Ein privates Radsportmuseum?

Der erste Blick hinter die große, braune, metallene Werkstatttür sagt: Dies ist ein privates Radsportmuseum. Rennräder aus vergangenen Jahrzehnten, Medaillen, Siegerbanderolen, verblasste Trikots in Glasrahmen pflastern die Wände. Mitten im Raum steht ein Mercedes-Benz T-Modell, Baureihe 124, mit geöffneter Heckklappe. Darin allerdings Laufräder aus Karbon, neuwertiges Fahrradwerkzeug, ein Karton mit blauen Radler-Trinkflaschen aus Kunststoff. An der Wand lehnen futuristische Rennräder mit flachen, geschwungenen, schwarzen Karbonrahmen. Also doch kein Museum.

Eine ehemalige Kfz-Werkstatt im bayerischen Holzkirchen ist die Heimat des Teams.

Theodora kam 1981 als 200 T mit Rundscheinwerfern zur Welt. Ihr Vierzylindermotor mit 80 kW (109 PS) und Viergang-Handschaltung machte den silberblau-metallic-farbenen Alleskönner 168 km/h schnell.

Radsportler, Vintagesammler, Mercedes-Benz Enthusiast.

Durch eine Tür auf halber Höhe der ehemaligen Kfz-Werkstatt kommt ein junger Mann: groß, schlank, hager, freundlich, Hipster-Bart. „Darf ich vorstellen: Das ist Theo“, sagt er mit Blick und Fingerzeig auf den Mercedes-Benz Klassiker. Lächelnd schwingt er sich die neun Stufen der Betontreppe hinunter, streckt die rechte Hand aus: „Und ich bin Christian Grasmann.“ Christian Grasmann. Radsportler, Vintagesammler, Mercedes-Benz Enthusiast, Vorsitzender zweier Sportvereine und Chef eines Radsportteams. Die Maloja Pushbikers, so der Name seines Teams, sind anders, wollen anders sein.

Plakatives Aushängeschild sind die beiden Fahrzeuge, welche die Radler bei Trainingsfahrten begleiten und zu Radrennen transportieren: zwei T-Modelle. Doch nicht etwa E-Klassen der aktuellen Modellgeneration S 213. Sondern ein S 123 von 1981 und ein zehn Jahre jüngerer S 124. Wieso gerade diese beiden? „Ich habe die Marke Mercedes schon immer geschätzt“, antwortet der Radprofi. „Das hat mit einer bestimmten Art von Sparsamkeit zu tun, die mir die ­Eltern beigebracht haben.“ Ihre Devise: „Überlege dir vor einem Kauf, ob er notwendig ist. Und wenn du etwas kaufst, dann gleich etwas Gescheites.“

Der zuverlässige Theo.

So kam 2004 der S 124 ins Haus, zum damaligen Zeitpunkt 13 Jahre alt, der rasch den Namen Theo bekam. „Ich hatte gerade mit dem Radsport begonnen“, erzählt Christian Grasmann, der zuvor alpiner Skiläufer war und in einer Sport-Fördergruppe der Bundeswehr Dienst getan hatte.

„Für die langen Strecken zu den Radrennen habe ich ein zuverlässiges Fahrzeug gesucht.“

Ein Diesel sollte es sein, mit genügend Platz für vier Radler und ihre Sportgeräte. „Die Baureihe 124 hatte mir eh schon immer gefallen, der große Laderaum war und ist ideal.“ Es ließen sich bis zu acht Rennräder ins Lastenabteil zuladen, ohne dass die Insassen welche auf das Dach auslagern mussten. „Das Auto war ein reines Gebrauchsfahrzeug gewesen, hatte beim Kauf schon 160 000 Kilometer auf dem Zähler, stand aber einwandfrei da.“

Die Trainingsrunden auf dem offenen Betonoval werden durch einen Gewitterschauer beendet.

Das Maloja Pushbikers Team.

Der Dieselmotor läuft auch über 100 000 Kilo­meter später noch einwandfrei, ebenso problemlos funktionieren Automatikgetriebe und Klimaanlage. Einzige Investition über die regelmäßigen Inspektionen beim Mercedes-Benz Vertragspartner hinaus war ein neues Autoradio. Heute lebt der einstige Amateurfahrer Christian Grasmann von seinen Einnahmen als Radprofi.

Er und die Mitglieder des 2010 von ihm gegründeten Teams Maloja Pushbikers, benannt nach einem Ausrüster, sind in speziellen Nischen ihres Sports unterwegs: Sechs-Tage-Rennen in der Halle, Rundstrecken-Rennen auf kurzen, engen Kursen in urbanen Zentren, wo das Publikum den Stand des Rennens immer vor Augen hat, Rennen mit Fixed-Gear-Rädern ohne Schaltung. Diese sind in der jungen Szene der­zeit besonders angesagt. Bei ihnen kommen auch Fahrer und Fahrerinnen aus Teams zum Zug, die nicht über die Budgets der Profi-Rennställe verfügen, deren Trikots und Namen man von den großen Rundfahrten kennt.

Schrittmacher für die Nachwuchsfahrer.

„Wir haben ganz einfach Spaß beim Rennfahren“, sagt die 21-jährige Nachwuchsfahrerin Lena Vogl, die für das 2017 gegründete Frauenteam der Pushbikers startet. Sie kennt beide Seiten der Szene, ist als Juniorin für Teams der Frauen-Bundesliga gestartet. „Da fährst du lange Rennen, und am Straßenrand verliert sich eine Handvoll Zuschauer.“ Als Fixed-Gear-Fahrerin – das heißt, die Räder haben wie beim Bahnsport keine Gangschaltung und keine Bremsen – fährt sie heute auf Rundkursen durch Metropolen wie New York oder London vor Tausenden von Zuschauern.

Lena Vogl ist Straßenfahrerin und Spezialistin für Fixed-Gear-Stadtrennen.

Sofie Mangertseder war 2016 Deutsche Meisterin in der Mannschaftsverfolgung.

Ein Glückskauf.

Deshalb haben sie und ihre gleichaltrige Teamkollegin Sofie Mangertseder umgesattelt: Sie geben ihren Berufsausbildungen Priorität, haben ihr Trainingspensum reduziert und fahren als engagierte Amateurinnen bei publikumswirksamen Veranstaltun­gen – ohne den Druck des Siegenmüssens. Dass die Maloja Pushbikers sich binnen weniger Jahre in der Radsport-Szene einen guten Namen gemacht haben, war nicht der Grund, sich ein zweites Teamfahrzeug ­zu­zulegen. Es war ein Glückskauf, denn das zweite T-Modell – es trägt den Namen Theodora – hilft mit, dass die Pushbikers sich aus der Menge hervorheben, wenn sie bei Rennen erscheinen.

Theodora und Theo.

„Bei Theodora war es genau andersherum als bei Theo. Ich habe sie nicht gesucht, sie hat mich gefunden.“ Unbenutzt und verstaubt stand der S 123 in einem Schuppen, war Christian Grasmanns Geburtsjahrgang. „Da habe ich gedacht, ich hole sie dort raus, um Theo zu unterstützen. Heute ist Theo­dora everybody’s darling.“

Unterstützung ist ­genau das Thema, das die Pushbikers auszeichnet. „Wer unser Team als Sponsor fördert, verpflichtet sich damit auch zur För­derung unserer Nachwuchsfahrer vom ­Radsportverein Irschenberg.“ So ziehen die Maloja-Profis in ihrem Windschatten auch die Talente der Zukunft mit.

Weitere Informationen.

Maloja Pushbikers

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