Sir Norman Foster, wir freuen uns auf die Ausstellung „Motion. Autos, Art, Architecture“ im legendären Guggenheim-Museum in Bilbao, die Sie mitkuratiert haben. Die Begriffe im Ausstellungstitel verweisen auf spannende Themen. Wie sind Sie an die Ausstellung herangegangen?
Wenn man versucht zusammenzufassen, was unser Zeitalter, also das Zeitalter nach der Pferdekutsche, ausmacht, dann denkt man an Begriffe wie Bewegung, Geschwindigkeit, Fortschritt und Dynamik – und das Automobil ist der Inbegriff dessen. Außerdem werden Autos oft, auch von mir, mit Skulpturen oder Gemälden verglichen. Viele Autos wurden von studierten Künstlern entworfen, manche von Architekten, manche von Leuten aus Künstlerfamilien. Man sollte wissen, dass Fahrzeuge in den Design-Studios bis heute aus Ton modelliert werden, genau wie Modelle in den Ateliers der Renaissance.
Außerdem gibt es kulturelle Verbindungen zu Künstlern, die die Stromlinienförmigkeit von Fahrzeugen vorweggenommen haben, sei es Constantin Brâncusi oder Umberto Boccioni, oder die herrlichen Kurven der Skulpturen von Henry Moore. Das Automobil hat somit auch eine ästhetische Dimension. Es war ein Symbol für das 20. Jahrhundert. Allerdings nähern wir uns derzeit vielleicht dem Ende dieser Epoche. Es ist also an der Zeit, die Bedeutung und Wirkung des Automobils zu feiern.
Fotos: Filippo Bacci/Getty Images, picture-alliance/dpa/Arno Burgi
Berlin | Die ikonische Reichstagskuppel wurde 1999 fertiggestellt. Das historische Gebäude des Deutschen Bundestages wurde damit um moderne Bauelemente ergänzt.
Foto: Nigel Young/Foster + Partners
Kopenhagen | Mit den Copenhagen Towers hat Norman Foster einen wichtigen Beitrag zur Entwicklung der Stadt geleistet: Der Gebäudekomplex wurde als 22-stöckiger Büroturm und Flachbau konzipiert, die durch ein Atrium miteinander verbunden sind. Der Schwerpunkt des Projekts lag auf der Schaffung eines fortschrittlichen, kreativen Arbeitsplatzes, der die strengsten Umweltkriterien erfüllt.
Es ist faszinierend, wie sich die Wahrnehmung von Autos in den letzten Jahrzehnten verändert hat ...
Sie werden feststellen, dass das Auto zu Beginn des 20. Jahrhunderts als eine Art Heilsbringer galt. Die Städte waren überflutet von Pferdemist, Kadavern, Krankheiten und Gestank. Das Automobil hat die Städte erst einmal schöner und sauberer gemacht. Heute ist es für manche zum Bösewicht geworden. Doch möglicherweise erfindet es sich gerade neu? Vielleicht erinnern Sie sich: Der Moon Buggy, der im Jahr 1971 das erste Fahrzeug auf dem Mond war, galt wegen seines Elektroantriebs als revolutionär. In der Ausstellung sehen wir jedoch ein Auto aus dem Jahr 1900 mit demselben Konzept.
Heute bereiten wir unsere Autos langsam auf das autonome Fahren vor. Aber auch das ist keine neue Idee. Es gibt Bilder vom autonomen Fahren in der Ausstellung – eine Familie aus den frühen 1950er-Jahren spielt an einem runden Tisch ein Spiel, während ihr Fahrzeug selbstständig über die Autobahn fährt.
Das Automobil ist also der Protagonist der Ausstellung?
Ja, die Ausstellung ist architektonisch so konzipiert, dass Sie sozusagen aus der dunklen Höhle Aladins – mit vielen Fahrzeugen, viel Action und Aktivität – in einen Raum gelangen, in dem nur vier Fahrzeuge und zwei Skulpturen ausgestellt sind. Die Wände dieser großen weißen Halle sind komplett leer. Insgesamt versuchen wir, verschiedene Geschichten zu erzählen, anstatt einer bestimmten Chronologie zu folgen.
Sie haben sich auch dafür entschieden, Werke aus der Mercedes-Benz Art Collection zu zeigen. Im Eingangsbereich der Ausstellung hängen zum Beispiel drei Kunstwerke aus der „Cars“-Serie von Andy Warhol. Welche Geschichte wollen Sie mit diesen Stücken erzählen?
Sie sind Beispiele für die Art und Weise, in der diese außergewöhnlichen Maschinen durch die Augen verschiedener Künstler wahrgenommen werden. Ich wollte verschiedene Ansichten, Stimmen und Bilder zusammenbringen und sie auf unkonventionelle Weise mischen, denn normalerweise hängt man ein Gemälde nicht unbedingt neben eine Fotografie.
Wir erlauben uns die Freiheit einer weniger konventionellen Herangehensweise, wenn wir damit bestimmte Standpunkte verdeutlichen oder Bezüge zu Fahrzeugen herstellen können, die in der Nähe stehen. Wir lassen uns nicht einschränken. Die üblichen Konventionen bei der Konzeption einer Ausstellung sind uns nicht so wichtig. Wir nutzen die Ausstellungsräume auch, um das Gebäude von Frank Gehry gebührend in Szene zu setzen. Wir wollten keine Trennung und keine Wände einziehen. Und im letzten Ausstellungsraum versuchen wir, eine jüngere Generation und ihre Standpunkte einzubeziehen, indem wir Studierenden das letzte Wort überlassen. Dafür hat das Team der Norman Foster Foundation die 16 führenden Design- und Ingenieursschulen der Welt eingeladen, ihre Visionen von der Mobilität der Zukunft zu präsentieren.
Wie stellen Sie sich die Mobilität der Zukunft vor?
Ich denke, dass viele der traditionellen Automobilunternehmen jetzt auf bestimmte Trends reagieren müssen, so zum Beispiel auf den Trend zur Mobilität als Dienstleistung.
Fotos: Filippo Bacci/Getty Images, picture-alliance/dpa/Arno Burg
Berlin | Foster unterstrich die Bedeutung des Gebäudes als demokratisches Forum. Er setzte sich außerdem für Barrierefreiheit und aktiven Umweltschutz ein. Trotz der schweren Hülle ist das Gebäude nun von Licht und Transparenz durchdrungen.
Foto: Nigel Young/Foster + Partners
London | The Gherkin ist eine unverwechselbare Ergänzung der Skyline der Stadt. Es ist 41 Stockwerke hoch und bietet 46 400 Quadratmeter Netto-Bürofläche sowie neu geschaffene Atrien zur Verbesserung der natürlichen Luftzirkulation.
Jüngere Generationen sind weniger am Besitz eines eigenen Autos interessiert, sondern eher an Mitfahrgelegenheiten. Ich glaube aber nicht, dass das Auto insgesamt verschwinden wird. Ich denke, es wird sich in etwas verwandeln, das optisch weniger dem Gewohnten entspricht. Wenn die Städte sauberer, leiser und fußgängerfreundlicher werden, wird es weniger Fahrzeuge geben, die sich kontinuierlich bewegen.
Die verkehrsreichen Stoßzeiten, die wir für selbstverständlich gehalten haben, könnten dann der Vergangenheit angehören. Die Pandemie hat meines Erachtens nichts verändert, sondern lediglich Trends beschleunigt und verstärkt, die bereits zuvor erkennbar waren. Ich denke also, dass wir eine Brücke zwischen beiden Welten schlagen sollten – der Welt des Verbrennungsmotors und der Welt des Elektroantriebs –, während wir uns in Richtung autonomes Fahren bewegen. Manche mögen heute sagen: „Autonomes Fahren klingt langweilig.“ Aber ich denke, die Menschen werden rückblickend sagen: „Unglaublich, die Leute fuhren mit einem runden Ding in den Händen um die Ecke und kontrollierten dabei die Geschwindigkeit mit ihren Füßen. Sie krachten zusammen, wurden manchmal im Krankenwagen abtransportiert und mussten sich gegen Verkehrsrisiken versichern.“
Besonders seit Beginn der Pandemie sprechen und denken wir viel über virtuelle Welten nach. Bietet Ihnen das kreative Inspiration?
In einer der studentischen Installationen werden zwei alternative Zukunftsszenarien gezeigt.
In der einen Welt bewegen wir uns physisch immer schneller fort, mit Über- und Hyperschallgeschwindigkeit. In der anderen Welt sind wir im Wesentlichen statisch an einen Ort gebunden, alles kommt zu uns. Im Außen ist alles in Bewegung, und all die Dinge, die wir bestellen und konsumieren, werden uns von dort gebracht.
In dieser zweiten, virtuellen Welt wählen wir unser Reisetempo selbst. Die Realität wird vielleicht eine Mischung aus beidem sein.
Für die Ausstellung haben Sie auch das erste Automobil von Mercedes-Benz und ein Siebdruckgemälde aus der Mercedes-Benz Art Collection angefordert, das sowohl den 300 SL als auch nur seinen Spaceframe zeigt. Sie selbst besitzen auch einen 300 SL. Was reizt Sie speziell an diesem Auto?
Es entsteht ein schöner Dialog zwischen der Nachbildung des ersten Benz Wagens und den Warhols, über die wir bereits sprachen. Der 300 SL war ein außergewöhnlicher Durchbruch in Bezug auf den Spaceframe mit seiner dreidimensionalen Struktur und den leichten Rohrverbindungen. Wir zeigen eine Sammlung von Fotos neben eben dem Gitterrohrrahmen. Sie erzählen die Geschichte der Entstehung der Flügeltür, eine gestalterische Antwort auf die Tiefe des Spaceframes.
Foto: Europa Press News/Getty Images
Wir haben mit Norman Foster per Videoanruf in seinem Haus in St. Moritz, Schweiz, gesprochen. Im Alter von 87 Jahren ist der Architekt Mitkurator der Ausstellung „Motion. Autos, Art, Architecture“. Die Ausstellung wurde von der Norman Foster Foundation in Zusammenarbeit mit Mercedes-Benz organisiert. Sie beschäftigt sich mit der Bedeutung des Automobils in der Kunst- und Design-Geschichte des vergangenen Jahrhunderts. „Motion. Autos, Art, Architecture“ erstreckt sich über die gesamte zweite Etage des Guggenheim-Museums. Die Mercedes-Benz Art Collection hat der Ausstellung einige Stücke zur Verfügung gestellt, darunter Werke von Andy Warhol und Richard Hamilton.
Es handelt sich in der Tat um ein wunderschönes Objekt. Für manche hat es den Status einer Skulptur. Auch wenn wir annehmen, dass wir in Zukunft nicht mehr unbedingt Autos besitzen werden, bleiben sie für viele sehr reizvoll.
Als ausgesprochener Autofreak hoffe ich aufrichtig, dass Sie Recht damit haben, dass das Auto für die junge Generation attraktiv bleibt. Wenn man durch diese Ausstellung geht, stellt man fest, dass es so viele originelle Interpretationen dessen gab, was man mit vier Rädern, einem Motor und einem Fahrgestell machen kann. Besonders in den 1950er-Jahren gab es einen unglaublichen Kreativitätsschub und eine Menge sehr kleiner Fahrzeuge kam auf den Markt. Was die Ausstellung nicht zeigt bzw. auslässt, ist die Gegenwart, so wird den Studierenden in der letzten Galerie ein Sprung in die Zukunft ermöglicht. In der Gegenwart ist es sehr schwierig, signifikante Unterschiede zwischen den Marken auszumachen. Vielleicht liegt das an den internationalen Vorschriften und Normen in Bezug auf Gesundheit und Sicherheit. Die optimistische Hoffnung ist, dass es zu einer Wiederentdeckung der Persönlichkeit der einzelnen Marken oder Hersteller kommt. Wenn ich den Beruf wechseln und in die Rolle eines Autodesigners schlüpfen könnte, dann würde ich wohl versuchen, die Vorstände der Automobilhersteller davon zu überzeugen, dass sie viel gewinnen könnten, wenn ihre Autos nicht genauso aussähen wie die ihrer Konkurrenten. Auch wenn es heute natürlich Unterschiede zwischen den Marken gibt, so überwiegen doch die Ähnlichkeiten.
Was macht Ihnen am meisten Spaß, wenn Sie mit Ihrem 300 SL eine Spritztour machen?
Nun, ich genieße die leichte Frustration über die Belüftung. Aber das ist nur ein kleiner Nachteil beim Fahren dieses schönen und ausgereiften Fahrzeugs. Man hofft auf freie Straßen. Denn beim Schalten durch die Gänge will man die Leistungsspitzen genießen. Das Auto verlangt eine gewisse Form des Respekts beim Fahren. Einer der größten Vorzüge dieses Fahrzeugs besteht meiner Meinung nach in seinem Ursprung im Rennsport. Es ist ein Vergnügen, einen solchen Wagen zu besitzen und zu fahren.
Wie sehr sind Autos und Gebäude miteinander verwandt?
Ein Auto hat alle Merkmale von Architektur, außer dass es mobil ist. Es bewegt sich, es verlagert seinen Standort, es durchquert den Raum. Aber ansonsten erfüllt es viele der Vorgaben an Architektur. Ich finde es faszinierend, dass so viele Architekten, Designer und Ingenieure Inspiration im Automobil und seiner Industrie gefunden haben. Alle, die in der Welt des Designs tätig sind, wissen, dass es möglich sein müsste, qualitativ hochwertige Wohnungen nach industriellen Produktionsstandards zu bauen, so wie es beim Auto der Fall ist. Allerdings gehört dies bisher noch nicht zum Standard. Das Automobil könnte ein emblematisches, inspirierendes Modell für ein System des industrialisierten Wohnungsbaus sein.
Das Auto hat die individuelle Freiheit möglich gemacht. Deshalb ist es auch zu einem Symbol für das 20. Jahrhundert geworden …
Ich finde diese Widersprüche faszinierend. Da wäre die Freiheit der offenen Straße, für diejenigen, die das Abenteuer und die Freiheit genießen. Kritiker verweisen jedoch auf den Stau und den Stillstand, das Eingesperrtsein und die Bewegungslosigkeit. Sie sagen, wer in dieser Box gefangen ist, entfremdet sich von der Gesellschaft. Ich glaube, dass man das Beste aus diesen Welten zusammenführen kann und dass die Mobilitätskonzepte der Zukunft dies widerspiegeln. Ich glaube, dass sich die Mobilität so entwickeln kann, dass sie uns individuelle Freiheit in einer autonomen Welt gewährt. Man kann einem Menschen, einer Familie oder der Gesellschaft als Ganzes nicht einfach etwas wegnehmen. Wenn die Leute Gefallen an etwas gefunden haben, wird es Bestand haben.
Weitere Informationen über die faszinierende Bandbreite von Norman Fosters Arbeit, seine Initiativen und Projekte sowie die Ausstellung „Motion. Autos, Art, Architecture“ finden Sie hier.