Photos: Anne Ackermann
Text: Kirsten Milhahn

Ein neues Gesicht für Kenia.

Seit Generationen werden Frauen in dem ostafrikanischen Land wie Menschen zweiter Klasse behandelt. Das Laureus-Projekt „Moving the Goalposts“ will das ändern. Doch Geschäftsführerin Rachel Muthoga reicht es nicht, aus benachteiligten Mädchen von heute selbstbewusste Frauen von morgen zu machen. Auch in den Köpfen des anderen Geschlechts soll sich etwas bewegen.

Fußball in der Äquatorsonne.

Die Äquatorsonne brennt an diesem Nachmittag auf das staubige Fußballfeld. Etwa hundert Mädchen und junge Frauen sitzen im Schatten knorriger Mangobäume am Spielfeldrand. Stimmen und Gelächter hallen über den Platz, auf dem sich die ersten Spielerinnen für ein Freundschaftsmatch zwischen zwei Mädchenmannschaften warm kicken. Manche tragen Turnhosen, die meisten spielen in Röcken, einige sogar mit Kopftuch und langer Kanga – dem traditionellen afrikanischen Tuchgewand, das sie um die schmalen Hüften geschlungen haben. Bequem ist das nicht, doch mehr lassen Tradition und Rollenverständnis hier in Kenias Küstenregion nicht zu. Etwas abseits am Spielfeldrand hocken ein paar Jungen, die den Mädchen zuschauen und zwischen­durch immer wieder lautstark das Spiel kommentieren.

Rachel Muthoga.

Inmitten der Menge steht eine Frau in weißem Poloshirt und schwarzer Hose. Sie trägt auffällig große Ohrringe und Make-up. Eine Sonnenbrille steckt im kurz geschnittenen Haar. Mit verschränkten Armen beobachtet sie die Spielerinnen auf dem Feld beim Aufwärmen. Hin und wieder huscht ein Lächeln über ihr Gesicht. Dann gibt sie einigen der jungen Frauen bei den Mangobäumen ein Handzeichen. Los geht’s.

Rachel Muthoga leitet seit fast drei Jahren das Sportprojekt „Moving the Goalposts“ in Kilifi und Kwale an der Küste Kenias. Von der Hauptstadt Nairobi zog die 35-Jährige in die Küstenprovinz, um in einer der ärmsten Gegenden des Landes Mädchen zu selbstbewussten Frauen aufzubauen: Frauen, die für ihre freie Meinung einstehen, die später mal Verantwortung übernehmen und vielleicht in Führungsriegen aufsteigen. Fußball ist dafür das Mittel zum Zweck.    

Die Spielregeln ändern.

Für ihr Engagement bei „Moving the Goalposts“ wurde Rachel Muthoga im vergangenen Jahr von „Business Daily“ – einer der größten Zeitungen des Landes – aus fast 400 Kandidatinnen zu Kenias „Top 40 Under 40 Women“ gekürt. Der Preis geht an Frauen, die Herausragendes für die Gesellschaft leisten. So ungewöhnlich wie Muthoga ist auch das Projekt, das sie verantwortet. Um den Gedanken hinter „Moving the Goalposts“, was auf Deutsch so viel heißt wie „Die Spielregeln ändern“, zu verstehen, müsse man tiefer in die Traditionen und Widersprüche der Region eindringen, erklärt Muthoga. Während in vielen afrikanischen Großstädten wie Nairobi eine neue Mittelschicht von gut ausgebildeten, jungen Leuten mit lukrativen Jobs wächst, bleiben die ländlichen Regionen auf der Strecke, vor allem an der Küste. Viele Menschen hier sind so arm, dass sie weder Geld noch Besitz haben.

Gleiche Rechte und Chancen.

„Ich kenne keinen Distrikt in ganz Kenia, in dem die Gegensätze zwischen Arm und Reich größer sind als in Kilifi“, sagt Rachel Muthoga. „Es ist buchstäblich nur die Küstenstraße, die millionenschwere Villengrundstücke ausländischer Investoren und Luxushotels für Touristen von den Lehmhütten-Vierteln trennt.“ Entlang der Küstenstraße schleppen Frauen und Mädchen bis zu 50 Kilogramm schwere Feuerholzbündel nach Hause. Ihr Platz ist im Heim und am Herd. Sie bekommen Kinder und kümmern sich um den Ehemann. „Bei öffentlichen Versammlungen sitzen die Frauen auf dem Boden, ihre Männer nehmen auf Stühlen Platz“, erklärt Muthoga. Rechte hätten die Frauen kaum, Bildung erhielten die wenigsten. In Söhne würden Familien investieren, die Töchter aber gingen oft leer aus. Tatsächlich werden viele als Teenager ver­heiratet und bekommen mit 15 oder 16 Jahren ihr erstes Kind. 

„Moving the Goalposts“ rüttelt an diesen scheinbar unumstößlichen Grundfesten. „Mädchen sollen lernen, dass sie in ihrem von Männern dominierten Alltag gleiche Rechte und Chancen haben“, beschreibt Muthoga das Ziel. Und wie bringt man das den Männern bei? „Indem man in ihre Welt einbricht. Am besten dort, wo es sie im Innersten trifft.“ In Kenia heißt das: beim Fußball. Kenianer lieben englische Vereine wie Manchester United oder Arsenal London. Auch Bayern München steht hoch im Kurs. „Mädchenfußball war das Letzte, was sich die Leute in Kilifi vorstellen konnten“, erinnert sich Rachel Muthoga. „In den Dörfern haben sie sich erst aufgeregt, dann über uns geredet und schließlich mitgemacht. Mit Hand- oder Volleyball wären wir gescheitert. Durch Fußball haben wir die Welt der Männer aufgemischt.“ Das Spiel sei eine Metapher für das Patriarchale dieser Gesellschaft, der Bolzplatz für seine Bastion. „Vor einigen Jahren traute sich keine Frau freiwillig in ein Dorfstadion. Heute kicken sie dort.“    

Es geht nicht nur ums Kicken.

Mehr als 5.000 Mädchen in Hunderten Teams spielen inzwischen aktiv Fußball in der Region um Kilifi und Kwale. Finanziert wird das Projekt auch von der Laureus Foundation, die in weltweit über 40 Ländern Kinder und Jugendliche durch Sport fördert. Doch „Moving the Goalposts“ geht es nicht nur ums Kicken. In Trainings- und Bildungsprogrammen lernen die Mädchen, sich selbst zu organisieren. Aus ehemaligen Spielerinnen sind inzwischen Coaches geworden, die die Jüngeren unterrichten. Auch das Programm vor jedem Match dient nicht bloß dem Warmmachen. In kleinen Gruppen organisieren die Trainerinnen Gemeinschaftsspiele mit ernsthaftem Hintergrund. So sollen die Mädchen auf spielerische Weise lernen, was ihnen sonst niemand beibringt: etwa was mit ihrem Körper passiert, wenn sie erwachsen werden; wie man sich vor einer Schwangerschaft schützt; aber auch was es bedeutet, sich in ein Team einzugliedern oder in der Öffentlichkeit zu sprechen.    

Selbstvertrauen stärken.

„Wir haben Frauen im Projekt, die früher kein Wort vor anderen rausgebracht haben. Heute leiten sie ganze Teams“, berichtet Rachel Muthoga. Eine dieser Frauen ist Purity Kiponda. Von „Moving the Goalposts“ erfuhr sie durch Schulfreundinnen. „Eigentlich wollte ich nur Fußball spielen“, sagt die 22-Jährige. „Ich hätte nicht gedacht, dass mich das mal so weit bringt.“ Seit sechs Jahren spielt sie aktiv, studiert inzwischen Kunsterziehung an der Universität von Kilifi und unterrichtet als Ausbilderin nebenbei die Jüngsten im Projekt.    

Ein guter Anfang.

Auf die Frage, was die Jungs in Kilifi davon hielten, dass sie sich den Fußballplatz nun mit Mädchen teilen, und ob junge Männer in diesem Teil Kenias ihre Frauen irgendwann als Partnerinnen auf Augenhöhe akzeptieren, antwortet Rachel Muthoga: „Ob in Röcken oder Turnhosen – sie spielen. Das allein grenzt schon an ein Wunder.“ Dann deutet sie auf die Mädchengruppen im Schatten der alten Mangobäume, von denen nun auch die letzten mit ihrem Aufwärmprogramm für das Freundschaftsspiel beginnen. Die Jungs vom Spielfeldrand haben sich darunter gemischt: Einige Mädchen haben ihre jüngeren Brüder mitgebracht. Während die Trainerinnen Aufstellung nehmen lassen, macht sich im hinteren Teil des Platzes gerade ein Männerteam warm. Rachel Muthoga lacht: „Ist doch ein guter Anfang, finden Sie nicht?“

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