Der legendäre Automobildesigner steht pünktlich und stilvoll gekleidet zum verabredeten Termin zur Abfahrt bereit. Der 86-Jährige möchte mit seinem neuen E-Klasse Coupé fahren, das farblich perfekt zu Hut und Anzug passt. In seiner Garage parkt ein zweiter Wagen, den er über den Winter allerdings abgemeldet hat: ein Klassiker aus der Zeit, als er mit präziser Eleganz das Design von Mercedes-Benz prägte. Der Zweitwagen ist ein Sacco-Coupé. Ein 560 SEC (C 126), Baujahr 1989, ebenfalls dunkelblauer Lack. „Bei vielen Baureihen ist für mich das Coupé das Filet“, erklärt Bruno Sacco und ergänzt: „Die Kunst des Weglassens. Das ist für mich die Essenz von gelungenem Design.“
Zum ersten Mal gelang ihm das 1979 mit der zweiten Generation der S-Klasse (W 126). Das ausbalancierte, versachlichte, schnörkellose Design etablierte den Stil des Deutsch-Italieners bei Mercedes-Benz. Verchromte Opulenz ersetzte Sacco durch Leichtbau und aerodynamische Effizienz. Damit kreierte er für die Automobilindustrie ein neues Schönheitsideal und bereitete der Marke mit dem Stern den Weg in Richtung Zukunft. Doch hören wir dem Designer persönlich zu, wie es ihm gelungen ist, nicht nur Mercedes-Benz, sondern auch eine ganze Epoche der Automobilgeschichte zu prägen.
Bruno Sacco arbeitete von 1958 bis 1999 für Mercedes-Benz. Ab 1975 prägte er das Bild der Marke mit dem Stern nachhaltig.
Der gebürtige Italiener gilt als einer der wichtigsten Designer der Automobilgeschichte.
Ihre Kleidung, Ihre beiden Autos, alles blau. Ihre Lieblingsfarbe ist also auf jeden Fall klar …
Ich mag die Farbe Blau, weil ich meine Kindheit und auch sehr viele Urlaube in Italien verbracht habe. Blau ist Himmel, Weite, schönes Wetter.
Im Jahr 1958 fingen Sie bei Mercedes-Benz an und blieben 41 Jahre. Ab 1975 prägten Sie als Chefstilist, später als Chefdesigner das Bild der Marke, sogar einer ganzen Automobilbau-Generation. Ihr Resümee aus heutiger Sicht?
Wir haben einige ganz ordentliche Autos gebaut. Ja, ich glaube, das kann ich so sagen.
Ordentliche Autos?
Ich bin kein Freund überschwänglicher Worte. Für mich sind ordentliche Autos durchaus gelungene, stimmige Fahrzeuge. Natürlich gibt es in diesem Sinne auch unordentliche Autos: Die Linie stimmt nicht. Das Heck steht zu hoch, die Front strahlt keinen Charakter aus. Das Gesicht eines Autos muss schön sein. Ich finde, mein C 126 hat eines der schönsten Gesichter überhaupt.
Versetzen Sie sich bitte zurück in die Mitte der 1970er-Jahre. Wie haben Sie sich früher die Zukunft vorgestellt?
Ich muss sofort an den C 111-III denken, das erste Fahrzeug, das ich aus designtechnischer Sicht verantwortet habe und von dem wir nur zwei Exemplare bauten. Das war eine große Freiheit, aber auch eine große Herausforderung für mein Team und mich. Wir haben sie ganz gut gemeistert, denke ich. Wir sahen im C 111-III die Chance, eine neue Stilistik zur Schau zu stellen. Für mich persönlich war das Auto ein wichtiger Meilenstein, weil es ein Eins-a-Designobjekt war. Wir konnten zeigen, was wir draufhatten. Ich denke, der C 111-III sieht noch heute aus wie ein Stück Zukunft.
Viele Designelemente des C 111-III wurden in Mercedes-Benz Serienfahrzeugen übernommen oder von der Konkurrenz sogar abgekupfert.
Das ist richtig. Als wir den C 111-III Ende der 1970er-Jahre vorstellten, war die Resonanz sehr positiv. Mit der aerodynamisch-kompromisslosen Linienführung beinhaltete das Auto Gestaltungselemente, die sich in vielen Mercedes-Benz Modellen bis in die 1980er-Jahre einbrachten.
Sie wurden Anfang 1975 der Nachfolger von Friedrich Geiger, dessen Meisterwerk der legendäre 300 SL (W 198) war. Wie fühlte es sich an, in Geigers Fußstapfen zu treten?
Um ganz ehrlich zu sein, es war für mich normal. Ich hatte es erwartet und habe mich gefreut. Ich war irgendwie an der Reihe. Als ich in die verantwortliche Position kam, entwickelten wir gerade unter anderem die neue S-Klasse, die Baureihe 126. Die musste, das war immer mein Antrieb, den höchsten Ansprüchen unserer Kunden und meines Arbeitgebers genügen. Und das für gut ein Jahrzehnt, bis dann turnusmäßig so langsam die nachfolgende S-Klasse kam. Der W 126 entsprach also damals schon meiner Sicht auf die Zukunft: Wir mussten die neuen Umwelt- und Sicherheitsaspekte stärker beachten, uns das Prädikat der Zeitlosigkeit verdienen. Ein ordentliches Auto ist auch als Young- oder Oldtimer beliebt. Die Karosserie des W 126 war leichter, formstabiler, windschlüpfriger. Wir designten zum Beispiel eine neue Front- und Heckschürze, die Scheibenwischer verharrten erstmals in Ruhestellung unter der Motorhaube, erstmals kamen die Seitenbeplankungen aus Plastik zum Einsatz, die „Sacco-Bretter“. Und ich erkannte, dass es ein großer Unterschied ist, das Design zu verantworten, statt selber zu designen. Man ist der Dirigent.
C 126: Das erste echte „Sacco-Auto“: Die zweite Generation der S-Klasse kam 1979 auf den Markt. Es gab sie als Limousine und als Coupé (Bruno Sacco fährt es bis heute). Die Baureihe 126 war der erste Mercedes-Benz, der konsequent auf Leichtbau, Aerodynamik und Nachhaltigkeit getrimmt wurde. Das ausbalancierte, versachlichte Design hatte sowohl Statik als auch Dynamik. Die berühmten Sacco-Bretter debütierten in der S-Klasse, der Chrom trat den Rückzug an.
Die Baureihe 126 ist Ihnen und Ihrem Team so gut gelungen, dass Sie bis heute einen C 126 fahren ...
So ist es. Mein S-Klasse Coupé hat zwar mittlerweile gut 30 Jahre auf dem Buckel, aber für mich ist es der ideale Reisewagen. Ich könnte einfach einsteigen und bis hinunter nach Palermo auf Sizilien fahren, das sagt jedenfalls mein Werkstattmeister.
Auch als Chefdesigner mussten Sie bestimmt einige Kompromisse eingehen …
Das gehörte – und gehört sicher noch immer – zum Geschäft und war für mich meist auch kein Problem. Im Endeffekt zogen wir alle an einem Strang. Bei einem Modell habe ich mich dann aber doch geärgert: dem W 140, der im Jahr 1991 als Nachfolger des W 126 debütierte. An der neuen S-Klasse wurde damals viel kritisiert. Nicht zu Unrecht. Es gab beim W 140 bestimmte Raumerfordernisse. Er ist zu einer Zeit entwickelt worden, als nichts groß und bequem genug war für unseren Vertrieb. Für mein Empfinden war die damalige S-Klasse zu hoch geraten. Aber in der Behandlung der Flächen und Details ist das Auto, das sich außerhalb Deutschlands recht gut verkaufte, zum Glück sehr puristisch.
Heute gewinnt der W 140 auch bei Klassik-Fans in Deutschland zusehends an Beliebtheit …
Das beobachte ich auch. So ist das nun mal mit den Vorlieben und Geschmäckern.
Ihre innovativen Formkonzepte setzten weltweit Trends. Hatten Sie eine Design-Philosophie?
Ich wollte nicht, dass die neuen Modelle ihre Vorgänger sprichwörtlich alt aussehen lassen. Das Wichtigste war jedoch: Den Kunden mussten die Autos gefallen. Mein Leitspruch lautete immer: Ein Mercedes-Benz muss wie ein Mercedes-Benz aussehen. Es durfte bei den Neuentwicklungen keinen Bruch mit der Tradition geben und zu keinem Identitätsverlust kommen. Meine Devise war, dass die Modellentwicklung harmonisch verlaufen musste.
Sprechen wir über den R 129. Der Nachfolger des R/C 107 sieht nicht aus wie der große Bruder des vorherigen SL – gilt aber als einer der schönsten Mercedes-Benz und als Ihr Meisterwerk.
Vielleicht war das Vorgängermodell mit dem vielen Chrom einfach ein paar Jahre zu lange am Markt? Immerhin von 1971 bis 1989, fast zwei Jahrzehnte. Mit dem R 129 haben wir eine Epoche übersprungen. Form und Dynamik gehen hier eine fast ideale Verbindung ein.
R 129: Zeitloser Klassiker: Der Roadster, der 1989 erstmals ausgeliefert wurde, hat als Nachfolger des R/C 107 in seiner Anmutung scheinbar gleich mehrere mögliche Modellreihen übersprungen und gilt als einer der schönsten Mercedes-Benz. Saccos Meisterstück war der erste Roadster mit einem automatischen Überrollbügel. Prägnant im Design ist die schiebende Keilform samt hochgezogenem Heck. Es ist auf Aerodynamik ausgelegt und ermöglicht einen sehr geringen cw-Wert.
SLK: Gute-Laune-Auto: „Wenn ich den SLK angucke, der im Jahr 1996 Markteinführung hatte, zaubert mir der Anblick ein Lächeln ins Gesicht“, sagt Bruno Sacco. In der Entwicklungsphase besorgte er sich in Italien ein Vergleichsfahrzeug, das den Abmessungen des kleinen Roadsters in etwa entsprach und mit dem er Versuchsfahrten unternahm. Für kurze Zeit war der SLK (R 170) so etwas wie Saccos Liebling: „Das richtige Auto für junge Leute, die Spaß haben wollen.“
Was waren rückblickend Ihre größten Herausforderungen?
Das waren wohl die zwei Modellreihen, die uns ganz neue Segmente erschlossen: der 190 E, der sogenannte „Baby Benz“, der 1982 debütierte und im Design viele Stilelemente des C 111-III aufnahm, zum Beispiel die präzisen Kanten und Linien, die parallel zu den sogenannten Flusslinien verlaufen. Das Heck des W 201 ist für mich eines der schönsten überhaupt. Und dann war da natürlich auch die Entwicklung der A-Klasse, der erste Mercedes-Benz in meiner Zeit mit Vorderradantrieb. Dieser Fakt und erstmals ein Auto ohne Heck und Nase zu gestalten, das war nicht einfach. Als wir die A-Klasse konzipierten, dachten wir auch bereits an alternative Antriebsarten. So kam es unter anderem zum doppelten Boden, der auch einen besseren Seitenaufprallschutz bedeutete. Es ist nicht mein Lieblingsauto, aber ich stehe zu Form und Konzept. Und die A-Klasse hat sich über die Jahre prächtig entwickelt.
Was bedeutet Ihnen das Autofahren?
Es ist für mich die absolute Freiheit.
Welchen Traum haben Sie, den Sie sich unbedingt als Nächstes erfüllen möchten?
Früher bin ich mit meinen Eltern oft Zug gefahren und immer vorne in die Lok hinein. Ich würde gerne mal die klassische US-Dampflok Big Boy fahren sehen. Jahrzehntelang zogen diese bis zu 40 Meter langen Kolosse Güterzüge über die Berge der US-Staaten Wyoming und Utah. Vor einigen Jahrzehnten wurden sie nach und nach ausgemustert. Jetzt steht einer dieser fantastischen Loks wohl das Comeback bevor. Sie soll Sonderzüge ziehen. Diese Dampflok im Einsatz, das möchte ich sehen.