Gemeinsame Leidenschaft.

Lassen Sie uns diese Konversation mit Ihrer gemeinsamen Leidenschaft starten, dem Surfen. Wie sind Sie jeweils dazu gekommen?

GORDEN WAGENER: Ich bin in Deutschland aufgewachsen und in der Nordsee viel windsurfen gewesen. Später habe ich angefangen, die Welt zu bereisen, und erreichte schließlich ein ganz gutes Niveau beim Surfen. Als ich ca. 18 war, habe ich sogar darüber nachgedacht, Profi-Surfer zu werden. Leider habe ich mich dann doch für das Design entschieden. Aber man bleibt immer Surfer. Das verliert man nicht.

YVES BÉHAR: Bei mir war das ganz ähnlich wie bei Ihnen, Gorden. Ich stamme aus Lausanne und habe mit 16 Jahren mit dem Windsurfen auf dem Genfer See angefangen. Für mich war das Surfen in meiner Jugend eine Art Fluchtmöglichkeit. Wenn ich auf dem Wasser unterwegs war und die Elemente spürte, konnte ich die Unsicherheiten des Teenageralters einfach hinter mir lassen. Als ich mit Mitte 20 für mein Studium nach Kalifornien ging, machte ich mit dem Wind- und Kitesurfen weiter. Ich fing aber auch mit dem Wellenreiten an.

Beeinflusst das Surfen Ihre Arbeit als Designer?

BÉHAR: Für mich steht das Surfen für Ausgeglichenheit. Man bekommt dadurch eine neue Perspektive: Wenn man auf dem Meer ist, schaut man vom Wasser aus ans Ufer zurück. Die meisten Menschen kennen den Ozean nur aus der anderen Perspektive, die sie haben, wenn sie am Ufer stehen und aufs Wasser blicken. Die herkömmliche Perspektive dreht sich um. Auf dem Wasser muss man komplett fokussiert sein. 

Geduld und Anpassungsfähigkeit.

Man darf sich nicht ablenken lassen. Man muss wirklich aufpassen und sich auf die Natur, die Wellen und die Strömung einstellen. Ich glaube, das passt insofern zu der Arbeit als Designer, dass man vorausdenken muss. Man muss in der Lage sein, die impliziten Wünsche der Menschen wahrzunehmen und Dinge mitzubekommen, die sie nicht einmal selbst ausdrücken können. Man muss herausfinden, was die Leute in einem, zwei, drei oder vier Jahren haben wollen. Man muss also die entsprechende Geduld aufbringen und in der Lage sein, sich ständig neu anzupassen. Ich glaube, diese Eigenschaften machen auch einen guten Surfer aus.

WAGENER: Für mich lautet die wichtigste Frage: Was inspiriert dich? Ich glaube, dass Inspiration eigentlich eine Einstellung ist. Und um diese zu erreichen, muss man sich manchmal vom eigenen Gedächtnis freimachen. Und deswegen liebe ich das Surfen. Man geht da raus und es ist eine völlig andere Welt. Man denkt an die Wellen und die Elemente und den Wind. Das Wichtigste für kreativ arbeitende Menschen ist es, dass sie geistig frisch bleiben. Und das funktioniert nicht, wenn man immer nur am Schreibtisch sitzt. Meine zweite Inspiration stammt aus der Kategorie der Ästhetik. Wenn wir uns Formen in der Welt anschauen, ist alles im Fluss. Es ist zwar ein sehr komplexes System, aber es gibt eine Struktur und eine bestimmte Symmetrie. In der Natur gibt es nichts Hässliches. Alles ist schön. Und natürlich gibt es auch die Form des Surfbretts selbst. Es ist schnell und rein und hat eine sehr schöne Linienführung.

Design: Herzen und Gehirn.

Wie wirkt sich das auf das Design von Mercedes-Benz aus?

WAGENER: Für mich besteht Design aus zwei Dingen: dem Herzen und dem Gehirn. Wir kategorisieren unsere Design-Arbeit hier bei Mercedes-Benz auf einer Skala von heiß bis kühl, von Intellekt und Intelligenz bis zu den Emotionen. Wir entwickeln alle unsere Designs anhand dieser Matrix. Und wir streben nach Harmonie, wobei wir wissen, dass wir sie niemals perfektionieren können. Aber wir versuchen, uns so gut wie möglich an die Perfektion anzunähern.

Herr Béhar, was bedeutet Schönheit für Sie als Designer?

BÉHAR: Über Schönheit denke ich definitiv jedes Mal nach, wenn ich einen Stift in der Hand halte und im Begriff bin, etwas zu zeichnen. Ich interessiere mich sehr für Dinge, die nicht einfach nur schön sind, sondern auch überraschend. Ich glaube, dass unsere Seelen manchmal Dinge aus einem anderen Winkel, einer anderen Perspektive sehen müssen. Wenn unsere Designs gut funktionieren, fühlen sich die Leute intelligenter und verbundener, so als würden sie etwas Neues entdecken. Dieses Phänomen mag ich sehr. Die Leute haben das Gefühl, vorangekommen zu sein. Und sie fühlen sich in der Lage, durch die Erfahrung, die ihnen ein Produkt vermittelt, Fortschritte zu machen.

Sie geben beide an, von Syd Mead beeinflusst worden zu sein. Mead war ein legendärer Designer im Science-Fiction-Bereich. Er erfand zahlreiche spektakuläre Filmfahrzeuge, zum Beispiel für den Kultfilm „Tron“.

WAGENER: Die Designs von Syd Mead sind großartig und immer noch einflussreich. Aber auch die heutige Science-Fiction ist unheimlich faszinierend. Das Design der Sets einiger dieser Filme ist eine große Inspiration. Deswegen ist es immer eine große Ehre, mit kreativen Köpfen wie z. B. dem Regisseur James Cameron zusammenzuarbeiten.

Sie beziehen sich auf den VISION AVTR, ein von dem Film „Avatar“ inspiriertes Konzeptauto.

WAGENER: Ja. Für mich war das ein wahr gewordener Traum. Ich glaube, im Grunde würden alle Designer am liebsten Science-Fiction-Filme machen.

BÉHAR: Absolut! Und was ich an Syd Mead so mag, ist, dass viele seiner Entwürfe ganze Welten abbilden, nicht nur die Autos. Sie sind sehr utopisch. Ich bin sehr fasziniert von dieser positiven und utopischen Art, sich Technologie vorzustellen. Natürlich gibt es auch viele tolle Filme, die dystopisch sind. Aber für mich als Designer ist es interessant, dass wir sehr gut darin sind, uns beide Zukunftsvisionen vorzustellen: eine utopische und eine dystopische Zukunft. In gewisser Weise stellen wir uns gerne positive und negative Versionen der Zukunft vor, die ein Szenario bis zum Ende durchspielen. Tatsächlich denke ich, dass das im Grunde der Kern unserer Arbeit als Designer ist: die Zukunft zu erschaffen. Die Vergangenheit liegt nämlich schon hinter uns.

WAGENER: Was wir erschaffen, wird die Zukunft sein. Zumindest, was die Autoindustrie angeht. Wir sind dem Markt bis zu zehn Jahre voraus. Wir denken ständig an die Zukunft des Autos und treffen diesbezügliche Entscheidungen. Wir machen jeden Tag Science-Fiction. Das ist ein elementarer Teil unserer Arbeit.

Aber wie funktioniert das? Wie „erschaffen“ Sie die Zukunft, wie Sie sagen? Ich gehe davon aus, dass Sie in Ihrem Studio keine Kristallkugeln stehen haben.

BÉHAR: Es gibt ein tolles Zitat von Alan Watts: „Wer nicht in der Lage ist, in der Gegenwart zu leben, kann keine gültigen Pläne für die Zukunft machen.“ Für einen Designer bedeutet das: Wenn ich drei, fünf oder zehn Jahre in die Zukunft schaue, muss das damit in Einklang stehen, wohin sich die Welt entwickeln möchte. Die Leute haben bestimmte Wünsche, Erwartungen und Träume in Bezug darauf, wie sie leben möchten. Und meist können sie diese nicht selbst ausdrücken. Sie wissen intuitiv, wo es hingehen soll, aber es ist noch nicht so weit. Meine Aufgabe als Designer ist es, mich dieser unerfüllten Erwartungen anzunehmen. Dabei weiß ich, dass es drei, fünf oder zehn Jahre dauern kann, bis es so weit ist. Ich denke also, dass man sehr tief mit den Menschen von heute und mit der Psyche und den Eigenheiten des modernen Lebens verbunden sein muss. Letztlich geht es in meinem Job darum, neue Wege zu finden, um den Menschen zu zeigen: Die Zukunft, von der ihr träumt, ist möglich, und sie ist bezahlbar und schön. Daraus kann eine größere, bereichernde Erfahrung entstehen.

Wie wirkt sich das auf das Design von Mercedes- Benz aus?

WAGENER: Für mich besteht Design aus zwei Dingen: dem Herzen und dem Gehirn. Wir kategorisieren unsere Design-Arbeit hier bei Mercedes-Benz auf einer Skala von heiß bis kühl, von Intellekt und Intelligenz bis zu den Emotionen. Wir entwickeln alle unsere Designs anhand dieser Matrix. Und wir streben nach Harmonie, wobei wir wissen, dass wir sie niemals perfektionieren können. Aber wir versuchen, uns so gut wie möglich an die Perfektion anzunähern.

Herr Béhar, was bedeutet Schönheit für Sie als Designer?

BÉHAR: Über Schönheit denke ich definitiv jedes Mal nach, wenn ich einen Stift in der Hand halte und im Begriff bin, etwas zu zeichnen. Ich interessiere mich sehr für Dinge, die nicht einfach nur schön sind, sondern auch überraschend. Ich glaube, dass unsere Seelen manchmal Dinge aus einem anderen Winkel, einer anderen Perspektive sehen müssen. Wenn unsere Designs gut funktionieren, fühlen sich die Leute intelligenter und verbundener, so als würden sie etwas Neues entdecken. Dieses Phänomen mag ich sehr. 

Die Leute haben das Gefühl, vorangekommen zu sein. Und sie fühlen sich in der Lage, durch die Erfahrung, die ihnen ein Produkt vermittelt, Fortschritte zu machen.

Sie geben beide an, von Syd Mead beeinflusst worden zu sein. Mead war ein legendärer Designer im Science-Fiction-Bereich. Er erfand zahlreiche spektakuläre Filmfahrzeuge, zum Beispiel für den Kultfilm „Tron“.

WAGENER: Die Designs von Syd Mead sind großartig und immer noch einflussreich. Aber auch die heutige Science-Fiction ist unheimlich faszinierend. Das Design der Sets einiger dieser Filme ist eine große Inspiration. Deswegen ist es immer eine große Ehre, mit kreativen Köpfen wie z. B. dem Regisseur James Cameron zusammenzuarbeiten.

Sie beziehen sich auf den VISION AVTR, ein von dem Film „Avatar“ inspiriertes Konzeptauto.

WAGENER: Ja. Für mich war das ein wahr gewordener Traum. Ich glaube, im Grunde würden alle Designer am liebsten Science-Fiction-Filme machen.

Ein toller Moment.

Werden Sie nie ungeduldig, wenn man so weit vorausplanen muss? Wünschen Sie sich nicht manchmal, dass es nicht so lange dauern würde, bis die Menschen erfahren können, was Sie entwickeln?

WAGENER: Ja, manchmal kann es etwas frustrierend und langwierig sein. Deswegen arbeiten wir mit Ausstellungsfahrzeugen. Von der Idee bis zur Fertigstellung dauert es dann nur ein Jahr. Es gibt einfach weniger Einschränkungen im Vergleich zu Nutzfahrzeugen, von den Kosten über die Gesetzgebung bis hin zur Technologie. Wenn ein neu entworfenes Nutzfahrzeug das Licht der Welt erblickt, kennen wir es schon seit fünf Jahren. Trotzdem ist es ein toller Moment, ein neues Modell zum ersten Mal auf der Straße zu sehen. Autos sehen auf der Straße und in natürlichem Licht einfach so viel besser aus. Und das mag ich wirklich sehr. Es ist so cool, ein Fahrzeug zu entwerfen und irgendwann darin fahren zu können. Das ist der Teil, der Spaß macht. Und ich glaube, dass man Spaß haben muss, um inspiriert zu bleiben. Ich sage das immer wieder: Manchmal ist unser Job ein bisschen wie das Spielen mit Spielzeugautos im Sandkasten. Als Designer müssen wir versuchen, uns das kleine Kind in uns zu bewahren.

Diese von Ihnen, Herr Wagener, beschriebene Fähigkeit, sich die kindliche Neugier zu bewahren – ist das nicht etwas ganz Elementares für Designer im Allgemeinen?

BÉHAR: Ich denke, das ist für alle Menschen sehr wichtig, nicht nur für Designer. Natürlich lebt man als Designer quasi für die Aufregung, die man empfindet, wenn man zum ersten Mal spürt, dass es etwas zu verbessern gibt, dass Innovation möglich ist. Und gleichzeitig denke ich, dass es gut ist, dass ich mit dem Alter gelernt habe, wie wichtig es ist, geduldig zu sein. Damit meine ich, dass die erste Idee, die den Funken zündet, im Laufe der Zeit verfeinert und perfektioniert werden muss. Der größte Fehler im Design-Bereich, den ich mir vorstellen kann, ist es, eine tolle Idee überstürzt auf den Markt zu bringen. Eine Idee, die noch nicht ausgereift ist und die dann schließlich auch nicht überzeugt.

Wenn Ihre Designs diesen ganzen Prozess von der Idee zu echten Produkten durchlaufen, kostet Sie das vermutlich sehr viel Energie. Wie gehen Sie damit um?

WAGENER: In dieser Hinsicht ist Design wirklich ein anstrengender Job, der einen auch emotional berührt. Jedes Mal, wenn man eine Idee vorlegt, gibt man seine Gefühle preis und macht sich verletzlich. So ist es einfach. Design ist wie die Champions League: 100 Menschen fangen an zu zeichnen und zum Schluss bleibt nur eine Lösung übrig. Also gehen 99 Ideen verloren. Und in diesem Prozess kann man als Designer auch ein Stück von sich selbst verlieren. Der Kampf um das Finden der besten Idee, die für einen bestimmten Zweck am besten geeignet ist, ist mit viel Zerstörung verbunden. Deswegen ist es so wichtig, dass wir als Designer eine Stimme haben. Denn gutes Design zu machen ist eine Sache, aber ein Großunternehmen wie Mercedes-Benz davon zu überzeugen, ist eine ganz andere Hausnummer. Zum Glück treffen wir diese Entscheidungen in Bezug auf das Design in sehr kleiner Runde im Vorstand. Unser CEO Ola Källenius hat übrigens ein ganz wundervolles Verständnis von Design.

Herr Béhar, Sie arbeiten nicht nur für eine, sondern für mehrere Firmen. Können Sie das bestätigen?

BÉHAR: Ich stimme Gorden dahingehend zu, dass man Verbündete haben muss, die verstehen, was tolles Design der Firma bringen kann. Das gilt nicht nur für Großunternehmen, sondern auch für Start-ups. Diese Unternehmen machen ca. die Hälfte unserer Arbeit aus. Die menschliche Erfahrung ins Zentrum jeder Entwicklung zu stellen ist heutzutage unerlässlich – vor allem deswegen, weil die Technologie innerhalb der Branchen halbwegs gleichmäßig verteilt ist, also allgemein zugänglich ist. Der Unterschied zwischen einer tollen Anwendung und etwas, das vielleicht zu komplex und kompliziert für die Verwendung ist, liegt im Design. Um diesen Unterschied bewerkstelligen zu können, brauchen Design-Teams Freiheit und Unterstützung. In gewisser Weise ist ein gutes Design heutzutage so etwas wie ein unlauterer Wettbewerbsvorteil. Und ich glaube, die meisten kleinen und großen Unternehmen wissen das.

Was ist mit den Kunden? Sie haben auch Erwartungen in Bezug auf das Produktdesign. Normalerweise wollen sie das, was es schon gibt, aber in einer leicht verbesserten Form. Wie weit können Sie dabei gehen, diese Menschen herauszufordern, und wie gehen Sie mit deren Feedback um?

Yves Béhar: Der gebürtige Schweizer gilt als einer der einflussreichsten Designer in den USA. Mit seinem Unternehmen fuseproject arbeitet er für zahlreiche Firmen wie Samsung oder SodaStream.

Feedback ist immer willkommen.

WAGENER: Feedback ist immer willkommen. Es ist wertvoll. Als Automobilhersteller machen wir Panels, bei denen wir unser Design testen. Aber wir müssen immer auch in Erwägung ziehen, dass dieses Feedback von einem Menschen stammt, der heute lebt. Es stammt nicht von jemandem, der bereits unter den Bedingungen der Zukunft lebt, für die wir das Design entwickelt haben. Letztendlich müssen wir eine Entscheidung in Bezug auf die Zukunft treffen. Und diese Entscheidung sollte einem Designer überlassen werden. Ich sage immer, dass Design nicht demokratisch ist. Irgendjemand muss sagen, wie es gemacht werden soll. Und im Idealfall liegt diese Person dann hoffentlich richtig und schafft etwas wirklich Neues für die Zukunft. Wenn man beispielsweise mein Projekt mit Virgil (Abloh; Anm. der Redaktion) betrachtet, machen wir dabei etwas komplett Neues. Wir definieren den Begriff von Luxus auf eine völlig andere Weise. Und wenn es etwas noch nie gegeben hat, kann das Ergebnis zunächst schockierend sein. Vielleicht mögen es nicht viele Leute. Aber dann gewöhnen sie sich daran und zum Schluss lieben sie es. Das ist ein weiteres Merkmal von gutem Design: Zunächst versteht man es vielleicht nicht, aber dann gewöhnt man sich daran. Und schließlich entsteht eine viel nachhaltigere Bindung als bei etwas, das man sofort mag, aber am nächsten Tag schon wieder verwirft.

BÉHAR: Ich finde es weniger schwierig, Nutzer oder Kunden zu überzeugen, als Branchen zu ändern. Große Unternehmen tendieren dazu, sehr statisch zu sein. Kunden orientieren sich dagegen daran, was als Nächstes kommt. Eines meiner Lieblingszitate zu Design lautet: „Design beschleunigt das Übernehmen von neuen Ideen.“ Alle neuen Ideen existieren bereits. Sie umgeben uns. Unser Job als Designer ist es, diese Ideen einzufangen und sie Wirklichkeit werden zu lassen, sodass sie wirklich umgesetzt werden. Und heute brauchen wir diese Beschleunigung mehr denn je.