„Kann losgehen!“

Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne. Gelegentlich nicht ohne Startschwierigkeiten. Präzise hat Holger Hutzenlaub das feuerwehrrote Grillmobil rückwärts auf seinen Standplatz rangiert. Er ist zufrieden: „Ein guter Platz hier, da kommen viele Leute vorbei.“ Er klatscht aufmunternd in Richtung seiner Mitarbeiter: „Kann losgehen!“ Seine Mitarbeiter, das sind die beiden Töchter Maria und Lilli (18 und 17 Jahre) sowie Sohn William (elf Jahre). So richtig losgehen kann es dann doch nicht, nachdem die Grillstation aufgebaut ist. Die Warmhalteplatte für die Burger wärmt nicht. Holger Hutzenlaub geht dem Problem auf den Grund: Der Strom vom Anschluss des Veranstalters dieses kulinarischen Markts zum Fahrzeug fließt. Der Strom von der Verteilersteckdose des Fahrzeugs zu den externen Geräten fließt. Nur eben nicht zur Warmhalteplatte. Holger Hutzenlaub zieht eine graue Kunststoffkiste aus dem Laderaum des Transporters, kramt darin und holt ein Elektrokabel heraus. „Jetzt bin ich selbst gespannt“, sagt er und tauscht die Leitung aus: Die Warmhalteplatte wärmt.

Auf der rechten Fahrzeugseite hat Holger Hutzenlaub seine Grillstation installiert.

Alles noch wie 1969, als das Feuerwehrauto erstmals zum Dienst antrat.

„Wurst on Wheels.“

„Wenn du mit einem Foodtruck unterwegs bist, brauchst du immer einen Plan B“, sagt er. Man könne ja nicht wegen jeder Kleinigkeit zurück nach Hause fahren, um Ersatz zu beschaffen. Obwohl es am heutigen Tag ein Geringes wäre: Hutzenlaub lebt mit seiner Familie in Böblingen nahe Stuttgart, und Schauplatz des kulinarischen Markts ist eine Kleinstadt, nur wenige Kilometer entfernt. Dass Holger Hutzenlaub sich von technischen Problemen nicht aus der Ruhe bringen lässt, mag auch an seinem beruflichen Hintergrund liegen. Er lebt nicht etwa davon, Grillwürste und Burger zu verkaufen, er ist ein gestandener Designer. „Wurst on Wheels“, so heißt der Foodtruck, ist ein Hobby. Sein Hobby und das der Familie. Eigentlich ein Hobby aus Verlegenheit.

Mehr als 32 000 Kilometer auf dem Zähler.

Und das kam so: Vor knapp drei Jahren besuchte er die Abiturienten-Verabschiedungsfeier seines Neffen in einem Internat auf der Schwäbischen Alb. Im Hof des ehemaligen Klosters stand ein ausrangiertes Feuerwehrfahrzeug, das hier stationiert gewesen und kurz zuvor von einem modernen Feuerwehrwagen abgelöst worden war. Der Anblick des Mercedes-Benz 408/LF8, Baujahr 1969, ging Holger Hutzenlaub ans Herz.

„Der Transporter war, wie viele Feuerwehrfahrzeuge, in einem ordentlichen Zustand. Er hatte, weil er ja nur selten zum Einsatz kam, nicht mehr als 32 000 Kilometer auf dem Zähler. Allerdings war er ziemlich abgenutzt und hatte sehr lang gestanden.“

Dass ein Mercedes-Benz Hutzenlaubs Blicke auf sich zieht, ist kein Zufall: Der Mann arbeitet seit 25 Jahren für die Marke. Der 50-jährige studierte Fahrzeugingenieur und -designer leitet heute das Advanced Design Studio Deutschland der Mercedes‑Benz Group AG in Sindel­fingen. Sein Team beschäftigt sich unter anderem mit der Design­strategie der neuen Mercedes-Benz Elektrofahrzeuge.

„Das Feuerwehrfahrzeug war für gerade mal 1 500 Euro zu haben, doch klar, die Restaurierung würde Zeit und Geld kosten.“ Und er musste sich gute Gründe für seine Frau Lucie ausdenken, wieso er schon wieder ein neues altes Fahrzeug an Land ziehen wollte nach mehreren „Strich-Achtern“, die er in den Jahren zuvor flottgemacht hatte: „Der Strich-Acht hat meine Jugend geprägt, war mein erstes eigenes Auto.“ Die Frage, ob er je ein anderes Fabrikat als Mercedes-Benz gefahren sei, erwischt Holger Hutzenlaub auf dem falschen Fuß:

Er hält inne, bevor er sagt: „Darüber habe ich nie nachgedacht. Nein, es waren immer Mercedes.“ Eigentlich nicht überraschend: Auch sein Vater und sein Großvater haben bei Mercedes-Benz gearbeitet. Das prägt. „Ich konnte den Feuerwehr-408er nicht einfach seinem Schicksal überlassen. Also habe ich überlegt, was wir mit ihm anfangen könnten“, sagt Hutzenlaub, zurück im Hier und Jetzt. Seine Töchter würden bald ins Führerscheinalter kommen, vielleicht könnte man ihn zum Wohnmobil ausbauen? Oder als mobiles Café aufrüsten? Oder zum Foodtruck? „Diese Szene hat mich immer schon interessiert, weil es da viele kreative Köpfe gibt.“

Serviert wird an der Theke, deren Teile im Foodtruck transportiert werden können.

Viele Ideen und eine Entscheidung.

Dann kam die Zeit der Entscheidungen. Der 85 PS starke Ottomotor des Freunds und Helfers sprang beim ersten Drehen des Zündschlüssels an, ein Zeichen: Der Oldie wollte zurück ins Leben. Um Ehefrau Lucie mit auf die Reise zu nehmen, formulierte Hutzenlaub das Ziel: Der Wagen soll die Kosten der Restaurierung – sie dauerte etwa ein Jahr – anschließend selbst verdienen. Also Foodtruck. Als Kontrapunkt zur aktuellen Szene bietet der Hobby-Brater ganz klassische Sachen an: Wurst, Bier, Softdrinks, alles aus regionaler Herstellung.

Rollende Wurstbude.

Einzige Konzession sind die reichlich belegten Burger mit Pattys aus US-Beef. Weil die Stehhöhe im Wagen nicht ausreichen würde, um ihn zur rollenden Wurstbude umzubauen, musste eine andere Lösung her: Ein Werbetechniker baute die Bedientheke aus transportablen Teilen, die im Wagen Platz finden. „Der Vorteil war, dass ich vieles am Feuerwehrfahrzeug original lassen konnte.“ Die schwenkbare Grillstation, dazu Ablagen und verglaste Kühlfächer waren die wesentlichen operativen Eingriffe.

„Hinter den Türen der linken Fahrzeugseite ist immer noch die originale Ausrüstung verstaut, und die Vorbaupumpe funk­tioniert nach all den Jahren anstandslos.“ Am Ende wurden Wagen und Theke im Original-Feuerwehrrot lackiert – fertig war „Wurst on Wheels“. Ein Familienbetrieb, alle machen mit: die Ehefrau, die Töchter, der Sohn. „Jeder von uns hat auch andere Interessen. Doch die Wochenenden, wo wir gemeinsam auf Achse sind und Gäste bewirten, sind etwas sehr Wert­volles“, sagt der Designer.

Weitere Informationen.

Wurst on Wheels

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