Herr Rosberg, nun beginnt die neue Saison der Formel 1, und erstmals seit 12 Jahren sind Sie nicht dabei. Wie fühlt sich für Sie die Freiheit an?
Ich bin niemand, der sich monatelang an den Strand legen kann, auch jetzt suche ich schon wieder Herausforderungen, und ich suche den Wettkampf. Wettkampf kann man ja auch anders empfinden, im Business etwa, wenn man Deals macht. (Rosberg klopft sich gegen die Stirn.) Das mache ich manchmal noch. Kann das sein, was ich da gerade gesagt habe? Ist da wirklich mein Name drauf, auf dem Weltmeister-Pokal? (Er zeigt auf den Pokal, der neben ihm auf dem Boden steht.) Und echt, 2017 bin ich in der Formel 1 nicht mehr dabei? Aber ich werde bei den Rennen mitfiebern, irgendwo. Dem ganzen Mercedes Team die Daumen drücken, das war ja meine Rennsport-Familie.
Binnen weniger Tage wurden Sie voriges Jahr Formel 1-Weltmeister und erklärten Ihren Rücktritt, mit 31 Jahren. Sie sprachen dabei von „Opfern“, die Sie nicht mehr bringen wollten. Wirklich erläutert haben Sie das nicht.
Seitdem ich denken kann, habe ich dieses Ziel vor Augen. Weltmeister werden. Das war mein Kindheitstraum, es gab für mich nichts Höheres. Und um im Sport Erfolg zu haben, muss man bereit sein, Opfer zu bringen. Alles muss sich da einreihen, unterordnen, auch die Familie. Die Freunde fahren in Skiurlaub, posten auf Facebook, und ich bin trainieren oder was auch immer. Es geht um totales Commitment – das hat mir den Erfolg gebracht, das hat auch die Freude am Erfolg erhöht, weil harte Momente dabei waren. Momente, bei denen du daran zweifelst, ob du es aushältst. Nun fühle ich mich erfüllt, erfüllt und glücklich.
Im Oktober 2015 unterlief Ihnen in Austin, Texas, ein schwerer Fahrfehler, damals verloren Sie endgültig den WM-Kampf jenes Jahres. Sie haben sich danach tagelang zurückgezogen, haben gegrübelt und gegrübelt. Heute bezeichnen Sie dieses Rennen als Wendepunkt Ihrer Karriere. Warum?
Ohne diese Niederlage säße ich heute nicht als Weltmeister hier, da bin ich mir ganz sicher. Auch wenn die Phase brutal war. Zum einen hat mich diese heftige Niederlage in Motivationsgegenden gebracht, die ich selbst bei mir niemals für möglich gehalten hätte, von denen ich nicht wusste, dass ich überhaupt dazu in der Lage bin. Mir war klar, ich würde so etwas nie wieder erleben wollen. Nie wieder. So zu leiden gibt auch Kraft.
Sie sind danach unter anderem nach Japan gereist, zu einem Zen-Meister.
Wichtiger noch war, dass ich einen Menschen gefunden habe, der mir im Mentalen geholfen hat. Ich hatte mich gefragt: Welche Bereiche gibt es noch, in denen ich mich verbessern kann? Nicht nur als Rennfahrer, als Mensch.
Und die Antwort fanden Sie in der Psychologie?
Es ging vor allem um Meditation. Nein, Meditation ist ein zu großes Wort, da denkt mancher vielleicht an Hokuspokus, aber es ist etwas sehr Fassbares, es geht um Konzentrations- und Achtsamkeits-Training. Es geht darum, sich auf sich zu besinnen, sich seiner Gefühle, seiner Gedanken bewusst zu werden und sich so besser fokussieren zu können.
Im Saisonfinale 2016 wirkten Sie mitunter, erzählen Beobachter, als hätten Sie sich zurückgezogen in Ihre eigene Welt.
Mein Team hat mich abgeschirmt, das hat mir sehr geholfen. Diese Endphase im WM-Kampf war ja an Intensität nicht mehr zu übertreffen. Unfassbar. So greifbar nahe am Kindheitstraum zu sein und dann wieder gegen Lewis anzutreten … Ich hatte ja schon einmal, 2014, eine WM im allerletzten Rennen gegen ihn verloren.
Die Vorstellung, wieder gegen Lewis Hamilton zu verlieren, muss quälend gewesen sein.
Diese Gedanken waren sehr intensiv. Und immer da. Morgens war der erste Gedanke daran, den Rivalen zu schlagen, abends vor dem Zubettgehen war es der letzte Gedanke? Nein.
Nein?
Mitten in der Nacht. Die Gedanken kamen mitten in der Nacht. Da wachte ich auf, und sofort waren sie da. Wirklich schwierig. Aber dank der Hilfe, die ich erfahren habe, konnte ich den Fokus behalten und bin im Jetzt geblieben – genau mit diesem Achtsamkeitstraining. Weil ich gelernt hatte zu bemerken, wenn meine Gedanken abhauen wollen in irgendwelche verrückten Richtungen. Es ist so leicht, sich dann zu verlieren. Überwältigt zu werden, weil alles so viel ist. Aber ich wusste, wie es geht, mich zurückzubringen, mich zu besinnen, auf was es jetzt ankommt. Das hatte mit Sicherheit einen Riesenanteil, dass ich beim letzten Rennen mein bestes Rennen gefahren bin.
Gehörte das also zu den angesprochenen „Opfern“: dieser Kampf gegen sich selbst?
Na ja, die Formel 1 ist ein Teamsport, ich hatte die ganze Zeit meine Vertrauten um mich herum, meine Familie war an meiner Seite – da war eine großartige Unterstützung, wann immer ich sie brauchte.
Aber wenn Ihre Gedanken zu kreisen beginnen, kann Ihnen niemand mehr helfen. Ist für Spitzensportler Einsamkeit ein unausweichlicher Preis des Erfolgs?
Auf jeden Fall. Eine gewisse Einsamkeit ist auf diesem Niveau ein Teil des Sports und ist eine Folge der Fokussierung, ohne die man nichts erreichen würde.
Kam Ihnen je der Gedanke: Der Preis ist mir zu hoch als Mensch, man verändert sich zu sehr?
Nein, diesen Gedanken hatte ich nie. Dafür war ich zu zielstrebig, dafür bin ich auch mit zu viel Kampfgeist rangegangen.
Auf den Seiten zuvor zeigen wir Bilder des Fotografen Paul Ripke, der Sie im Weltmeister-Jahr begleitete. Darunter sind ungewöhnliche Motive. Etwa das Bild, wo Sie sich an Ihren Vater Keke drücken, in einem scheinbar unbeobachteten Moment. So ungeschützt zeigen sich Stars sonst öffentlich nicht. Sie brauchen den Panzer, der sie abschirmt, sie wollen keine Angriffsfläche zeigen.
Das geht natürlich nur mit Vertrauen. Mit Paul hat es einfach ideal gepasst. Natürlich schauen wir darauf, welche Bilder wir rausgeben, aber dieses Gefühl, dass ich mich schützen muss, habe ich nicht. Das bin ich, der auf diesen Bildern zu sehen ist, und zu diesem Ich stehe ich.
Haben Sie „Open“ gelesen, die Autobiografie des früheren Tennisspielers Andre Agassi?
Ja, habe ich. Schon ein bisschen her. Die ist sehr gut.
Erinnern Sie sich, was Agassi gemacht hat, als er in Palermo erfuhr, dass er zum ersten Mal im Leben die Nummer eins der Welt geworden war, als er sich seinen Traum erfüllt hatte?
Nee – er hat sich gefreut, nehme ich an.
Er ging durch die Straßen von Palermo und fühlte nichts als Leere.
Das ging mir ganz anders. Ich habe geweint, als ich in Abu Dhabi endlich die Ziellinie überquert hatte.
Agassi fragte sich, warum er noch weitermachen solle, wenn dann doch nur Leere komme, wenn alles so unbefriedigend sei. Er fragte sich, was noch kommen könne. Das Gefühl haben Sie sich durch Ihren Rücktritt erspart.
Ich habe etwas ganz anderes empfunden, obwohl ich da noch gar nicht an einen Rücktritt gedacht habe. Bei mir war es die pure Erleichterung, weil die letzten Runden so intensiv waren, die Nervenanspannung so extrem war. Die erste Freude kam, als ich Vivian im Bordfunk hörte, meine Frau, das war so persönlich, als würden wir morgens im Zimmer miteinander sprechen. Die extreme Intensität hat sich in diesem einen Moment gelöst.
Wie lange kann ein Spitzensportler überhaupt eine solche Fokussierung durchhalten?
Das kann man nicht für immer machen. Das geht nicht. In allen großen Einzelsportarten gibt es immer wieder Menschen, die dominieren, aber eines Tages ihre Dominanz verlieren. Im Tennis ging es zum Beispiel gerade Novak Djokovic so. Den habe ich sogar vor Kurzem getroffen. Am Strand in Monaco, er hat da sein Yoga-Programm gemacht. Ich bin hinuntergegangen und habe ihn begrüßt. Wir kannten uns nur vorher kurz vom Laureus Award, aber wir schreiben uns seitdem manchmal, unsere Kinder haben das gleiche Alter, und wir leben beide in Monaco. Er ist völlig committed zu seinem Sport, wir haben uns darüber unterhalten, wie unglaublich anstrengend das ist.
Fällt Ihnen ein Sportler ein, der diese Intensität dauerhaft ausgehalten hat?
Sehr, sehr wenige. Eigentlich nur Michael Schumacher. Der hat es geschafft. Der hat es echt durchgezogen. Vollgas. Immer weiter, immer weiter. Aber er ist da echt einzigartig.
Können Weltmeister im Fußball, Boxen oder der Formel 1 nette Menschen sein?
Natürlich. Aber ja. Warum denn nicht?
Ein deutscher Fußball-Europameister sagte mir einmal: „Erwartet von uns nicht, dass wir nette Menschen sind. Wir sind von klein auf gedrillt worden, uns durchzubeißen, die Konkurrenten wegzubeißen, nur an uns zu denken, wir sind Killer.“ Hat er denn nicht recht?
Man kann auch seine Freundlichkeit beibehalten und respektvoll sein und trotzdem Erfolg haben. Nein, er hat nicht recht.
Aber das Schönste an der Formel 1 war für Sie …
… wenn es gelang, alle anderen zu besiegen. Na klar, darum geht es. Das Glücksgefühl, ganz da oben zu stehen, ist unvergleichlich.
Viele Spitzensportler haben kein Talent zum Glücklichsein.
Das kann ich sehr gut nachvollziehen. Das ging mir oft genauso. Direkt kommt das nächste Rennen, der nächste Sieg muss her, immer mehr, immer mehr. Das ist brutal und normal zugleich.
Bei Ihnen kam nach dem Triumph kein nächstes Rennen mehr. Ihr Management hat direkt danach einen Film veröffentlicht, in dem man Sie als Steppke im Gokart sieht, Ihr Vater steht am Rand der Piste: Keke Rosberg, der Formel 1-Weltmeister von 1982, mit nacktem Oberkörper, sehr zufrieden mit seinem Sohn.
Das war für mich mit das Emotionalste, diese Bilder zu sehen. Ich kannte den Film vorher nicht. Mein Vater hatte ihn gefunden, meine Leute haben ihn neu geschnitten, ohne dass ich davon wusste. Das war Tag eins meines Wegs, der Kreis hat sich in Abu Dhabi geschlossen. Jetzt habe ich das Gleiche erreicht wie mein Vater, wir können das teilen. Das ist einfach mega.
Am Anfang Ihrer Karriere wurden Sie immerzu mit Ihrem Vater verglichen.
Das hat mich schon lange verfolgt. War nicht schlimm, nur ein bisschen nervig. Jetzt aber freue ich mir über die Frage. Über den Vergleich.
Ist das so?
Ja, weil ich dankbar bin, meinen Eltern, meiner Familie. Mein Vater hat meine Karriere ganz toll gefördert, den ganzen Weg hinein in die Formel 1 bereitet. Und als ich in die Formel 1 durchgebrochen bin, hat er sich zurückgezogen.
Von selbst?
Nachdem wir das diskutiert haben, hat er das gemacht. Das ist auch ein Grund, warum ich jetzt hier als Weltmeister sitze. Er hat es geschafft, rechtzeitig loszulassen. Das ist sicher das Schwierigste als Vater.
Sie sind jetzt selbst Vater, Ihre Tochter ist anderthalb Jahre alt.
Oh ja, und ich ahne schon jetzt: Beim eigenen Kind loszulassen, das ist das Schwierigste, was es gibt auf der Welt. Ich ahne, was er da geschafft hat. Und ich nehme mir vor, das auch hinzubekommen, eines Tages. Es ist ja im Übrigen nicht so, dass sich mein Vater ganz raushält. Vor Kurzem hat er mir geschrieben: Vergiss nicht, du musst jetzt abtrainieren.
Und, was haben Sie geantwortet?
Dass ich das nicht brauche. Ich werde weiter laufen und Fahrrad fahren, ich werde mein Fitnesslevel beibehalten, ich mache meine Trainingslager mit meinem Trainer. Schauen Sie, da liegen Kekse auf dem Tisch, die werde ich nicht essen. Sie reizen mich nicht mal. Ich werde mein Leben so weiterführen, es fühlt sich alles richtig an.
Immerhin haben Sie künftig mehr Zeit, um Ihren blauen Mercedes 280 SL Pagode durch Südfrankreich spazieren zu fahren.
Schöner als an dieser Küste geht das nirgendwo, aber das soll kein Alltagsgefährt werden. Das muss etwas Besonderes bleiben.
Stimmt es, dass Sie sich extra umziehen, wenn Sie in das Auto steigen?
Ja, ich mache mir die Mühe, dass ich mich adrett anziehe, mit Jackett, richtig stylish. So wie es sein muss für einen Oldtimer. Sonst verliert das den Glanz.