Eine erfolgreiche Geschäftsfrau.

Berlin ist entspannt an diesem Vormittag Anfang September. Die Luft ist klar und die Sonne wärmt noch genug für ein Frühstück im Freien, es ist 11 Uhr, Café Schönbrunn, Volkspark Friedrichshain. Stefanie Giesinger biegt um die Ecke, unglaublich schlank, unglaublich groß, ähnlich entspannt wie die Stadt, in der sie seit zwei Jahren lebt. Giesinger hat vor drei Jahren eine Castingshow im deutschen Fernsehen gewonnen, bei der es darum geht, sich möglichst quotentauglich von der Wackelkandidatin zur Favoritin zu mausern. Heute sind diese Zeiten fast vergessen: Aus der 21-jährigen Deutsch-Russin ist eine erfolgreiche Geschäftsfrau geworden.

„Ich mache das einfach.“

Frau Giesinger, knapp drei Millionen Menschen folgen Ihnen auf Instagram. Auf Laufstegen, in der Werbung, in den sozialen Netzwerken sind Sie heute präsenter denn je. Was ist Ihre Strategie?

Stefanie Giesinger: Die Antwort ist an dieser Stelle ganz einfach: Ich habe keine.

Keine Strategie?

Wenn Strategie bedeutet, dass ich mir großartig Gedanken mache um meinen Auftritt bei Instagram oder mich beraten lasse von einer Agentur, dann muss ich sagen: Nein, wozu denn? Ich mache das einfach. Ich denke nicht darüber nach, ob ich etwas falsch mache oder wie viele Follower ich mit diesem oder jenem Post generiere.

„Social Media macht es möglich, sich mitzuteilen.“

Was heißt es heute, authentisch zu sein – bedeutet das: Offenheit?

Ja, auf jeden Fall. Ich bin ein sehr offener Mensch. Ich glaube aber auch, dass die Zeiten einfach so sind – offen zu sein ist gerade „in“. Vor gar nicht langer Zeit war das Gegenteil der Fall, die Supermodels der 90er zum Beispiel haben ja ein großes Geheimnis aus sich gemacht, sie umgab fast etwas Mysteriöses. Heute ist Authentizität eine wichtige Währung geworden und Social Media macht es möglich, sich mitzuteilen.

Wenn Models wie Sie heute auf Facebook, Instagram und Co. regelmäßig ihr Gesicht und ihren Körper zeigen – ist Erfolg als Social-Media-Star dann heute schon eine Art Job-Voraussetzung?

Das könnte sein. Wenn du zum Casting kommst, ist eine der ersten Fragen: Bist du bei Facebook, bist du bei Instagram, wie viele Follower hast du? Irgendwo verstehe ich das auch. Der Kunde kauft nicht nur mich als Model, mein Gesicht, sondern auch die ganze Fanbase – und hat damit gleich eine ganze Zielgruppe. Wer sich also geschickt selbst vermarktet, kann auf eine Agentur verzichten und trotzdem erfolgreich sein.

Ist es heute leichter als früher, seinen eigenen Weg zu gehen, sich gegen alle Widerstände durchzusetzen?

Wenn es darum geht, als unbekannter Mensch einem möglichst breiten Publikum bekannt zu werden, dann sind die Zeiten definitiv leichter geworden. Man ist nicht darauf angewiesen, als Model auf der Straße entdeckt zu werden wie Kate Moss, man kann diesem Glück jetzt gezielt entgegenkommen und sich zum Beispiel bei Castingshows bewerben. Wie dauerhaft diese Prominenz dann am Ende ist, steht auf einem anderen Blatt.

Sie haben einen zweiten Account auf Instagram. Warum denn?

Das war eine spontane Idee. Ich wollte ein Foto von mir posten, auf dem ich total witzig aussah, aber es passte partout nicht zu der Bildsprache meines Accounts. Da habe ich einfach einen zweiten Account angelegt, auf dem ich mich zeige, wie ich wirklich bin.

„Das war eine spontane Idee.“

Aber worin genau besteht der Unterschied? Sie sagten ja, dass auch Ihr „offizieller“ Account absolut authentisch sei.

Ja, aber die Fotos zeigen doch eher eine Seite an mir, die ich mal als „perfekt“ bezeichnen möchte. Haare, Make-up, Klamotten, alles makellos und auch schön, ich mag das natürlich, nicht umsonst habe ich mich für das Model-Business entschieden. Aber irgendwann war es mir einfach zu perfekt. Es gab ein Foto, das ich lustig fand, weil mein Gesicht darauf irgendwie seltsam aussah, wie ein Alien. Hätte ich es auf meinem ersten Account gepostet, hätte es da gestanden wie ein Fremdkörper. Instagram ist ja eine Art Galerie, und man selbst ist der Kurator. Diese lustige, gänzlich unperfekte Seite an mir findet jetzt einfach auf einem anderen Kanal statt. Nicht nur die.

Ein Foto zeigt Sie im Rollstuhl im Krankenhaus in London im Spätsommer 2016. Was war passiert?

Ich leide an einem Phänomen, das man Volvulus nennt. Meine Organe sind im Körper nicht fest verankert, dadurch können sie sich verdrehen. Als ich 13 war, ist dieser Fall eingetroffen, sodass ich im Badezimmer zusammengebrochen bin – vor Entkräftung und Schmerzen, ich hatte mich tagelang übergeben und war völlig entkräftet. Es war alles andere als sicher, dass ich die Operation damals überlebe. Auch heute lebe ich ständig mit der Gefahr, dass sich dieser Vorgang in meinem Körper wiederholt. Voriges Jahr war ich sechs Mal im Krankenhaus wegen verdrehter Organe.

„Nicht jeder ist der Typ für schnelle Entscheidungen.“

Sie sind jetzt 21 und wirken sehr erwachsen, ist das typisch für Ihre Generation?

Ich denke schon, dass meine Generation dazu gezwungen wird, sehr früh im Leben sehr relevante Entscheidungen zu treffen – weil es einfach so viele Angebote und Informationen gibt, die auf uns einprasseln. Wir tragen nicht mehr so viel Verantwortung wie die Generation meiner Eltern. Dafür haben wir es auf andere Weise schwer. Wir befinden uns ja im Grunde in einem Zustand dauerhafter Überforderung. Damit können die einen gut, die anderen nicht so gut umgehen. Und nicht jeder ist der Typ für schnelle Entscheidungen. Ich bin es, zum Glück. Wenn ich heute ehemalige Schulfreunde treffe, wissen die meisten mit 21 noch nicht, was sie „später“ einmal machen wollen. Da merke ich dann schon, dass ich früher erwachsen geworden bin als andere.

„Ich würde Psychologie studieren.“

Was gehört heute zum Erwachsenwerden: noch ein Führerschein?

Definitiv. Ich habe meinen während „Germany’s next Topmodel“ gemacht. Erwachsen zu sein bedeutet für mich aber auch, Entscheidungen treffen zu können, die einem selbst guttun, und das ist heute womöglich schwieriger als früher. Meine Eltern haben mir mitgegeben, dass Geld einem im Leben zwar ab und zu schöne Dinge ermöglicht. Dass das wahre Glück aber in den Menschen liegt, die man liebt. Deshalb kann ich auch guten Gewissens sagen, dass ich auch ohne diesen ganzen Rummel um mich herum ein glücklicher Mensch wäre. Ich muss mein Leben nicht öffentlich machen. Aber ich habe mich aus guten Gründen dafür entschieden.

Was hätten Sie sich beruflich vorstellen können, wenn es mit der Model-Karriere nicht geklappt hätte?

Ich würde Psychologie studieren, mit dem Schwerpunkt Kinderpsychologie. Ganz abgeschlossen habe ich damit auch noch nicht. Vielleicht ist das ja etwas für mein Leben nach dem Laufsteg.

„Kann es ein schöneres Gefühl geben?“

Ihre Eltern sind 1995 von Sibirien nach Deutschland ausgewandert, ein Jahr später kamen Sie auf die Welt. Welche Rolle spielt Russland in Ihrem Leben?

Eine große, meine Muttersprache ist Russisch, ich bin mit russischem Essen aufgewachsen, russischem Fernsehen, russischen Liedern. Aber trotzdem ist damit keine ... Sehnsucht verbunden. Meine Eltern haben kein Heimweh nach Sibirien, sie haben ihre Entscheidung, nach Deutschland auszuwandern, sehr bewusst getroffen. Die Pfalz ist heute ihre Heimat.

Sie leben seit zwei Jahren in Berlin, Ihr Freund pendelt zwischen London und Brighton. Wenn man wie Sie so ein öffentliches Leben führt und ständig unterwegs ist, wie viel Verwurzelung ist da überhaupt möglich? Wie viel Erdung nötig?

So ein Jetset-Leben zu führen ist natürlich das, wovon ich immer geträumt habe, das ist schon toll, heute Berlin, morgen London, übermorgen New York.

Was man bei der ganzen Träumerei natürlich nicht weiß: wie viel unglaubliche Kraft das alles kostet. Die Langstreckenflüge, endlose Tage am Set, Wochen und Monate aus dem Koffer leben. Und dann kommt man allein zurück nach Berlin und sitzt in der eigenen Wohnung und denkt: Das fühlt sich nicht gut an. Da fehlt mir definitiv die Erdung. In solchen Momenten setze ich mich immer öfter ins Auto und fahre nach Kaiserslautern in die Pfalz, zu meinen Eltern.

Zeigen Sie auch diese Welt den Leuten da draußen?

Nein, niemals. Das ist ein Raum, den ich niemals öffentlich machen würde – ganz im Gegenteil, den ich gut schütze. Denn dann liege ich im Garten von Mama und Papa, die Haare zerzaust und mit den Gedanken in den Wolken, und Mama kocht mir etwas zu essen. Kann es ein schöneres Gefühl geben?

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