... und eine Liebeserklärung!

Dem „Großen Mercedes“ wohnt ein großer Zauber inne. Ich erinnere mich noch genau an meine allererste Begegnung mit ihm: Es war vor einigen Jahren beim niederländischen Mercedes-Benz Enthusiasten Nico Ockhuisen, dessen 130 Sterne umfassende Sammlung nahe Amsterdam in einer Halle (neuerdings sogar in seinem privaten Automobilmuseum) auf dem Gelände seines Jachthafens ihre Heimat hat. Voller Respekt und mit staunendem Blick umkreiste ich Nicos W 100: kurzer Radstand, Baujahr 1971, dunkelrotbrauner Lack, die Sitze in Leder cognac. Das Auto war erst 8 000 Meilen gefahren. Ein Gentleman auf Rädern, eine luxuriöse Ikone des Automobilbaus stand da vor mir in der Aprilsonne. Ein selbstbewusst-souveränes Auto mit Historie und sicher vielen Geschichten. Erstbesitzer war ein New Yorker Medienmogul. Viele Erstbesitzer der Modelle dieser Baureihe waren Wirtschaftsgrößen, Politiker, Könige, Weltstars. Ich bewunderte seine elegant-erhabenen Linien, setzte mich in den Fond, schaute mich um, strich über Leder und Wurzelholz, schloss die Tür und dann meine Augen. Es folgte ein Moment der Stille und Geborgenheit. Plötzlich war es, als stehe die Zeit still. Als hätte ich mich nicht nur in ein Auto gesetzt, sondern einen magischen Ort betreten. Ich war: verzaubert! Dann setzte ich mich ans Steuer und dachte kurz darauf: „Mehr geht nicht!“ Und das denke ich noch immer. In dieser Intensität hatte ich das noch in keinem anderen Auto erlebt. Und ich habe in vielen Traumautos gesessen. Dieses hier war – nein, ist – für mich ein Phänomen. Der König der Straße. 

„Die Fahrzeuge dieser Baureihe empfinde ich als die perfekten Kreationen aus Kraft und Eleganz“, sagt Paul Bracq, der legendäre Designer der 600er (der 89-jährige Franzose hat das Design des W 100 gemeinsam mit Friedrich Geiger verantwortet und auch das Design der „Pagode“ und des  „Strich-Acht“ geschaffen). „Ihre Fahreigenschaften sind fantastisch. Es war immer ein Hochgenuss, die 600er zu fahren. Sie sind Autos, die einfach alle Moden der Zeit überlebt haben und auch nach sechs Jahrzehnten noch immer Musterbeispiele für langlebige Schönheit sind.“ Nur 2 190 Limousinen, 428 Pullman-Li­mousinen und 59 Landaulets haben die wohl weltbesten Designer, Ingenieure und Techniker zwischen 1963 und 1981 in einer Sindelfinger Spezialabteilung gebaut. 2 677 Exemplare verließen das Werk. Jedes ein Einzelstück. Alles an und in den Autos ist das Ergebnis leidenschaftlicher Perfektion und Handarbeit: Rund 50 Arbeitstage stecken in der Produktion einer Limousine, nach 54 Arbeitstagen war die Pullman-Version fertig, das Landaulet nach 91 Tagen. Sonderwünsche der Kunden von allen Kontinenten, waren sie auch noch so ausgefallen, wurden, soweit möglich, realisiert. Ehrensache, denn die 600er waren damals die wohl schönsten, exklusivsten Luxusklasse-Fahrzeuge der Welt. Heute sind sie längst selbst Weltstars! Wissen Sie was? Kommen Sie doch mit – und steigen Sie ein ...

Malerisches Ambiente.

Eine mehrere Hundert Meter lange Bergahornallee führt geradewegs zu den Autos der Königsklasse. „Landaulet, Pullman und Limousine, wir haben sie alle hier auf unserem Landgut“, hatte Clemens Hergeth, 64, gesagt, als er uns zu sich und seiner Familie – Ehefrau Hana, 58, Tochter Leticia, 18, Sohn Carl, 23 – und seinen „Lieblingsklassikern“ einlud.

Wir sind in der grünen Vorstadt von Aachen, einer Stadt mit rund 250 000 Einwohnern weit im Westen Deutschlands. Links und rechts der Privatallee, die über das weitläufige Anwesen des Unternehmers zum Wohnhaus der Familie führt, erstrecken sich Pferdekoppeln und Wiesen, die von Wäldern gesäumt sind. Auch einen kleinen See mit zwei Schwänen gibt es hier. Es ist ein fast malerisch-passendes Ambiente für die Luxusautos, die wir gleich erstmals in Augenschein nehmen. Und dann stehen sie da, locker aufgereiht auf dem Kopfsteinpflaster vor den Stallungen: drei Limousinen mit kurzem Radstand, eine Pullman-Limousine und als Krönung gewissermaßen auch noch ein weißes Landaulet mit sechs Türen und kurzem Verdeck. 

Teepause: Clemens, Hana und Leticia nehmen bei Sonnenschein vergnügt ihren „Landaulet-Tee“.

Luxuslimousine: Sohn Carl chauffiert Familienhündin Amy im Landaulet übers Landgut. 

Eine Herausforderung.

„In dieser Version wurde das Lan­daulet nur drei Mal gebaut. Die anderen beiden Besitzer kenne ich auch“, sagt Clemens. Ohne ihn gäbe es dieses Landaulet vermutlich gar nicht mehr, erklärt er dann: „Ich bin zu dem Auto gekommen, weil mich 2007 ein befreundeter Franzose anrief und sagte, er habe ein Mercedes Cabriolet mit sechs Türen aus Afrika bekommen. Ein Bekannter von ihm habe es für ein Trinkgeld von 20 Dollar einem Lkw-Fahrer abgekauft, der es gerade entsorgen wollte. Mir war klar, mein französischer Freund hatte kein Cabriolet, sondern ein Landaulet erworben. Und meine Mission würde es sein, dieses Auto zu retten, seine Wiederbelebung in die Hand zu nehmen.“ 

Clemens ist also nach Frankreich gefahren, hat sich „das völlig zerstörte Landaulet“ angeschaut und hatte die Gewissheit: „Es wird eine riesige Herausforderung, es zu restaurieren.“ Er wusste aber auch, dass es sich lohnen würde, das Auto wieder flottzumachen, „denn in ihm hat, das ist verbrieft, der Papst gesessen, als er Anfang der 1980er-Jahre einige Länder Afrikas besuchte.“ 

Ausfahrt im weißen Superstar.

Länger als zehn Jahre hat die Restaurierung gedauert. Vieles hat Clemens in Eigenarbeit gemacht. Seit knapp fünf Jahren fährt der Sechstürer wieder und präsentiert sich außen und innen in voller Schönheit, inklusive der vielen Sonderausstattungen, die der afrikanische Erstkäufer geordert hatte: Bordbar, Glas-Trennscheibe, Tonbandgerät, Becker Stereoradio mit Verstärker, Fernseher sowie Kassettenhalterung im Handschuhfach. Kaum war das weiße Landaulet fertig restauriert und auch technisch in einem nahezu perfekten Zustand, chauffierten Clemens und sein Sohn Carl den vielfachen Formel-1-Champion Lewis Hamilton im Rahmenprogramm des German Grand Prix 2019 eine Runde über den Hockenheimring.

Längere ununterbrochene Passagen des fahrenden Landaulets sind zwischen Minute 8:15 und 9:15, ein Kurzinterview mit Lewis Hamilton aus dem Landaulet heraus zwischen Minute 10:45 und 11:20 zu sehen. „Mercedes-Benz hatte mich zu der Fahrerparade auf dem Ring eingeladen. Die Runde mit Hamilton vor Tausenden Zuschauern war ein echtes Highlight in unserem bisherigen Leben, hat Carl und mir riesigen Spaß gemacht“, sagt Clemens. 

Jetzt drehen wir gemeinsam eine Runde. Hana, Leticia, Carl und Jagdhündin Amy nehmen ebenfalls im Repräsentationsfahrzeug, Baujahr 1973, auf den rotbraunen Ledersitzen Platz. Über die Bergahornallee geht es zurück zur Straße und dann ein Stück durch die hügelige Landschaft der Eifel in Richtung Monschau. Vater und Sohn wechseln sich am Steuer ab. Unterwegs wird das Verdeck geöffnet, denn die Sonne kommt heraus. Leticia und Carl erzählen, dass ihr Vater sie schon ganz früh zu Automobilmessen, Rallyes und Klassikerveranstaltungen mitgenommen habe. „Auch wir lieben die großen Limousinen, verbinden mit ihnen so einige emotionale Erlebnisse“, sagt Leticia, die gerade erst 18 geworden ist. „Einige bin ich sogar selbst schon auf unserem Grundstück gefahren.“ 

Wie kamst du eigentlich zu deiner Leidenschaft für die 600er, Clemens? Der Unternehmer lächelt fast spitzbübisch, bevor er antwortet: „Ich bin ja nur vier Jahre älter als die Baureihe. Als kleiner Junge sah ich die seltenen Autos leider nicht auf den Straßen bei uns im Münsterland, wo ich aufwuchs, herumfahren, sondern immer nur im Fernsehen bei Staatsempfängen, bei Königs- und Papstbesuchen, manchmal auch bei den Treffen der Schönen und Reichen. Das hatte mich stark beeindruckt. Mein Vater war Fabrikant, fuhr immer nur Mercedes – die Vorgänger der S-Klasse, ab Baureihe 128 über Baureihe 111, 108, 109 bis hin zu den 116ern und 126ern. Insgeheim schwärmte auch er natürlich für den 600, aber der sei einfach eine Nummer zu groß, zu luxuriös für das Münsterland, meinte er – sehr zu meinem Leidwesen. Aber alle Modellautos der Baureihe hatte ich natürlich in meinem Kinderzimmer. Tja, und heute gönne ich mir den Luxus und lebe meine Kindheits- und Jugendträume voll aus.“

Gleichfarbige Zwillinge: Die Limousine vorne hatte ein kanadischer Verleger bestellt, die gleichfarbige Limousine hinten im selben Jahr, 1972, ein griechischer Großreeder. Ihr dynamisches Fahrverhalten schätzen Clemens und Ehefrau Hana gleichermaßen.

600er-Enthusiasten.

Vor 30 Jahren kaufte er sich seinen ersten „Großen Mercedes“ in den USA. Für 15 000 Dollar. Und er begann damals, an Ersatzteilen aufzukaufen, was er weltweit finden konnte. Wir fahren jetzt mit einer seiner beiden Limousinen in Beigegrau metallic zu seinem Ersatzteillager in einer nahe gelegenen Scheune.

Kurbelwellen, Hinter­achsen, Starktonhörner, Bremskraftverstärker, Einspritz­pumpen, Scheinwerfer, Rückleuchten, Koffersätze: Clemens, in der Szene der 600er-Enthusiasten bestens vernetzt, besitzt einen in Privat­hand ganz sicher einzigartigen Original­ersatzteile-Schatz. „Wenn irgendwo irgendjemand etwas sucht, führt der Weg oft ganz automatisch zu mir“, sagt er. „Tolle Kontakte sind dadurch entstanden.“ Wir fahren zurück zum Landgut. Was ist die Story seiner zwei beige­grauen Zwillingsautos? 

Schillernde Persönlichkeiten.

„Beide wurden 1972 gebaut und gehörten schillernden Persönlichkeiten. Einer war grie­chischer Groß­reeder, der andere kanadischer Großverleger. Natürlich haben beide Autos individuelle Sonderausstattungen: Der Grieche hat Telefon, Fernseher, Antenne auf dem hinteren Kotflügel links, Bordbar, Klima­anlage, Schiebedach. Und der Kanadier ist unrestauriert, was ich auch als sehr schön empfinde.“ Und jetzt? Noch einmal hinten hineinsetzen in den Kanadier, Beine ausstrecken, Kopf zurücklegen, den Duft des Leders einsaugen, den Augenblick genießen!  

Staraufgebot: Die vier Hergeths sind mit offenem Verdeck unterwegs in der Eifel.

Der Hamburger Felix Thiede hat vor 19 Jahren einen R 129 und W 124 gegen den 600 eingetauscht und noch 5 000 Euro dazugegeben. Seitdem ist er 50 000 Kilometer mit der Limousine gefahren.

Schon den Wagen in die Garage zu manövrieren und dann wieder heraus, das wären normalerweise zwei äußerst riskante Abenteuer. Jedenfalls für jemanden, der es nicht gewohnt ist, Fahrzeuge mit diesen imposanten Ausmaßen zu bewegen. Für den Hamburger Felix Thiede, 51, selbstständiger Kaufmann, ist das Alltag. Er schafft das mit spielerischer Leichtigkeit – und immer mit einem Lächeln im Gesicht. „Der 600 und ich, wir beide sind im Laufe der Jahre richtig gut zusammengewachsen und verstehen uns blendend“, sagt der Norddeutsche. Heute holt er seinen 600 – Baujahr 1971, Blau metallic, innen Velours grau und Makassar-Holz – aus der Garage. Weil das Classic Magazin zu Besuch ist, er zudem gerne einen Kaffee im al­tehrwürdigen Atlantic Hotel an der Hamburger Außenalster trinken und dort dann auch Freundin Karen, 47, Yogalehrerin, und deren Sohn Oskar, 11, treffen möchte.

Felix Thiede mit Freundin Karen und deren Sohn Oskar.

Kleine Garage, großes Auto: Felix macht Faxen.

Ein bisschen cruisen.

Gemeinsam wollen sie ein bisschen durch die Stadt und die nähere Umgebung cruisen. Die Fahrt von seinem Wohnhaus zum Fünfsterne-Luxushotel dauert etwa eine halbe Stunde. Es ginge auch viel schneller, „aber mit dem 600 nimmt man nicht unbedingt immer nur den kürzesten, sondern lieber mal den schönsten Weg“, verrät Felix feixend. Es ist beeindruckend zu erleben, wie die vielen hydraulischen Systeme der Luxuslimousine starten, dann fließend ineinandergreifen und das Fahren zu einem Erlebnis machen. Und der große Motor, der hat einen satten, einen verlässlichen Sound.

Die Kombination ihrer Sonderausstattungen macht die Limousine des Hamburgers einzigartig: Gardinen in den hinteren Seitenscheiben, das Radio hat seinen Platz vor der Bar in der Mittel­konsole, es gibt Klapptische an den Vordersitzlehnen, den Original-Koffersatz im sehr großen Kofferraum, einen elektrischen Rasierapparat und sogar einen Tauchsieder, um unterwegs einen Kaffee oder Tee brühen zu können. Hat er schon mal Kaffee im Auto gekocht? „Na klar“, antwortet Felix, als ob dies die normalste Sache der Welt wäre. Und der Rasierapparat, funktioniert der? Felix nickt und streicht sich wie zum Beweis übers Kinn.

Positive Ressonanz.

Auch in einer Hafenmetropole mit fast zwei Millionen Einwohnern wie Hamburg geschieht es nicht oft, dass ein 600 an einem ganz normalen Wochentag im Straßenverkehr auftaucht. Das merkt man auch an den Reaktionen vieler Passanten in der Innenstadt. Einige zücken ihr Handy, um schnell ein Foto zu machen. Andere winken lächelnd, manche staunend oder neugierig herüber. Sitzt in der XXL-Luxuslimousine vielleicht ein Prominenter? Die Resonanz der Leute auf den Klassiker sei fast durchweg positiv, erklärt Felix kurz vor der Ankunft am weit über die Grenzen Hamburgs hinaus bekannten Hotel Atlantic. „Herzlich willkommen“, sagt der livrierte Wagenmeister, als er an den in der Sonne blitzenden Wagen tritt und die Tür aufhält. „Ein bildschönes Auto haben Sie da.“

Drinnen erzählt Felix, wie seine Leidenschaft zum „Großen Mercedes“ ihren Anfang nahm: „Es war 1996, damals besaß ich bereits eine kleine Sammlung von Mercedes-Benz Klassikern. Ich flog in die USA und lernte dort drei Leute kennen, die 600er fuhren und auch Mitglieder der von Mercedes-Benz Classic anerkannten M 100 Group, also des 600er-Clubs waren. Beim Anblick der Autos und erst recht beim Mitfahren in den Staatskarossen sprang schon irgendwie der Funke bei mir über. Auch in den folgenden Jahren besuchte ich meine amerikanischen Freunde – und ihre 600er – immer mal wieder. Und in mir reifte der Entschluss: Ich wollte einfach einen fahren.“

Imposant: Seit 19 Jahren besitzt Felix seinen 600 schon. Hier steuert er ihn über eine große Elbbrücke in Hamburg.

Technologische Meisterleistung.

Bevor er ihn erwarb, hatte er seinen blauen W 100 schon einige Monate „beobachtet“, denn er fand die Farbe „phänomenal“. Und plötzlich stand er 2004 bei der Techno Classica in Essen zum Verkauf. So viel Geld konnte Felix damals jedoch nicht auf­bringen, „aber im Tausch gegen zwei meiner Klassiker – einen R 129 und einen W 124 – bekam ich endlich mein Traumauto.“ Rund 120 000 Kilometer betrug der Kilometerstand seiner Luxus­limousine damals, seitdem ist er selbst über 50 000 Kilometer mit ihr gefahren. „Das Fahrzeug ist absolut zeitlos. Einige Länder haben es ja auch heute noch im Staatsdienst. Das finde ich schon sehr faszinierend. Und es ist der Beweis, dass Mercedes-Benz da vor 60 Jahren, in einer der Hochphasen technologischer Meister­leitungen, etwas ganz Besonderes geschaffen hat“, sagt Felix, der auch Gründer und amtierender Clubpräsident des deutschen Ablegers (aktuell etwa 70 Mitglieder) der M 100 Group ist.

Richtung Süden.

Mittlerweile sind Freundin Karen und ihr Sohn Oskar angekommen. Oskar setzt sich routiniert auf den Platz vorne neben Felix, Karen macht es sich hinten bequem. Gemeinsam geht die Fahrt durch die Straßen der alten Hamburger Speicherstadt, weiter durch die neue HafenCity, dann über die Elbbrücken bis ins nahe Umland der Hansestadt. Rechts liegt der Containerhafen, wo große Frachter aus aller Welt be- oder entladen werden, links die Autobahn in Richtung Süden. Am frühen Abend parkt Felix seine XXL-Limousine dann wieder mit fast traumwandlerischer Sicherheit rückwärts in die schmale Garage ein. „Maßarbeit“, sagt er zufrieden.

Aufregend: Gemeinsam mit Freundin Karen und deren Sohn Oskar unternimmt der Norddeutsche gerne mal Ausflüge ins Hamburger Umland oder auch zu den Clubtreffen.

Der wahre Luxus.

Der wahre Luxus des „Großen Mercedes“ zeigt sich innen. Sonderwünsche und Spezialanfertigungen waren eher die Regel als die Ausnahme, und für mich stand fest, dass ich dem Interieur fotografisch eine besondere Beachtung zukommen lasse – einzigartig in Szene gesetzt. Kein klassisches Stillleben. Die vielen Nuancen des Lichts sollten den Facettenreichtum des Innenlebens widerspiegeln. Um das einzufangen, orientierten wir uns in der Bildsprache am Stil der in den 1960er- und 1970er-Jahren sehr hochwertig produzierten Kataloge und Broschüren. Technisch bedeutete dies, dass wir in einem Studio bei völliger Dunkelheit arbeiteten. 

Wir nahmen Glasprismen, durch die wir gebündeltes Tungsten-Licht schickten, um die Farben des Regenbogens über die Oberflächen wandern zu lassen. Für eine hohe Schärfentiefe arbeiteten wir am Objektiv mit der Blende 16, was für lange Belichtungszeiten um die zwei Minuten sorgte. Jede kleinste Bewegung hätte die Aufnahme zerstört, sodass wir die Spiegelreflexkamera bei hochgeklapptem Spiegel vom Computer aus bedienten, uns nicht bewegten und sogar flach atmeten. Bei einer Auflösung von 100 Megapixeln konnten wir nunmehr die Durchzeichnung und Schärfe erreichen, die wir uns für die Innenraum­porträts wünschten.