Als Sandra Gal an diesem Morgen in das C-Klasse Cabriolet steigt, schließt sich in ihrem Leben ein Kreis. Sie mag schöne Autos.
Schon seit der Kindheit hat sie ein Faible für besondere Fahrzeuge, liebte es früh, hinter einem Lenkrad zu sitzen. Ihr erstes Lieblingsfahrzeug war nämlich ein Golfcart. Doch dazu später mehr.
Über die Golfanlagen von Lakewood Ranch im Nordosten von Sarasota County weht ein warmer Wind, als sich Sandra Gal anschnallt und das Cabriolet durch das sonnige Florida steuert.
An von Palmen und Mangroven gesäumten Buchten entlang, über Straßen und Boulevards, die an schneeweißen Stränden vorbeiführen.
Das C-Klasse Cabriolet am Hafen von Sarasota, Florida.
Gal verstaut die Golfausrüstung im Kofferraum des Cabriolets.
Die Profi-Golferin hat das Verdeck geöffnet, sich auf dem cremefarbenen Sitz unter blauem Himmel niedergelassen und fährt nach Westen Richtung Sapphire Shores.
„Ein Traum“, sagt die 34-Jährige. Und erinnert sich lachend an ihre ersten automobilen Ausflüge, als sie noch nicht einmal einen Schläger richtig halten konnte – aber bereits fleißig auf dem Golfplatz ihre Runden drehte.
Zu ihrem sechsten Geburtstag hatten die Eltern ihr einen ersten Kinderschläger aus Plastik geschenkt. „Aber golfen fand ich damals eher blöd“, sagt Gal. Einen Narren hatte sie an etwas ganz anderem gefressen: an den Golfcarts, mit denen die Eltern damals über die Plätze flitzten.
Die frühe Faszination fürs Fahren war es, die Gal zum Golf trieb. Der Sport selbst war es, der sie zum Erfolg führte: Mit 14 wurde sie als außergewöhnliches Talent eingestuft und gezielt gefördert. Mit 17 landete sie in der deutschen Nationalmannschaft. Als Teenager bekam sie in den USA zwei Golfstipendien, zog das erste Mal nach Florida, spielte immer erfolgreicher Turniere. Sie machte das Abitur, schloss ihr Studium zum Bachelor of Advertising erfolgreich ab und wurde im letzten Semester Profi.
In den Jahren darauf rangierte sie als Nummer eins in Europa, spielte in den USA unter den besten Golferinnen der Welt. Ein Ausnahmetalent, das als die „deutsche Golf-Queen“ gefeiert wurde. Ein Star auf den weltweiten Greens.
Seit nunmehr 16 Jahren lebt sie in den USA, ist bis zu zehn Monate im Jahr auf Tour. Jedes Mal, wenn sie zurückkehrt, genießt sie ihre Wahlheimat Sarasota, Florida.
Unterwegs in Sarasota: Sandra Gal genießt den Fahrtwind.
Nach langer Krankheit genießt Gal das Leben mehr denn je.
„Hier herrscht auch im Winter bestes Wetter zum Trainieren“, sagt sie. „Und ich liebe das warme Meer vor der Haustür.“ Oft nimmt sie das Fahrrad mit, fährt zu den Stränden. Macht Yoga im Sand, schwimmt und joggt am Golf von Mexiko. Ein Bilderbuchleben.
Aber auch eines mit Raum für Veränderung, mit dem Willen, sich stets weiterzuentwickeln – auch über die Greens der Golfplätze hinaus.
„2019 war ein Schlüsseljahr für mich“, sagt Sandra Gal und parkt den Wagen vor einem Restaurant nahe der Bayfront mit Blick aufs Meer. „Die letzten Monate waren für mich wie ein Neustart mit Software-Update.“
Ende 2018 suchte eine Borreliose-Infektion sie heim, sie litt unter Müdigkeit und Schlaffheit, wurde immer dünnhäutiger. Mitte 2019 sagte sie schließlich alle weiteren Turniere ab. Ein vorläufiger Rückzug vom Golf – der zu einer Art inneren Einkehr wurde. Sandra Gal sagt: „Ich hatte mich bis dahin immer nur an meinen sportlichen Erfolgen gemessen, mich enorm unter Druck gesetzt.“ Sie nimmt einen Schluck Limonensaft. „Ich musste lernen, dass nicht die Sportlerin Sandra Gal Nummer eins ist, sondern der Mensch Sandra Gal.“
Sie verbrachte Zeit in Italien, meditierte, machte Yoga. Bekam die Borreliose in den Griff. Und ging aus der Krise mit einer neuen Haltung hervor. Sie fühle sich heute viel gelassener und entspannter. „Ohne Maske, ohne den Anspruch, immer nur das Beste geben zu müssen.“
Erfolg und Leistung. Preisgelder, Sieg und Ruhm. Heute definiert sie diese Begrifflichkeiten anders, wagt einen anderen Blick aufs Leben, auf sich selbst. Es ist die neue Sandra Gal. Sie kann immer noch fantastisch abschlagen. Doch sie hat auch gelernt, loszulassen. Sie malt, spielt Gitarre. Hat sogar einen eigenen Song geschrieben. Sie erinnerte sich an ihre früheren Leidenschaften, bevor das Thema Golf alles in ihrem Leben überstrahlte. Als Kind tanzte sie im Ballett, spielte Geige in einem Orchester. Das alles darf jetzt zurückkommen und wieder Platz in ihrem Leben einnehmen. „Das ist, was wirklich zählt“, sagt sie. „Das Innere, nicht das Äußere.“
Dazu gehört auch ein weiteres Engagement, das von Herzen kommt. Schon 2015 veranstaltete sie ihr erstes Charity-Event, sammelte Gelder für die Volunteers of America. Unterstützung für Obdachlose, für Kinder aus mittellosen Familien.
Sandra Gal ist heute entspannter und lässiger denn je.
Im August 2019 eröffnete sie ihr erstes eigenes Sandra Gal Children’s Center. In Miamis Little Havana liegt das Zentrum, in dem benachteiligte Kinder malen, Musik spielen und Yoga machen können. Wo Talente erkannt und gefördert werden. Und wo kleine Großmeister auf einem eigenen Putting Green schon mal üben können. Genau wie sie es damals getan hat. Die junge Sandra Gal, wenn sie nicht gerade ihre Runden in einem Golfcart drehte.
Als sie den C 300 in der goldenen Nachmittagssonne vor sich sieht, kann Sandra Gal nicht anders. Sie will noch ein paar Meilen genießen, den Rest des Nachmittags durch ihre Wahlheimat Florida fahren. Sie schiebt sich die Sonnenbrille auf die Nase. Steigt ein und macht sich auf den Weg. Minzgrün öffnet sich die Sarasota Bay im Norden, vor Bird Key liegen Jachten an den Moorings, Boote dümpeln an den Stegen im Abendlicht.
Sandra Gal steuert den Wagen auf kaum befahrenen Straßen am Wasser entlang, durch eine Welt voller Palmen und pinkfarbener Villen, und in der Luft liegt der Geruch des salzigen Meeres.
Ganz am Ende des Tages kann sie es dann doch nicht lassen.
Noch schnell eine Runde golfen am lauen Abend, noch einmal die Wucht eines perfekten Schlags in den Muskeln spüren. Sie fährt den Mercedes-Benz zu ihrem Haus. Schnappt sich die Golftasche, parkt vor einem nahen Country Club und steht auf dem weiten Rasen.
Es ist Zeit, das zu tun, was sie noch immer perfekt beherrscht. „Meine Liebe zum Golf habe ich wieder neu entdeckt“, erklärt sie. „Ich setze mich nicht mehr so unter Druck, aber spiele dadurch eher noch besser.“ Die nächsten Turniere hat sie schon im Visier. Sie will noch einmal nach ganz oben.
Total professionell, total entspannt. Sagt sie, holt aus und drischt den Ball davon. Ein weißer Punkt, der in einer weiten und majestätischen Bahn durch den Abendhimmel fliegt.
Perfekte Bedingungen für den Abschlag in der Abendsonne.