Es gibt nicht viele Orte, die einem die eigene Endlichkeit so unter die Nase reiben wie Berge, die von Gletschern überzogen sind. Jenen jahrtausendealten Unwuchten aus Eis, die im Laufe der Erdgeschichte Gipfel geformt und Täler gegraben und sich damit ganz nebenbei den ersten Platz unter den stärksten natürlichen Erosionsquellen des Planeten gesichert haben. Wer ist man schon im Angesicht dieser Urgewalten, die Berge versetzen können?
In den kanadischen Rocky Mountains drängen sich solche Fragen geradezu auf. Wie ein Scherenschnitt erscheinen sie am Horizont, wenn man Calgary hinter sich lässt und sich ihnen auf dem Trans-Canada Highway nähert; ein lang gezogenes Massiv, zunächst beinahe winzig, dann plötzlich riesig. Die höchsten Gipfel erreichen hier knapp 4 000 Meter, was zwar nicht für Weltrekorde, aber für einige fortwährende Schneedecken und ausgedehnte Eisfelder sorgt. Immer höher falten sich die Berge vor uns auf, werden schroffer und steiler, auf einmal sind wir mittendrin: mit dem schneeweißen EQE SUV unter den weißgrauen Gipfeln der Rocky Mountains, darüber ein Admiralsblau, das nur alpine Gefilde so in den Himmel malen können.
Nur Gletscherseen können so leuchten wie Two Jack Lake nahe Banff. Feine Partikel aus pulverisiertem Gestein im Wasser streuen das Sonnenlicht so, dass es blaugrün erscheint. Und als wäre Two Jack Lake damit noch nicht beeindruckend genug, ragt auf der gegenüberliegenden Seite auch noch Mount Rundle auf, der in seiner ganzen dramatischen Scharfkantigkeit aussieht wie eine steingewordene Welle.
Wer früh aufsteht, bekommt hier ein weiteres Spektakel geboten: Alpine Glow, ein beinahe übernatürliches Lichtspiel, bei dem die aufgehende Sonne die Gipfel erst violett, dann bernsteinfarben und zinnoberrot färbt. Das Schauspiel ist eine Attraktion – und längst kein Geheimtipp mehr. Obwohl wir wirklich früh (unsere Körper sagen: zu früh) aufgebrochen sind, sind wir nicht die Ersten am See: Zwei Fotografen haben ihre Stative positioniert, eine verschlafene Familie hat gleich vier Handys gezückt, füllt sie mit Bildern vom spiegelglatten See. Kurz vor Sonnenaufgang wollen alle – so wie wir natürlich auch – den perfekten Fotospot finden, einander aber nicht ins Bild laufen. Denn auch, wenn sich das Ufer langsam füllt: Die Fotos sollen bitte schön kanadische Abgeschiedenheit zeigen.
Nach Sonnenaufgang biegt eine Wohnwagenkolonne auf den Parkplatz ein, Menschen mit riesigen Thermobechern bestaunen den See. Ein Kanu wird entladen und zu Wasser gelassen. Auf dem See lockt sie noch, die Einsamkeit. Wir fahren zurück nach Banff, holen uns im Whitebark Café einen Flat White und an der etwas versteckten, in einem Parkhaus liegenden Schnellladesäule noch ein paar Kilometer zusätzliche Reichweite. Dann machen wir uns auf den Weg ins gut 45 Minuten entfernte Lake Louise. Wir wollen wissen, ob es sie wirklich gibt, die kanadische Abgeschiedenheit, oder ob sie nur ein Fantasiegespinst ist, eine Mär, der wir durch das Internet, Social Media und diverse Reiseführer erlegen sind.
Die Frage nach Abgeschiedenheit beantwortet Lake Louise erst einmal mit einem klaren Nein. Blinkende Schilder weisen darauf hin, dass der Parkplatz überfüllt und für weitere Autos geschlossen sei, man möge den Bus nehmen. Oberhalb des gleichnamigen Ortes gelegen, ist Lake Louise einer der schönsten Seen in der Region und auch deshalb so beliebt, weil er das perfekte Fotomotiv bietet: Gletscher im Hintergrund, davor türkisgrüne Farbe und ein charakteristisches Bootshaus. Wer früh anreist – oder den Bus nimmt –, wird dennoch belohnt. Mehrere Wanderwege führen um den See herum und hinauf in die Berge. Im Gelände nimmt man die anderen Reisenden kaum noch wahr. Erfahrene Wanderer können einen der vielen Gipfel erklimmen, weniger Geübte können in einer guten Stunde zum Lake Agnes Tea House wandern. Das Café ist nur zu Fuß erreichbar – Frischwaren werden mit dem Rucksack zur Hütte transportiert, Haltbares wird einmal im Jahr mit dem Hubschrauber auf den Gipfel geflogen. Nachdem wir Lake Louise in Richtung des Icefields Parkway verlassen, spüren wir es dann, ein erstes Gefühl kanadischer Abgeschiedenheit. Vor uns sind zwar immer noch Autos, aber erstens sind es weniger und zweitens ist da dieses Schild: „No cell service for 230 kilometers.“ Kurz darauf erinnert ein weiteres Schild daran, dass auch keine Tankstellen mehr folgen. Gleiches gilt für Ladesäulen. Vielleicht liegt die Schönheit des Icefields Parkway auch darin begründet, dass er tatsächlich „off the grid“ liegt.
Seinen Namen verdankt der Abschnitt des Alberta Highway 93 North dem Columbia-Eisfeld, einer gigantischen Eismasse, die an ihrer dicksten Stelle mehr als 350 Meter misst, acht Gletscher nährt und Flüsse speist, die das Wasser in alle Himmelsrichtungen tragen und von denen einige im Pazifik, andere im Atlantik münden. Wir halten am Bow Lake und dem darüberliegenden Crowfoot-Gletscher, am Peyto Lake mit seiner charakteristischen Wolfsform, bewundern die Weeping Wall mit ihren Wasserfällen, die Eiskletterer im Winter gerne erklimmen, und den Big Bend, die einzige ernst zu nehmende Kurve der Strecke. Die 230 Kilometer lange Fahrt ist keine Herausforderung für den EQE SUV mit seiner Reichweite von bis zu 515 Kilometern (WLTP). Was die Route – und auch Electric Intelligence, die intelligente, unsere Reichweite überwachende und höfliche Hinweise gebende Routenplanung – auf den ersten Blick allerdings nicht preisgibt: die vielen Möglichkeiten, an denen man abbiegen kann. Anhalten, aussteigen, staunen. Eine dreistündige Fahrt kann sich spontan auf einen ganzen Tag ausdehnen, wenn man jedem Impuls nachgibt, in eine weitere Parkbucht einzubiegen.
Am Athabasca-Gletscher steigen wir aus. Der Tourismus hat hier wieder Fuß gefasst, in raupenartigen Bussen können Touristen das Eisfeld befahren, wenige Hundert Meter weiter auf dem Columbia Icefield Skywalk wandeln. Wir entscheiden uns dafür, den Gletscher zu bewundern und zu atmen – „to take a breather“, wie es im Amerikanischen so schön heißt –, verharren in Gedanken. Zuschlagende Autotür, neben uns ist ein Paar aus Sri Lanka ausgestiegen und beginnt zu plaudern. Ein Jahr würden sie die Welt bereisen, erzählen sie, kämen gerade aus den USA, aber die Schönheit hier sei noch einmal überwältigender: „It just hits differently!“ Die beiden zücken ihre Kameras, machen ein Foto, dann verabschieden sie sich schon wieder. Gut fünf Minuten haben sie vor dem Athabasca-Gletscher verbracht. Aussteigen, Foto machen, weiterfahren. Auch das ist der Icefields Parkway. Die aufziehenden Wolken wirken auf dem Smartphone-Foto fast noch dramatischer als in Wirklichkeit. Aber kann man dort auch die Bergluft und den Wind der Gletscher spüren? Der Gletscher bleibt stumm, was soll er auch sagen.
Auf einmal kreuzt ein Braunbär direkt vor uns die Straße. Wir halten an, bleiben im Auto sitzen, trauen uns kaum zu atmen. Es ist nicht unüblich, hier Wildtiere zu sehen, aber dass wir dem Bären so nah kommen, hätten wir nicht erwartet. Pugh hat recht, eine Begegnung mit einem Wildtier ist einzigartig, hallt nach. So wie eine Reise durch die kanadischen Rocky Mountains. Der Bär bekommt von alledem nichts mit, wir sind ihm egal, stören ihn ja nicht einmal akustisch. Langsam trottet er weiter, würdigt uns keines Blickes. Wir setzen den Blinker, fahren weiter. Voller Vorfreude auf das, was hinter der nächsten Kurve auf uns warten könnte.