„Der Reichtum an Informationen schafft eine Armut an Aufmerksamkeit“, schrieb der Wirtschaftsnobelpreisträger Herbert Simon 1977. Heute ist seine Prognose definitiv eingetroffen, das lässt sich überall beobachten, wenn Menschen kollektiv auf ihrem Smartphone verharren, weil Nachrichten von Facebook oder Büro-Mails aufpoppen. Konzerne wie die Mercedes‑Benz Group AG haben längst erkannt, dass Mitarbeiter trotz digitalen Fortschritts nicht immer entlastet werden und es Zeit ist, neue und flexible Möglichkeiten für Teams zu schaffen. Aber was können wir selbst tun, um uns der Flut an Aufgaben und Neuigkeiten entgegenzustemmen? Zunächst müssen wir begreifen, wo das Problem liegt.
Ein Vordenker der neuen Konzentrationsschule heißt Cal Newport, Informatiker und Absolvent des Massachusetts Institute of Technology, der mit „Deep Work“ einen internationalen Bestseller geschrieben hat. „Viele Angestellte sind gestresst von zu vielen Mails, Konferenzen oder Telefonanrufen. Sie haben das Gefühl, dass zentrale Aufgaben zu kurz kommen, weil wir sie zwischendurch erledigen müssen“, sagt er. Für Cal Newport ist das, was die meisten von uns im Büro erledigen, alles andere als konzentrierte Arbeit.
Er umschreibt es lapidar mit „Geschäftigkeit“ – das schlichte Abarbeiten bürokratischer Aufgaben oder Kommunikation via Mail und Smartphone. Damit wiesen Mitarbeiter eine gewisse Produktivität nach, erreichten aber keine qualitativ herausragenden Leistungen. „Wenn das Gehirn die Maschine der Dienstleistungs- und Technologiebranche ist, dann dürfen wir sie nicht dauernd unterbrechen, wir müssen sie in Schwung bringen“, fordert er. Mit seinem Begriff „Deep Work“ beschreibt Newport eine Form hoch konzentrierten Tuns, einen Schaffensrausch, der erst entsteht, wenn wir sämtliche Ablenkungen ausblenden.
Es ist eine Absage an Acht-Stunden-Tage in Großraumbüros, an eine überbordende Meeting-Kultur oder die Erwartungshaltung, dass Angestellte stets erreichbar sind. Zeitweise offline zu sein sei heute von unschätzbarem Wert – wenn man die gewonnene Zeit nutzt, sich auf ein wichtiges Problem zu konzentrieren. „Deep Work“ zu beherrschen sei eine Schlüsselkompetenz – vor allem in einer Zeit, in der wir mit Informationen überflutet werden.
Cal Newports Alltag dürfte als Vorbild kaum taugen: Er selbst besaß bis vor Kurzem kein Smartphone. Auch Facebook, Twitter oder Instagram lehnt er konsequent ab. Wenn er Vorträge darüber hält, warum Social Media überflüssig sei, erntet er nicht nur Zustimmung. Aber sein Ansatz ist bedenkenswert: Nicht jedes technische Gadget sei mit Fortschritt gleichzusetzen, sagt der Informatiker. Der Stress vieler Menschen rühre daher, dass sie sich auf die falschen Dinge konzentrierten.
Er pflichtet der Psychologin Winifred Gallagher bei, die davon ausgeht, dass unser Empfinden durch unseren Fokus beeinflusst wird: „Was wir denken und fühlen, ist die Summe dessen, auf was wir uns konzentrieren.“ Wer den ganzen Tag Termine wahrnehme oder E-Mails beantworte, fokussiere sich auf negative Dinge wie Probleme mit Kollegen, Deadlines oder oberflächliche Fragen. Wer hingegen so in sich versunken arbeitet, dass er Zeit und Raum vergisst, kennt das wohlige Gefühl, das sich danach einstellt. Diesen sogenannten Flow haben Motivationspsychologen bereits in den 70er-Jahren beschrieben. Es ist ein Zustand des Sich-Vergessens, eine Fokussierung, die Schriftstellern, Malern oder Hochleistungssportlern gelingt.
Für Cal Newport sind beispielsweise Bedingungen, wie sie sich Literaten oft schaffen, vorbildlich. Ein abgelegener Ort, der bewusste Verzicht auf allzu viel Technik. Aber wie lässt sich dies in den Büroalltag übertragen? Arbeitspsychologen raten, digitale Störenfriede so gut es geht zu verbannen. Denn es geht um Kontrolle. Darum, wer entscheidet, wann Aufmerksamkeit wohin gerichtet wird. Doch das fällt gar nicht so leicht, beobachtet der Psychologe Daniel Goleman. „Wie in einer Entziehungskur müssen viele erst wieder lernen, sich von digitalen Reizen nicht ablenken zu lassen“, schreibt er in seinem Buch „Konzentriert Euch“.
Aufmerksamkeit ist wie ein Muskel, den wir trainieren sollten, erklärt Goleman. Das beste Training für den Geist sieht er in bewussten Auszeiten, in denen wir mit Achtsamkeitsübungen die Aufmerksamkeit zurückholen. Goleman führt eine Reihe neurobiologischer Studien an, die nachweisen, dass langjährig meditierende Menschen durch die Übungen bestimmte Verknüpfungen im Gehirn gestärkt haben, die konzentrationsfördernd wirken. Beispielsweise schafften sie es, Gehirnareale, die für Ablenkung sorgen, schneller zu deaktivieren und den präfrontalen Cortex besser zu nutzen, der unseren Willen zur Konzentration steuert. „Für das mentale Fitnessstudio gilt das Gleiche wie für jedes Training“, schreibt Goleman. „Entscheidend ist, wie viel der Einzelne übt.“
Schon 60 Minuten konzentrierte Arbeit ohne Unterbrechung fördern die Qualität erheblich, hat Cornelius König, Professor für Arbeits- und Organisationspsychologie an der Universität des Saarlandes, in einer Studie mit Managern nachgewiesen. König nennt dies den Nutzen der „stillen Stunde“. Die Bedingungen dafür sind einfach: Smartphone und Internet ausschalten, an einen Ort ohne Lärmquelle wechseln und sich auf den wichtigsten Punkt der To-do-Liste konzentrieren. Mit ein wenig Übung stellt sich ein Flow-Moment ein – und man wird in diesem Moment zum glücklichen „Deep Worker“.
Mit der Initiative „Leadership 2020“ strebt auch Daimler einen grundlegenden Kulturwandel an. „Die neue Führungskultur macht Abläufe effizienter und stärkt die Organisation. Mitarbeiter werden dadurch motivierter, das fördert den Veränderungswillen“, sagt Elmira Schmidt, verantwortlich für Feedback Culture. Das sind die acht Themenfelder: