grunert und Philip Thain steigen aus den Wagen, blicken kurz zum Himmel, begrüßen sich. Die beiden bereiten gerade ihr eigenes Happening vor. Eine Show der Sterne. Ein Treffen Gleichgesinnter, das so etwas wie ein Meilenstein mit Lizenz zum Abheben ist. Der Anlass: The Mercedes-Benz Club of the United Kingdom, weltweit der älteste seiner Art, wird am Sonntag das Jahresabschlusstreffen seines Jubiläumsjahres zelebrieren. 1952 wurde der Club gegründet, zu einer Zeit, als Mercedes-Benz mit den W 194 weltweit große Rennerfolge feierte.

Peter, 50, fungiert als einer der Londoner Regional Officers des Clubs, Philip, 63, ist ebenfalls Regional Officer. Als Modellregisterführer für die W 108/109 „Alte S-Klasse“ berät er die Clubmitglieder zu diesem Modell. Bevor das Fest in zwei Tagen steigt, wollen die beiden durch London cruisen und eine Strecke auskundschaften, um am Sonntag irgendwie durchs Tohuwabohu zu kommen. 

Zum Jubiläumstreffen werden 80 Klassiker aus mehreren Landesteilen erwartet. Erste Windböen erfassen die Bäume, Peter zupft sich seinen britisch karierten Schal zurecht. Kurz darauf geht ein gutturaler Sound durch den Park. Die beiden geben Gas, schweben bald über die pastellblaue Albert Bridge, hinein ins brodelnde London zwischen Battersea und Royal Borough of Kensington and Chelsea. 

Glückliche Grunerts: Peter und seine Frau Sharmila treffen sich an diesem Freitag zum Lunch, um sich mit Fish ’n’ Chips zu stärken.

An diesem Mittag aber bleiben die Menschen stehen, zücken die Handys und zeigen staunend auf das, was da vor ihren Augen vorbeirollt. Sogar beim Cricket-Spiel der heimischen Mannschaft gegen die Westindischen Inseln wird das Bild im TV kurz eingeblendet – jemand muss es dem Sender vom Handy aus zugespielt haben: drei klassische Mercedes-Benz, die erhaben durch den Verkehr gleiten. Es sind betörend schöne Autos, so makellos herausgeputzt, als kämen sie frisch vom Band: ein 220 SE Coupé der „Heckflossen“-Baureihe 111, ein
190 SL und eine 170 S Limousine, damals „Innen­lenker“ genannt. Chromblitzende Zierleisten, funkelnde Stoßstangen­hörner, majestätische Kühlerhauben, in denen sich die Palmen spiegeln

Zusammenkunft von Freunden: Peter und Sharmila Grunert und Philip Thain (von rechts nach links) gehen in einem Restaurant in Chelsea noch mal den Plan für das Wochenende durch.

Ein Gipfeltreffen der britischen Art.

„Das Wochenende soll heiter werden“, hofft Peter. „London ist mit seinen vielen Großveranstaltungen am Anschlag, aber wir nehmen das gelassen.“ Er sitzt am Steuer seines 280 SE, manövriert durchs gediegene Chelsea. Pubs ziehen vorbei, ebenso die blumenumrankten Lokale von Star-Köchen, internationale Botschaften und Konsulate, elegante Stadthäuser. Hinten auf der Hutablage seines 280 SE sitzt ein kleiner brauner Hund und nickt zustimmend. Es ist Peters persönlicher Wackeldackel, mit Messing-Stern am goldenen Halsband. Nur ein Detail, doch es verrät viel über Peter Grunerts Hingabe zu Automobilen mit dem Stern auf der Haube. 

Er lebte für einige Zeit im US-amerikanischen Nashville, Tennessee, als er sein Faible für klassische Autos entdeckte – und bald ein eigenes wollte. Nur welches? Sein Großvater war früher Pilot, er flog die berühmte Super Constellation, später die Boeing 707, die das Jet-Zeitalter einläutete.

Vom Opa hat Peter seine Begeisterung für Technik. Und: Seine Familie stammt ursprünglich aus Deutschland. Damit war die Wahl getroffen: Es musste ein Mercedes-Benz sein. Peter suchte und fand vor fünf Jahren seinen W 116. Elektrische Fensterheber, elektrisches Stahlschiebedach, der Sound der Türen. Chrom glänzte ihn an, unwiderstehliche Zier­leisten. Und dann war da diese grüne Lackierung: „Ich konnte nicht anders, ich musste diesen Wagen haben. Punkt.“

Mit ihm hatte er auch die Eintrittskarte zum Club, und als eines von rund 9 000 Mitgliedern fasziniert ihn heute noch etwas anderes. „Unsere Mitglieder stammen aus aller Welt“, sagt er. „Europa, Asien, Afrika, Amerika, Australien. So viele Menschen, so viele Geschichten. Die Autos sind dabei für uns das alle miteinander verbindende Element. Sie stehen für die Kraft geteilter Faszination, aber auch für das multikulturelle London.“ 

Peter sitzt am Lenkrad, er und Philip fahren über die King’s Road, durch immer neue Kulissen. Edles London, grünes London, altes London, modernes London. Diese Stadt beherrscht alles. Sie ist ausufernd, endlos und proppenvoll. „Zum Glück hat mein alter 280 SE einen super Wendekreis, da kommen viele moderne Wagen nicht mit“, sagt Peter. Hinter ihm fährt Philip in seinem 230. Mächtige Kühlerhaube, dunkle Instrumententafel, Lenkrad mit verchromtem Hupring. Der Wagen aus den 1960er-Jahren wirkt wie ein Statement der Zeitlosigkeit. Lässig, elegant. Erhaben über alle Trends. Auch Philip hat einen besonderen Bezug zu seinem „Lieblingsauto“. Geboren in Hongkong, verbrachte er danach vier Jahre seiner Kindheit in Deutschland. 

Gediegenes Chelsea: Der vornehme Stadtteil im Westen Londons ist Ausgangspunkt des urbanen Roadtrips.

Familiensache.

Sein Vater war Verbindungs­offizier im Verteidigungsministerium und kaufte den Wagen damals, holte ihn 1967 sogar persönlich in Sindelfingen ab. Philip besitzt noch heute den Abholschein der Limousine ab Werk. 

Lackierung: 158 Weißgrau. Polster: MB-Tex Blau 2303. Sonderausstattung: Verbundglas-Frontscheibe. Er sitzt im Trenchcoat am Steuer, sagt: „In diesem Wagen habe ich meine Kindheit verbracht, er war unsere Familien-Limousine, wir sind damit durch halb Europa gefahren. 1985 habe ich ihn von meinem Vater übernommen und fahre ihn bis heute. Das ist für mich einerseits Ehrensache, andererseits Herzensangelegenheit.“ Der Wagen liegt bis heute eben nicht nur gut auf der Straße – sondern auch in der Familie. Die „Heckflosse“ war das Hochzeitsauto, als Philip 1990 heiratete. Nun ist es aber so, dass der Sohn des Vaters alte Vorliebe für Stuttgarter Automobile nicht nur erbte, sondern diese Neigung noch weiter forcierte. Auf die Frage, ob noch ein weiterer Klassiker hinzugekommen sei, antwortet Philip: „Nun ja, das könnte man so sagen.“ Er besäße heute insgesamt neun Klassiker – „alles Mercedes-Benz“. Dann beginnt er aufzuzählen: „Ein 280 SE 3.5 mit V8-Motor, ein 500 SEL, dann noch der 250 SE Sechszylinder, ebenfalls Baujahr 1967.“ Philip überlegt, ach ja, das CLK Coupé, das er in Nord-Wales gefunden habe, der „Strich-Acht“ und der 300 E, Baureihe 124, den er für seine Frau gekauft habe. Dann kommt er mit der Aufzählung durcheinander. Kann passieren – bei der Anzahl an Autos!

Sidath brauchte all diese Teile, um jedes einzelne Exemplar seiner Flotte zu restaurieren und wieder in Topform zu bringen: „Es ist in meinem Blut. Der blanke Irrsinn, aber ich kann einfach nicht anders.“

In Sri Lanka hatte er längst begonnen, selbst zu schrauben, kannte irgendwann jede Zylinderkopf­dichtung beim Namen, jeden Weißwandreifen samt Teilenummer. Seine Sammlung wuchs. Irgendwann leitete er sogar Workshops, gab Tipps, wo man im Ausland alte Originalteile ergattern, wie man die Klassiker am besten restaurieren kann. Schon bald hatte er mit seinem ungebremsten Enthusiasmus eine Klassiker­szene auf Sri Lanka um sich geschart, während 1990 der Club gegründet wurde 

Und wie soll es weitergehen? Philip arbeitet in der Logistik, ist zuständig für Brauerei-Auslieferungen in ganz London, er kennt sich also aus mit Litern und Hubräumen. Doch bald geht er in Rente – und wird noch viel mehr Zeit für seine Schätzchen haben. „Oh well“, sagt er. „Man muss die Dinge nehmen, wie sie kommen.“ Am Nachmittag holen Peters Frau Sharmila, 39, und ihre gemeinsame Tochter Savithri, 10, die beiden ab. Es ist Freitag und in London isst man heute traditionell Fisch. Die beiden Wagen parken vor einem angesagten Pub im edlen Chelsea.

Im The Surprise landet eine kapitale Runde Fish ’n’ Chips auf den Tellern. „Klassische Autos, klassisches Essen“, sagt Philip. „Und klassisches Wetter“, erwidert Sharmila. Draußen prasseln die ersten Regenschauer auf London herab. Auf britische Sturmtiefs ist eben Verlass.

Small Talk: Sharmila Grunert (am Steuer des geparkten W 116) und ihre Tochter Savithri sind sichtlich gut gelaunt.

Sightseeing: Klassiker mit Stern sind in London zwar wirklich keine Seltenheit, aber wo immer sie auftauchen, sind sie doch stets ganz besondere Attraktionen. Eben Kunstwerke auf vier Rädern!

Kamrans Goldstück.

Samstag. Am Morgen kommt Kamran Modaresi mit seinem 450 SLC um die Ecke. Er will mit Peter und Philip die Wagen ausfahren, und sein Modell sticht schon wegen der Farbe heraus: Das Coupé, Baujahr 1978, ist lackiert in Ikonengold metallic. Kamran, 56, liebte Mercedes-Benz schon immer, aber da er nicht nur Doktor der klinischen Gefäßwissenschaften ist, sondern auch leidenschaftlicher Schrauber, suchte er „ein Projekt“, wie er es nennt. Vor sechs Jahren fand er es. Ein Managing Director wollte seinen alten SLC verkaufen – und der über Jahre arg vernachlässigte Wagen brauchte dringend Zuwendung. Kamran möbelte sein altes, neues Goldstück mit eigenen Händen wieder auf. Restaurierte Motor und Getriebe, die Metallteile, den Lack, die Polster. „Jedes Detail am Wagen ist original“, sagt Kamran. 

„Ich musste alles nur wieder in Schuss bringen.“ Genau das tat er, Kratzer für Kratzer, Naht für Naht, inklusive des Interieurs Velours bambus, das er von Hand sorgfältig in Bestform nähen ließ. Für sein „Projekt“ nahm er sich fünf Jahre Zeit. Doch genau darin liege für ihn der Reiz: „Wir leben in einer stressigen Welt, für mich ist das Arbeiten am Auto wie Meditation.“ Und das Fahren wie pures Glück: 217 PS bringt der 4,5-Liter-V8-Motor heute wieder auf die Straße, und so hört es sich auch an, wenn Kamran einsteigt und Gas gibt. 

Britisches Herbstwetter.

Die drei fahren durch die Stadt, treffen sich mit Kindern und Familie später im Tierra Verde, einer Mixtur aus Coffeeshop, Greengrocer und spanischem Deli, gelegen zwischen Clapham und Wandsworth Common. Brunchen im hippen London. Auf dem Tisch landen Croissants, Cappuccinos, Sandwiches – und reichlich Mercedes Literatur. Peter und Philip haben ihre Archive durchstöbert und einen Stapel Originalbroschüren aus den alten Tagen mitgebracht. Uneingeschränkter Fahrspaß kennt nun mal keine Grenzen. Wer ein echter Fan ist, dem munden Motordetails, Farbcodierungen und Ersatzteilnummern bereits zum Frühstück.

Draußen: britisches Herbstwetter. Tief hängende Wolken rasen über die Stadt, garniert mit waagerecht fliegenden Schauereinlagen. Kamran sagt: „Typisch London, aber wen stört das schon?“ Ähnlich gelassen sieht es wohl das Wetter selbst – denn kurze Zeit später klart es prompt wieder auf. Die drei sitzen in ihren Wagen, cruisen Richtung Knightsbridge, um einen weiteren Regional Officer des Clubs zu treffen. Letzte Besprechung vor dem Treffen morgen. Dazu: ein vierter Wagen, der es in sich hat.

Glitzernde Weltstadt: London steht für Finanzgeschäfte und Internationalität, für fulminantes Großstadtflair und multikulturelle Vielfältigkeit.

Sidath brauchte all diese Teile, um jedes einzelne Exemplar seiner Flotte zu restaurieren und wieder in Topform zu bringen: „Es ist in meinem Blut. Der blanke Irrsinn, aber ich kann einfach nicht anders.“

In Sri Lanka hatte er längst begonnen, selbst zu schrauben, kannte irgendwann jede Zylinderkopf­dichtung beim Namen, jeden Weißwandreifen samt Teilenummer. Seine Sammlung wuchs. Irgendwann leitete er sogar Workshops, gab Tipps, wo man im Ausland alte Originalteile ergattern, wie man die Klassiker am besten restaurieren kann. Schon bald hatte er mit seinem ungebremsten Enthusiasmus eine Klassiker­szene auf Sri Lanka um sich geschart, während 1990 der Club gegründet wurde 

Nahe Eaton Place stoßen Clive Ricketts, 55, und seine Tochter Montanna Japaul, 26, zur Gruppe. Sie sitzen in Clives 280 CE, Baujahr 1972. Der Wagen schwebt um einen goldverzierten Hydranten und parkt ein. Clive, Social Media Director des Clubs, lehnt aus dem Fenster: „Gentlemen, nice to see you, how is life?“ Er sitzt in einer blitzblanken automobilen Erscheinung. Farbe: Moosgrün metallic. Dazu besitzt der Wagen eine pneumatische Luftfederung Marke Eigenbau. Stolz pumpt Clive den Wagen kurz hoch, lässt ihn wieder hinab. Die Federung funktioniert auf Knopfdruck. Vor allem aber fesselte ihn das „ultrastarke Grün“, als er den Wagen vor drei Jahren das erste Mal sah. Hinzu kamen die Sitze aus schwarzem MB-Tex. 

Feste Familienbande: Software-Entwickler Clive Ricketts und Tochter Montanna Japaul stoßen gut gelaunt im auffälligen „Strich-Acht“ Coupe zur Gruppe.

Und dann erinnert sie die Fahrten zur Großmutter. „Über 17 Jahre lang sind wir jeden Sonntag mit einem der Autos zu meiner Oma gefahren, um sie zu besuchen. Oft durften meine Schwester und ich vorn sitzen, das war immer zauberhaft und aufregend.“ Tags darauf fahren sie hoch ins kühlere Hill Country, wo grüne Teeterrassen leuchten, der Dschungel dichter wird und immer wieder freche Makaken auftauchen. Die Wagen halten am Sri Dalada Maligawa, jenem Tempel, in dem laut Überlieferung der linke Eckzahn Buddhas aufbewahrt wird. Als Nächstes steuert die Gruppe über die legendären 18 Bends, Serpentinen, die sich wie eine kilometerlange Kobra durch die Berge winden. Bei Sigiriya stößt ein alter Freund von Sidath zur Gruppe: Nigel Austin, 76, ein weiterer Gründer des Markenclubs und Diamantenfabrikant.  

Freie Fahrt: Der 280 CE und der 450 SLC umfahren zielsicher die Londoner Verkehrsstaus.

In der funkelnden Weltstadt.

„Der Wagen sieht maximal verschärft aus, ich nenne das einen echten ,Badass-Look‘, ich war auf der Stelle hin und weg“, sagt Clive. Seine Eltern kamen in den 1950er-Jahren aus Jamaica nach London, er wuchs nicht gerade im besten Viertel der Stadt auf. Doch seine Eltern gaben alles für seine Ausbildung. Heute ist Clive ein gefragter Software-Entwickler – mit Hang zu Automobilen, von denen damals bereits sein Vater träumte. Nun ist dieser Traum wahr geworden. Mitten in der funkelnden Weltstadt London, die niemals aufhört, ihre eigenen Geschichten zu schreiben. Besonders wenn es darum geht, nach den Sternen zu greifen. Inzwischen sind sie zu viert. Immer wieder bleiben Passanten stehen, fragen nach den Jahrgängen der Autos, bestaunen die Klassiker. Dann steigen die vier Gentlemen in ihre Preziosen, fahren in die Außenbezirke. Morgen ist das große Treffen.

Das Wetter: ein schweres Grafitgrau mit einigen dahinsausenden hellen Tupfern. Vorhersage jetzt: Starkregen! Aber Clive sieht es wie die meisten anderen: „Wird schon“, sagt er lässig lächelnd. „Keep driving, keep smiling.“

Sidath brauchte all diese Teile, um jedes einzelne Exemplar seiner Flotte zu restaurieren und wieder in Topform zu bringen: „Es ist in meinem Blut. Der blanke Irrsinn, aber ich kann einfach nicht anders.“

In Sri Lanka hatte er längst begonnen, selbst zu schrauben, kannte irgendwann jede Zylinderkopf­dichtung beim Namen, jeden Weißwandreifen samt Teilenummer. Seine Sammlung wuchs. Irgendwann leitete er sogar Workshops, gab Tipps, wo man im Ausland alte Originalteile ergattern, wie man die Klassiker am besten restaurieren kann. Schon bald hatte er mit seinem ungebremsten Enthusiasmus eine Klassiker­szene auf Sri Lanka um sich geschart, während 1990 der Club gegründet wurde 

Sonntag, Showdown am Syon Park, draußen auf dem Land Richtung Heathrow. Peter, Philip, Kamran und Clive sind früh am Start. Auf der Wiese eines 400 Jahre alten Anwesens haben sie einen Pavillon aufgebaut, die ersten Wagen trudeln ein – aus Essex, Sussex, Oxford, Nottingham, viele aus Londons Umland. Kühlerhauben glänzen, Chrom blitzt. Und, ja, das Wetter hat doch noch einen U-Turn gemacht. Über London strahlt plötzlich die Sonne! Neben seinem weißen 280 SE 3.5 von 1971 steht Paul Thompson, 59, und streicht gedankenverloren über die Scheinwerfer. Ein paar Wagen daneben parliert Bob Coxshall, 76, mit Freunden über seinen schwarzen 220 S von 1958, den ältesten Wagen beim heutigen Treffen. Einst gehörte der „Ponton“ einem Diplomaten, bis das Auto vor 20 Jahren aus Simbabwe nach London kam und in Coxshalls Hände fiel. Etwas weiter wird auf der grünen Wiese gegrillt, gibt es Sandwiches. In Kofferräumen kommen alte Radkappen zum Vorschein, Kühlergrills, Stoßstangen. Auf einer Wolldecke liegen Handbücher aus, „Repair and Tune-up Guides“ nebst „Workshop Manuals“ aus den 1960er-Jahren. 

Party im Park: Zum Jahresabschluss-Event des Clubs kamen rund 80 Klassiker in den Londoner Syon Park. Es gab Gegrilltes, Sandwiches – und ganz viel zu bestaunen.

Lustiger Geschichtenerzähler: Tony Whitehead (Mitte) besaß schon 50 Autos mit Stern. Zum Clubtreffen hat er viele alte Fotos samt den dazu passenden Storys – und auch ein paar Ersatzteile – mitgebracht.

Eine Geschichte hat er noch.

Und natürlich darf er nicht fehlen: Tony Whitehead, 83, Schiebermütze, stechend blaue Augen, Jeans. Er zeigt Fotos, viele Fotos. 40 Jahre fuhr er beruflich Lastwagen, rund 50 Autos mit Stern besaß er schon – und an sein erstes erinnert er sich noch sehr gut: „Eine bildhübsche ,Heckflosse‘, ich war gerade mal 26 Jahre alt.“ 

Tony ist ein vortrefflicher Erzähler. Seine Storys handeln von endlosen Straßen und großem Glück, von England und vielen Meilen, sie handeln von einem langen Leben und der Kunst, sich wirklich für etwas zu begeistern. Über Tonys Kopf fliegen die Flugzeuge Heathrow an, Syon Park liegt in der Einflugschneise. Tony blickt einen Moment nach oben. Eine Geschichte hat er noch: „Ich bin nur ein einziges Mal in meinem Leben geflogen. Nach Paris, vor sehr, sehr vielen Jahren. Aber Fliegen ist nicht mein Ding.“ Zurück in London, sagt Tony, habe er ein Auto gekauft.

Seitdem fährt er ausschließlich Mercedes-Benz.

Mercedes-Benz Club United Kingdom.

Im Jahr 1952 gründete ihn der Marine-Architekt Ronald H. Johnson, schon damals begeisterter Mercedes-Benz Fan. Es sollte der erste Mercedes-Benz Club der Welt werden. Johnson hatte seinen ersten Mercedes 1930 gekauft, einen Typ SS. Schirmherr an seiner Seite war damals Edward L. Meyer, ein Gentleman, der bekannt wurde, weil er in seinem Leben sage und schreibe 115 Mercedes-Benz sein Eigen nannte. Das erste Club-Meeting fand 1952 im Berystede Hotel in Ascot statt, von Daimler-Benz kam ein Glückwunsch-Telegramm aus Deutschland – der Rest ist Geschichte. Der Club wuchs auf aktuell rund 9 000 Mitglieder, berühmte Rennfahrer traten ihm bei, das erste clubeigene Magazin erschien. Zu den Mitgliedern zählten bald Politiker, der amerikanische Vize-Konsul, Sir Peter Ustinov, Iraks König Faisal II oder auch Prinz Abhas Bhanubandh aus der thailändischen Königsfamilie. Viele Events wurden fortan zelebriert, Film-Festivals, Talk-Runden, Rennen, hinzu kamen Hunderte von Ausfahrten und Treffen. Und das ist bis heute so. 70 Jahre Tradition: ein Zeugnis britisch-deutscher Freundschaft mit spezieller Vorliebe für traumhaft schöne Autos im Zeichen des Sterns.