Hochdruck für die Ladeluft.

Mehr Motorleistung quasi auf Knopfdruck? Ganz simpel: Einfach das Pedal über die Vollgasstellung hinaus durchdrücken, und schon liefert das Aggregat 60 Prozent mehr „Pferdestärken“ als im Normalbetrieb. Möglich macht das der Roots-Kompressor als mechanischer Ladeluftverdichter. Begleitet wird das Geschehen von einem markanten Arbeitsgeräusch, das für manchen Musik in den Ohren ist.

Die Daimler-Motoren-Gesellschaft (DMG) begeistert mit dieser innovativen Technik vor 100 Jahren Fachwelt und Publikum. Auf der Deutschen Automobil-Ausstellung 1921 in Berlin haben die ersten beiden Kompressorfahrzeuge der Stuttgarter Marke Premiere, es sind der Mercedes 6/25 PS und der Mercedes 10/40 PS. Sie markieren den Auftakt für eine grandiose Erfolgsgeschichte.

Sensation: Auf der DAA in Berlin 1921 (links das Messeplakat) haben der Mercedes 6/25 PS (rechts) und der Mercedes 10/40 PS Premiere.

Paul Daimler, Leiter der DMG-Fahrzeugentwicklung von 1907 bis 1922, und der Mercedes 10/40 PS als Sport-Zweisitzer.

Hightech aus dem Flugzeugbau.

Entwickelt werden die neuen Typen unter der Leitung von Paul Daimler, dem ältesten Sohn des Automobilpioniers Gottlieb Daimler. Der Ingenieur leitet die Fahrzeugentwicklung der DMG. Das Prinzip des Roots-Kompressors kennt er aus der Flugmotorenentwicklung während des Ersten Weltkriegs. Nun greift er auf das Konzept des mechanischen Laders zurück und will es auch im Automobil einsetzen.

Ein erster Versuch mit dem schiebergesteuerten Motor eines Mercedes-Knight 10/40 PS ist nicht erfolgreich. Deshalb werden bei Daimler zwei neue ventilgesteuerte Motoren entwickelt: Beide sind Reihenvierzylindermotoren mit oben liegender Nockenwelle, v-förmig angeordneten Ventilen und zentral eingelassenen Zündkerzen. Eine Königswelle am Motorende treibt Nockenwelle und Wasserpumpe an. Der Roots-Kompressor wird vorn am Motor angebaut und von der Kurbelwelle angetrieben.

Kraftvolle Sportlichkeit.

Wegen der schwierigen wirtschaftlichen Bedingungen kommen die beiden neuen Modelle erst 1923 auf den Markt. Doch das Warten hat sich für die Kunden gelohnt. Denn die Rechnung der Konstrukteure um Paul Daimler, zu denen auch Albert Heeß und Otto Schilling gehören, geht auf: Die Kompressorwirkung ist enorm, der Lader holt rund 60 Prozent mehr Leistung aus dem Motor.

Im Mercedes 6/25 PS mit 1.568 Kubikzentimetern Hubraum wächst die Leistung bei Zuschalten des Drehflügelgebläses von 15 bis 18 kW (20 bis 25 PS) auf 28 bis 29 kW (38 bis 40 PS). Beim Typ 10/40 PS mit 2.614 Kubikzentimetern Hubraum stehen ohne Kompressor 26 bis 29 kW (35 bis 40 PS) und mit mechanischem Lader 48 kW (65 PS) zur Verfügung.

Fahrgestell des Mercedes 10/40 PS mit 2,0-Liter-Kompressormotor. Ab 1924 heißt der Typ Mercedes 10/40/65 PS.

Kompressorleistung in der Typbezeichnung.

Um das Potenzial schon im Namen des jeweiligen Modells zu verdeutlichen, erhalten die beiden Fahrzeuge im Jahr 1924 erweiterte Typbezeichnungen: Künftig werden sie als Mercedes 6/25/38 PS und Mercedes 10/40/65 PS angeboten. Dabei steht die letzte Zahl für die Leistung in PS mit zugeschaltetem Kompressor.

Erfolgreich im Rennsport.

Die starken Kompressormotoren eignen sich optimal auch für den Rennsport. Aus dem 1,6-Liter-Motor des Mercedes 10/40 PS entstehen in den 1920er-Jahren verschiedene Rennaggregate mit 1.500 und 1.986 Kubikzentimetern Hubraum. Auch der siegreiche Mercedes 2-Liter-Targa-Florio-Rennwagen von 1924 wird von einem dieser Motoren angetrieben. Der legendäre, rot lackierte Rennwagen ist im Mercedes-Benz Museum im Raum Mythos 7 zu erleben: Silberpfeile – Rennen und Rekorde.

Kompressorsieger: Mit dem rot lackierten Mercedes 2-Liter-Targa-Florio-Rennwagen gewinnt Christian Werner 1924 das berühmte Straßenrennen Targa Florio auf Sizilien. 

Kompressorsieg im 1000-Meilen-Rennen: Vor 90 Jahren gewinnt Rudolf Caracciola mit Wilhelm Sebastian im Mercedes-Benz SSKL (W 06 RS) Kompressor-Tourenwagen das italienische Straßenrennen „Mille Miglia“ am 12. und 13. April 1931.

Legendäre Kompressor-Tourenwagen.

Das große Potential der Kompressortechnik macht die mit diesen Motoren ausgerüsteten Automobile der Marke mit dem Stern berühmt. Zu Legenden werden insbesondere die Kompressorsportwagen der Reihe K, S, SS, SSK und SSKL ab 1924. Sie begeistern sowohl als Supersportwagen ihrer Zeit für ambitionierte Privatfahrer wie auch als siegreiche Rennfahrzeuge.

Renaissance in den 1990er-Jahren.

Die Kompressortechnik feiert ab 1995 ein Comeback in Personenwagen von Mercedes-Benz. Zunächst gibt es die 2,3-Liter-Vierzylindermotoren in C-Klasse, SLK und CLK mit dem mechanischen Lader. Premiere hat der C 230 Kompressor auf der IAA 1995.

Leistung und Effizienz: Mercedes-Benz C 230 Kompressor T-Modell der Baureihe 202 (Produktionszeitraum 1997 bis 2000) mit entsprechendem Schriftzug auf der Heckklappe.