Diese Tour ist noch mehr als nur ein Abenteuer auf vier Rädern. Mechanikercrews sind dabei, sogar Mediziner begleiten die Rallye. Sie ist eine Grenzerfahrung, für Mensch und Maschine. Zum Beispiel auf dem China National Highway 219, der mit durchschnittlich 4 000 Metern über dem Meeresspiegel den Höhenweltrekord unter den Highways hält. Oder beim Überqueren von Pässen, an denen die Klassiker auf über 5 000 Meter klettern mussten. Dort kamen dann auch mal die Sauerstoffflaschen für die Piloten und Benzin-Booster für die Autos zum Einsatz, denn Benzin mit 95 bis 98 Oktan gibt es dort oben schlicht nicht.
Glorreiche Drei: Die „Böhringer Pagode“, der „Strich-Acht“ und das G-Modell stehen bereit für die nächste Bergetappe.
Königsetappe: Unzählige Serpentinen führen hinauf in Richtung Basiscamp unterhalb des höchsten Berges der Welt.
Schon ihre zehnte Auflage feierte die New Silk Road Rallye im Jahr 2018. Stets beginnt sie im Spätsommer in Deutschland und führt durch Osteuropa und Asiens Weiten bis nach China. Diesmal startete die Langstreckentour in Hamburg und ging über 46 Tagesetappen – und 14 Ruhetage – nach Hongkong. Das Teilnehmerfeld: 28 Frauen und Männer in 14 Klassikern, darunter sechs Fahrzeuge der Marke Mercedes-Benz. Die Piloten aus der Schweiz und Deutschland erwarteten Temperaturen zwischen Biosauna und Tiefkühltruhe. 14 000 Kilometer. Acht Länder: Deutschland, Polen, Weißrussland, Russland, Kasachstan, Usbekistan, Kirgistan und China. Highlights wie das Pamir-Gebirge und der Himalaya, dann das Perlflussdelta am südchinesischen Meer. Auf den aufregendsten Etappen begleitete unser Fotograf die Teilnehmer. Was von einer solchen Tour bleibt? Nach der Rückkehr trafen wir die Piloten einer „Pagode“, eines Strich-Acht und eines G-Modells. Hier ist ihre Geschichte.
Seinen Mercedes-Benz 230 SL (W 113), Baujahr 1964, hat sich Kurt Infanger ein Jahr vor Rallye-Start mit klarem Ziel zugelegt: „Ich ließ ihn so umbauen, dass er fast identisch mit der legendären Böhringer Pagode ist, mit der Rennfahrerlegende Eugen Böhringer in den frühen 1960er-Jahren spektakuläre Langstreckenerfolge errang“, sagt der 69-Jährige. „Das hat mich schon als Kind fasziniert.“ Und da er selbst ein „passionierter Autofahrer und begeisterter Bergmensch“ sei, wollte er testen, wie er und sein Wagen sich auf der Ultra-Rallye entlang der Seidenstraße schlagen.
„Die Zeit war reif für einen solchen Höhepunkt. Wir arbeiten ja nicht mehr und wollten mal gemeinsam etwas richtig Verrücktes machen.“ Seine Ehefrau Susi, 67, knufft liebevoll seinen Arm.
Einvernehmlich beschlossen die Infangers, bei der New Silk Road Rallye an den Start zu rollen. Der Hausarzt gab sein Okay, das Auto war inklusive speziellen Unterbodenschutzes startklar.
Wie es war? „14 174 Kilometer Hochgefühle“, schwärmt er. „Wir fuhren im Pamir und im Himalaya wochenlang auf einer Höhe von 4 000 Metern und mehr“, sagt sie. „Es war toll, atemberaubend, grandios. Interessant war zu beobachten, wie die Rollenaufteilung zwischen Männern und Frauen sich auf einer solchen Extremreise gestaltet. Die Männer kümmern sich tatsächlich fast nur um die Technik und wir Frauen halten die Gemeinschaft zusammen.“
Motorcheck: Blick unter die Haube. Der 230 SL läuft wie ein Schweizer Uhrwerk.
Obwohl die Luft oft sehr dünn war, wurden die Infangers immer wieder durch die vielen Naturwunder und Begegnungen mit den Menschen entlang der Strecke entschädigt. Die Sauerstoffflasche hatten sie nur kurz im Einsatz: Aus der Flasche führten zwei kleine Schläuche, die man an die Nase legte. Und der 230 SL? Lief verlässlich wie ein Schweizer Uhrwerk. Im Flugzeug zurück von Hongkong nach Zürich wurde ihnen dann erst so richtig bewusst, was hinter ihnen lag – als sie die Flugroute auf dem Bildschirm sahen. „Mensch, Susi, zwick mich mal“, bat Kurt Infanger. „Sind wir wirklich gerade die ganze Strecke mit dem Auto gefahren – oder war es nur ein Traum?“ „Kurt, es war ein Traum“, antwortete seine Frau lächelnd.
Andreas Honegger, 62, Unternehmer aus dem Zürcher Oberland, war bereits vor der Rallye ein erfahrener Pilot. Mit seinem 220 (W 115), Baujahr 1969, fuhr er schon lange Touren durch den Süden Asiens und den Norden Europas. „Jetzt wollte ich diese weiten, breiten Landschaften Chinas durchfahren – und mein Auto mal vor dem Mount Everest parken“, sagt er. Tochter Tatjana, 23, die am Londoner King’s College Liberal Arts studiert, begleitete ihn dreieinhalb Wochen durch die hoch gelegenen Etappen als Co-Pilotin. „Meine einzige Bedingung war, dass wir eine gute Musikanlage an Bord haben“, sagt sie. So lange und intensiv auf engstem Raum zusammen, da hatten beide, die sonst ziemlich schnell mal streiten, ihre Bedenken.
Er der Alleinbestimmer, sie die ewig Kleine? „Zum Glück war es nicht so. Wir haben uns unterwegs ganz neu schätzen gelernt“, sagt Tatjana. „Wir verbrachten ja praktisch 24 Stunden am Tag miteinander und sind uns wieder viel näher gekommen“, bestätigt ihr Vater. Beide fanden es „total lässig“, mit dem robust-verlässlichen Strich-Acht das Gefühl von Freiheit, Unabhängigkeit und auch der intensiven Zweisamkeit auszukosten.
Die dicht bevölkerte Schweiz und das geschäftige London waren für sie so weit weg wie der Mond. Das Herz ging ihnen auf.
Glücksbringer: „Gute Fahrt“ steht auf dem Schlüsselanhänger des Strich-Acht.
Sie hat für ihre Freunde Steine gesammelt und in den Gebirgsseen gewaschen. Er hat einfach nur genossen, „dass es oft über 250 Kilometer nichts gab als Steinwüsten, Hochplateaus, Gletscher und kaum Gegenverkehr auf den schnurgeraden Straßen. Und natürlich meine erwachsene Tochter neben mir mit ihrer coolen Musik, ihren klugen Gedanken – aber auch mit der heißen Nudelsuppe, die sie manchmal morgens noch im Hotel für uns gemacht hatte.“
„Die Rallye war die Erfüllung eines lang gehegten Lebenstraums“, sagt Fabrikant Tom Rüggeberg, 79. Er hat sich extra einen Wagen gekauft, der schon einmal die Seidenstraße gemeistert hatte: ein roter 230 GE (W 460), Baujahr 1983, mit dem der Vorbesitzer bis nach Schanghai gefahren war.
Tom Rüggebergs Ehefrau mochte nicht mitfahren, dafür Tochter Eve. Der Vater schenkte ihr die Reise zum 50. Geburtstag.
Seine Frau gab ihr nur einen Wunsch mit auf den Weg: Bring ihn gesund nach Hause. Das hat Eve getan. „Wenn in den Bergen meine Lippen hell wurden“, erklärt Tom Rüggeberg, „hat Eve mir Sauerstoff gegeben.“ Als Fahrer haben sich beide abgewechselt. Je dünner die Luft, desto öfter übernahm sie das Steuer. Und das Highlight der Reise? Tom Rüggeberg überlegt nicht lange: „Im Himalaya erfuhr ich, dass ich Urgroßvater geworden bin. Überwältigend war das alles!“
Attraktion: Die Piloten und Klassiker sind im Himalaya ein begehrtes Fotomotiv.
Andreas Flück organisiert mit seinem Team von China Tours Traumfahrten.
Was macht eigentlich den Reiz solcher Langstrecken-Rallyes aus?
Für uns sind diese Touren mit klassischen Fahrzeugen immer auch rollende Völkerverständigung. Wo wir auftauchen, läuft quasi das ganze Dorf zusammen, lösen wir Neugierde und oft auch Begeisterung aus.
Inwiefern?
Wo kommt ihr her, wo geht es hin? Das sind Fragen, die uns die Leute vor Ort stellen. Schon sind wir mittendrin im Austausch.
Was erwartet die Teilnehmer der New Silk Road Rallyes sonst noch?
Jeder muss sich dessen bewusst sein, was ein solches Fahrabenteuer bedeutet. Es ist eine körperliche und psychische Herausforderung. Man lernt sich vielleicht noch mal ganz neu kennen. Sich und seinen Co-Piloten.
Also ist die Rallye tatsächlich auch eine Reise zu sich selbst?
Definitiv!
Wann geht’s wieder los – und wohin?
Am 24. August starten wir vom Kurfürstendamm in Berlin nach Peking. Im Jahr der 25-jährigen Städtepartnerschaft rollen wir in 52 Tagen über die Seidenstraße. Ein weiteres abgefahrenes Abenteuer!
Kaltstart: Die Tagesetappen haben eine Länge von knapp 100 bis maximal 600 Kilometer. Los geht es meistens schon ganz früh.